Thomas Hitzlsperger

Doku über homosexuelle Fussballer

 „Die Hoffnung ist, dass Fans weiter sind als die Verantwortlichen denken“

Manfred Oldenburg ist Regisseur der sehenswerten Doku „Das letzte Tabu“. Er lässt neben Thomas Hitzlsperger diejenigen Profifußballer ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die sich als homosexuell geoutet haben. Interview Matthias Greulich

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WOHNGEMEINSCHAFT
Ein Haus voller Zebras
Beim MSV Duisburg gibt es etwas, was es in allen anderen 35 Bundesligastädten nicht gibt: Gleich sechs Profis des MSV wohnen im selben Haus. Unser Autor hat dem Sextett einen Besuch abgestattet und ungewöhnliche Einblicke bekommen. Von Roland Leroi

Zebra-WG
Die Duisburger Sechser-WG: Lavric,
Willi, Book, Weber, Caligiuri, Idrissou (v.l.) Foto Stefan Schmid

Es gibt Tage, an denen Klemen Lavric seinen Sturmpartner Mohamadou Idrissou zufällig am Müllcontainer trifft. Das ist praktisch. Schließlich können die beiden dann im Kellergeschoss, wo einen keiner stört, direkt Doppelpässe üben. Auch ohne Ball, denn ein leerer Joghurtbecher lässt sich in den Mülltüten immer finden. „Den versenk ich auch noch“, ruft Idrissou und schießt den Plastikbecher per Dropkick in die Tonne. Laut schallen die Jubelstürme des Duos, das für den Zweitligisten MSV Duisburg spielt, durchs Treppenhaus. Doch kein Nachbar fühlt sich davon gestört.

Im Gegenteil, im fünfstöckigen Mietshaus, das im Duisburger Innenhafen mitten im Vergnügungsviertel liegt, sind die Fußballer unter sich und müssen nur aus der Wohnungstür fallen, um ein tägliches Trainingslager abzuhalten. Denn gleich sechs MSV-Profis, die wegen ihrer weiß-blau gestreiften Trikots „Zebras“ genannt werden, wohnen im Philosophenweg Tür an Tür. Und die Junggesellen Nils-Ole Book, Marco Caligiuri, Christian Weber, Tobias Willi, Idrissou und Lavric treffen sich nicht nur am Müllcontainer und im Fahrstuhl. Sie verbringen auch den Großteil ihrer Freizeit zusammen. „Bei uns wird es nie langweilig“, sagt Tobias Willi aus dem ersten Stockwerk, der es genießt, seine Teamkollegen um sich zu wissen.

Häufig schmeißen Willi und Co. entweder auf einem der sechs Balkone oder der Wiese hinter dem Haus die Würstchen auf den Rost. Den Grill haben Willi und Weber in fünfstündiger Kleinstarbeit zusammengesetzt. „Ein Mammutprojekt“, stöhnt Willi und lehnt sich zurück. „Wenn alle mit dabei sind, beschwert sich wenigstens kein Nachbar über den Qualm“, so Caligiuri. Der Vermieter hat ohnehin keine Einwände, denn der gesamte Häuserblock gehört Walter Hellmich, Bauunternehmer und MSV-Präsident in einer Person. Dem „Boss“ ist es nur wichtig, dass die Spieler in die Bundesliga aufsteigen und die Miete pünktlich überweisen. 730 Euro Kaltmiete zahlen die sechs Profis für ihre jeweils 88 Quadratmeter mit drei Zimmern, Küche, Diele und Bad. „Dafür ist die Wohnung auch gut in Schuss“, findet Weber. Beim Vormieter Uwe Möhrle, der zum VfL Wolfsburg wechselte, erkundigte sich der Ex-Fürther über die Tücken der „Zebra-WG“ und erfuhr „ausschließlich Positives“. Auch die ehemaligen Duisburger Marino Biliskov und Razundara Tjikuzu wohnten hier bis zum Sommer. Abdelaziz Ahanfouf kam zwei Blocks weiter unter, ehe er sich in Bielefeld ein neues Trainingsgelände für seine Kunstschüsse suchen musste. Der Stürmer machte sich bisweilen einen Spaß daraus, den Kollegen Lederkugeln auf die Balkone zu ballern, um sie aus dem Mittagsschlaf zu reißen.

Lavric findet derartige Streiche gar nicht witzig. Erst neulich rannte der Stürmer im Unterhemd und ziemlich angesäuert durchs Treppenhaus, um die Quelle für ein unsägliches Gekreische ausfindig zu machen. Irgendjemand hatte mal wieder die Musik zu laut aufgedreht. „Die Jungs sollen sich auf dem Platz austoben, aber nicht zu Hause“, schimpft er und schildert die Probleme, die wohl in jeder Hausgemeinschaft vorkommen. „Seitdem die Neuen da sind, ist es halt lauter als früher, aber Klemen soll mal locker bleiben“, meint Willi, der im Juli 2005 einzog und „Chef de Mission“ ist. Caligiuri und Lavric kamen im Frühling 2006, Weber, Book und Idrissou erst im Sommer, nachdem sie zum MSV wechselten.

Tauschen möchte keiner. „Ich bin perfekt gelandet, besser geht es nicht“, sagt Idrissou. In Hannover bewohnte er früher ein geräumiges Reihenhaus, aber dieser Luxus sei kein Ersatz für den Spaß, den er nun mit seinen „fünf tollen Nachbarn“ habe. Zudem ist die Wohnlage glänzend. „Meine finanziellen und juristischen Probleme werden hier gelöst, ohne dass ich die Haustür verlassen muss“, meint der Kameruner todernst. Im Erdgeschoss hat Hellmichs Schwiegersohn Thomas Blatt seine Anwaltskanzlei. Das Penthouse bewohnt Artur Grzesiek, Vorstandschef der Duisburger Stadtsparkasse, der zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender des MSV und Hellmichs bester Kumpel ist. Als Aufpasser der Junggesellenbande fungiert der 51-Jährige aber nicht.

Kopfschmerzen, dass die Verlockung recht groß ist, wenn sechs Twens Tür an Tür mit den schicksten Discotheken der Stadt leben, hat auch Trainer Rudi Bommer keine. Das Problem der Alleinstehenden sei die Nahrungsaufnahme, weil selten einer da ist, der für sie kocht, glaubt der Coach ganz pragmatisch. „Im Innenhafen ist für die Jungs wenigstens gesorgt. Sie haben die Gaststätten vor der Haustür, und ich weiß, dass es ihnen gut geht“, sagt Bommer, der aus eigener Erfahrung zu wissen glaubt, dass „meine Fußballer nicht so dumm sind und in Kneipen über die Stränge schlagen, wo ich sie suchen würde“.

In der „Zebra-WG“ geht es ein bisschen wie zu im Internat. „Nur ohne Aufsicht“, preist der 26-jährige Willi die Vorzüge und favorisiert nicht nur die Altersstruktur unter seinen kaum jüngeren Kollegen: „Wir haben keine Frau im Haus, sieht man mal von Frau Ole ab.“ Aber die sei in Ordnung. Mit „Frau Ole“ ist Books Freundin Britta gemeint, die als einzige Frau unter lauter Männern lebt. „Sie fühlt sich in der Hausgemeinschaft dennoch wohl, außerdem stehen die Wohnungstüren ja nicht ständig offen“, so Book, der ganz nüchtern auf „das bisschen Privatsphäre, das wir uns alle leisten“, hinweist.

Viel ist das allerdings nicht, denn die MSV-Profis teilen nicht nur Hausflur und Fahrstuhl miteinander. Mittags und auch in den Abendstunden werden die nahegelegenen Restaurants aufgesucht. Man mag es dem Sextett aber abnehmen, wenn es geschlossen erklärt, dass man professionell wohne und mitten in der Saison, die mit dem Bundesligaaufstieg enden soll, nächtliche Aktivitäten meidet. Außerdem passe man gegenseitig aufeinander auf. „Wir brauchen nicht mal einen Weckdienst“, versichern die Fußballer, die jeden Morgen in zwei Autos gemeinsam zum Training fahren. Fehlt einer am Treffpunkt in der Tiefgarage, wird sofort Alarm geschlagen. „So kann keiner zu spät kommen, weil er verschlafen hat“, erzählt Caligiuri.


Zebra-WG
Es sind noch Zimmer frei: Die Duisburger-WG
möchte sich gerne vergrößern Foto Stefan Schmid

Der frühere Stuttgarter ist aus dem Mietshaus der Einzige, der schon mal in einem Fußballinternat gelebt und die Vorzüge schätzen gelernt hat. „Dort gab es zwar eine feste Hausordnung und man musste auf Regeln achten, dafür war aber für die Verpflegung gesorgt“, erinnert sich der 22-Jährige. Im „Zebra-Haus“ sei das genau andersherum. „Dass ich inzwischen kochen kann, habe ich aber noch keinem verraten“, gibt Caligiuri zu. Deshalb stehe meistens fest, was an den gemeinsamen Abenden auf den Tisch kommt. „Das Pizza-Taxi ist gleich da“, ruft Willi, während sich Book und Lavric gerade ein paar Frühlingsrollen in die Mikrowelle schieben. Zum Einkaufen fährt das Mieterteam natürlich ebenfalls gemeinsam, denn im Innenhafen gibt es zwar eine Menge, jedoch keinen Supermarkt. „Den hat Hellmich vergessen“, meint Weber, der seinen Einkaufszettel auch an Willi weiterreichen kann. Toilettenpapier und Milch werden dann für alle besorgt.

Für andere häusliche Pflichten gibt es Trude und Rita. Die beiden Hausfrauen halten das Trainingszentrum sauber und schauen nach telefonischer Vereinbarung auch im Philosophenweg vorbei. „Alle außer Ole nehmen unsere Putzfrauen in Anspruch“, erzählt Willi, der die Reinigungskräfte rund alle zehn Tage bestellt, da sie sich bei ihm auch um die Wäsche kümmern. „Ich habe es nicht so mit der Waschmaschine. Rita und Trude hängen die Socken sogar schön sauber auf die Leine“, schwärmt Willi. Weber klingelt nur alle drei Wochen an: „Das Gröbste mache ich selbst. Staubwischen kann ich alleine.“ Beschwerden haben Trude und Rita im Übrigen keine. „Bei manchem Vormieter sah es unmöglich aus. Momentan müssen wir aber nur den Standard machen, weil die Jungs sehr ordentlich sind“, loben die beiden.

Betont gepflegt, fast schon steril ist es in den Wohnungen der sechs „Zebras“, die häufig zusammenhängen, auf dem Balkon Karten und Playstation spielen, ins Kino gehen oder einfach nur quatschen. „Wenn einer den anderen im Training umgrätscht, ist das spätestens im Aufzug ausdiskutiert und vergessen“, meint Caligiuri, der glaubt, dass es gerade unter Fußballern besonders einfach sei, miteinander auszukommen: „Wirkliche Stinkstiefel gibt es in unserem Beruf nicht, wir verstehen uns nicht nur auf dem Rasen und finden schnell Anschluss.“ Deshalb sei jeder neue Mieter auch willkommen – die Fluktuation kann in der Fußballbranche gewaltig sein.

Es ist dem Sextett anzumerken, dass es sich scheinbar gesucht und gefunden hat. Kult sind die regelmäßigen Wetten, wie viele Minuten Idrissou ruhig sitzen kann, ohne Quatsch zu erzählen. „Mo schafft nicht mal eine Viertelstunde“, verrät Weber, der die Stoppuhr unter den Tisch versteckt hält. Und wirkliche Probleme können auch besprochen werden. Seelentröster würden zwar keine benötigt, „aber wenn einer sauer ist, kann er das an der nächsten Wohnungstür direkt rauslassen“, so Book. Es sei halt toll zu wissen, dass spätestens zwei Stockwerke weiter immer jemand da ist, der gerade Zeit hat: „Wir reden manchmal über Fußball, haben aber auch andere Themen.“ Dass im gesamten Haus kein Ball aufzutreiben ist, ist Book allerdings schon ein wenig peinlich. „Wir sind ja nicht im Trainingslager“, widerspricht Lavric.

Die Fußballabende am Fernseher finden im Wechsel bei Willi und Weber statt, weil sie die größten Couchgarnituren haben. Gleich beginnt die Champions League, und das Pizza-Taxi war auch schon da. Nur Idrissou muss noch mal kurz raus, eine Flasche Wasser holen. „Vielleicht treffe ich auf dem Weg ja noch eine Blonde“, lacht er – und seine Kollegen grölen mit. „Der Mo hat halt einen Schuss weg, genau wie wir anderen auch“, sagt Willi, der später am Abend seine Klingel abstellt und die Fenster schließt. Einerseits würde ihm der Diskolärm, der über die Flaniermeile zieht, sonst den Schlaf rauben. Und auf betrunkene Witzbolde, die nachts schellen, könne er verzichten: „Laut sind wir selber.“

Längst hat sich in Fankreisen herumgesprochen, dass im Innenhafen sechs „Zebras“ unter einem Dach wohnen. „Wenn tagsüber Kinder klingeln und Autogramme wollen, ist das ja in Ordnung“, meint Willi und hofft, dass „unsere aktuelle Combo noch lange zusammenbleibt“. Zuwachs wäre auch in Ordnung. Im Haus nebenan sind noch Zimmer frei.

Der Text ist in RUND #16_11_2006 erschienen

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