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„Ich wollte sterben“
Selbst wacklige Klobrillen bringen Jürgen Klopp nicht aus dem Gleichgewicht – Piercings hingegen schon. Wir hatten den damaligen Mainzer-Trainer an den Lügendetektor angeschlossen, um die ganze Wahrheit zu erfahren. Von wem er träumt, wer ihm die Kindheit vergällte, wann er weint und was der unangenehmste Moment seines Lebens war. Interview Christoph Ruf und Rainer Schäfer.

 

Jürgen Klopp

„Bei ,Winnetou 3' verliere ich die Fassung“ : Jürgen Klopp am Gerät der Wahrheit  Foto Stefan Schmid

 

Jürgen Klopp ist der erste Trainer, der sich für RUND an einen Lügendetektor anschließen ließ. Regelmäßig werden Fußballprofis diesem Wahrheitstest unterzogen, in dem sie das sagen müssen, was sie sonst lieber verschweigen

Herr Klopp, denken Sie manchmal, dass Sie verrückt sind?
Jürgen Klopp: Nein, wieso? (++++) Gut, gut. Eindeutig bekloppt war Mönchengladbach, als ich losgerannt bin, ohne nachzudenken und hinterm Tor mit einer Werbebande zusammengerasselt bin. Aber schon als der Schiedsrichter mir signalisiert hatte, dass ich nichts auf dem Feld zu suchen hatte, war mir schlagartig klar: Jetzt denken 50.000, der hat einen Vollschlag.

Olli Kahn beschreibt öfter, dass er sich im Fernsehen wie einen völlig fremden Mensch wahrnimmt.
Jürgen Klopp: Ich kenne mich nicht anders. Schon als kleiner Junge hatte ich beim Tennis diese verzerrten Gesichtszüge, bei jeder Vorhand und jedem Aufschlag. Das sind Emotionen, die mir ins Gesicht geschrieben sind. Mein Vater war darüber auch nicht glücklich. Er sagte immer: Geh das doch entspannter an.

Haben Sie jemals jemanden geschlagen?
Jürgen Klopp: Nein. (++++)

Das glauben wir nicht.
Jürgen Klopp: Ich habe ein Riesentalent, negative Dinge sofort zu vergessen. Ein Mädchen, die hieß glaube ich Claudia, ist mir im Kindergarten auf den Sack gegangen. Die fand es besonders witzig, mir die Schaukel an den Hinterkopf zu rammen. Gut möglich, dass ich ihr deswegen eine verpasst habe. Sonst war da aber nichts, das habe ich wirklich nicht in mir. (++++)

Herr Klopp, Sie lügen.
Jürgen Klopp: Ach du Scheiße. Ich habe, kurz bevor ich Trainer wurde, Sandro Schwarz, einem sehr guten Freund von mir, eine Kopfnuss verpasst. Der hat mich im Training zweimal umgehauen. Ich stehe auf, sehe nur sein Gesicht vor mir, und dann liegt er am Boden. Ich wollte sterben, nur noch sterben, so furchtbar unangenehm war mir das.

Sie sind ein aggressiver Mensch?
Jürgen Klopp: Nein! (++++)

Ich habe schon Aggressionen in mir. Für gewöhnlich teile ich verbal aus, das kann sehr schmerzhaft sein. Ich bin aber totaler Gerechtigkeitsfanatiker. Bernd Hollerbach hat mir mal auf St. Pauli absichtlich das Knie in den Oberschenkel gerammt. Niemand hat es gesehen, alle hielten mich für einen Simulanten. Nur Holler und ich kannten die Wahrheit. Das hat dazu geführt, dass ich Bernd Hollerbach im nächsten Spiel auf dem Platz auch ein paar Dinge gezeigt habe.

Sind Sie privat nachtragend?
Jürgen Klopp: Ich habe eher zu viel Verständnis. Ich zwinge niemandem meine Meinung auf. Wenn ich mich über Politik unterhalte, wird es nie zum Streit kommen –  außer jemand vertritt eine extrem rechte Haltung. Die Toleranz anderen gegenüber hängt mit meinem Glauben zusammen.

Sie sind praktizierender Christ?
Jürgen Klopp: Ich bin kein Kirchgänger und sehe die Kirche kritisch. Aber ich glaube allgemein an Gott und an Jesus Christus. Mein moralischer Leitfaden heißt, vernünftig miteinander umzugehen. Es ist tendenziell ein naiver und egoistischer Glaube: Er gibt mir Trost und Ruhe.

Welche Helden hatten Sie in Ihrer Kindheit?
Jürgen Klopp: Lukas, der Lokomotivführer, gefiel mir gut, danach die Comic-Geheimagenten Fred Clever & Jeff Smart. Die kurze Regenerationszeit der Figuren fand ich klasse. Da konnte passieren was wollte, es ging einfach weiter, egal, ob man unter die Dampfwalze kommt oder 800 Meter den Felsen runterfällt. Ich habe Comics geliebt, die Toilette ist immer noch Comiczone.

Sind Sie faul?
Nein, aber ich liege in vielen Lebensbereichen unter dem durchschnittlichen Können. Zu Hause war die Klobrille aus der Verankerung gebrochen. Ich habe mich da entspannt wochenlang immer wieder draufgesetzt. Neulich lag meine Freundin Ulla mit dem Schrauberzieher unter der Schüssel. Ich hätte es verstanden, wenn sie mich in diesem Augenblick gehasst hätte. (++++)

Was passierte in Ihrem letzten Traum?
Jürgen Klopp: Mein Stürmer Niclas Weiland war dabei, aber warum nur? Ulla behauptet, dass ich im Schlaf rufe: „Schieß doch endlich!“ Ich habe den Eindruck, dass ich gut schlafe, nur Ullas Schlaf wird unterbrochen.

Jürgen KloppEhrlicher Typ: Jürgen Klopp, damals Trainer von Mainz 05  Foto Stefan Schmid

 

Es gibt harte Typen, die anfangen zu weinen, wenn ein Rehkitz auf eine Waldlichtung tritt. Können Sie sentimental sein?
Jürgen Klopp: Bei „Winnetou 3“ verliere ich die Fassung. Ich verstehe einfach nicht, warum sich Winnetou verdammt noch mal vor Old Shatterhand geschmissen hat. Mir wäre es bis heute lieber, Old Shatterhand hätte die Kugel abgekriegt. Wenn ich mir heute die Szene anschaue, fang ich garantiert zu heulen an.

Sind Sie kitschig?
Jürgen Klopp: Nein.  (++++) Wenn kitschig auch rosa Hemden einschließt, okay. Ich habe mir gerade eines gekauft, auch noch aus Leinen, weil mich der homosexuelle Verkäufer und Ulla darin bestärkt haben.

Haben Sie als Student mal gekifft?
Jürgen Klopp: Ehrenwort, niemals. Ich komme richtig vom Land und bin schwäbisch sozialisiert. Ich habe gelernt, dass Haschisch die Einstiegsdroge ist. Ich kann mal einen trinken. Wenn ich als Profi mal ein spielfreies Wochenende hatte, konnte es schon sein, dass ich morgens um neun aussah wie ein frischer Verkehrsunfall.

Akzeptieren Sie Selbstjustiz?
Jürgen Klopp: Kann ich nicht für gut befinden.  (++++) Ich kenne mich gut genug, um zu wissen, dass ich richtig austicke, wenn in meiner Familie etwas Extremes passiert. Der spektakuläre Selbstjustizfall Bachmann, als eine Mutter den Mörder ihres Kindes erschoss, war für mich absolut nachvollziehbar. Es geht um den Versuch, den eigenen Schmerz zu lindern. Wobei ich erbittert gegen Todesstrafe bin.

Vor was ekeln Sie sich am meisten?
Jürgen Klopp: Vor allen Arten von Piercings. Wenn morgen Intimschmuck als Pflicht eingeführt wird, dann bin ich sofort raus aus der Produktion. Also bitte, macht das alle, aber ich kann da nicht mit. Ich kann Gepiercten nicht mal richtig in die Augen gucken, weil mir sonst sofort schlecht wird. Da kann die entsprechende Person noch so hübsch sein. (++++)

 

LÜGENLEGENDE
Pippi Langstrumpf (++++)
Pinocchio (++++)
Baron Münchhausen (++++)
Robert Hoyzer (++++)



Fazit des Tests: Mit der Wahrheit tut sich Jürgen Klopp nicht schwer, auch wenn er unangenehme Dinge schnell verdrängt. Schwäbisch-christlich erzogen, glaubt er an das Gute im Mensch und Fußball. Manchmal ist Klopp so aktionistisch, dass selbst sein flinker Kopf hinterherhinkt. Aber insgesamt ein guter und ehrlicher Typ.

 

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Der Lügendetektor-Test ist in RUND #1_08_2005 erschienen.

 

 

RUND #1_08_2005

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