PORTRÄT
Der Familienvater mit dem verrückten Beruf
Das WM-Vorbereitungsspiel gegen Ungarn war schon fast vorbei, als sich Heiko Westermann verletzt. Kahnbeinbruch. Statt nach Südafrika zu fahren, muss der Abwehrspieler seinen Kollegen vor dem Fernseher die Daumen drücken. Er braucht drei Spiele, bis er damit klarkommt. Von Roger Repplinger. Ein Auszug aus dem Buch „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg".

 

Heiko WestermannIn einem Testspiel im WM-Trainingslager 2010: Heiko Westermann verletzte sich nur wenige Tage später und konnte nicht mit nach Südafrika Foto Pixathlon

 

 

 „Darf ich Sie was fragen?“, fragt die eine der beiden jungen Frauen, die an unserem Tisch sitzen, als ich meinen Krempel zusammen packe. „Fragen Sie“, sag ich. „War das nicht ein Spieler?“, will sie wissen, „ich hab so mit einem Ohr …“. Frauen können das, so mit einem Ohr. „Ja“, sag ich, „das war Heiko Westermann. Hamburger SV und Nationalspieler.“ Sie nickt. „Da wird mein Mann staunen“, sagt sie. Und Max auch. Ihr Sohn. Männer können das auch, so mit einem Ohr …

Heiko Westermann kann donnerstags, so um die Mittagszeit, am Eppendorfer Baum in Hamburg in einem Café einen Latte Macchiato trinken, mit einem Glas Wasser ohne Kohlensäure, ohne dass ihn jemand anquatscht. Ist ein schönes Café. Schokolade in allen Variationen in den Regalen, auch Kaffee, Konfitüre, Honig, Kuchen und Brötchen in der Vitrine. Jazz perlt aus dem Lautsprecher. So eine Art von Café. Die Polster, auf denen man sitzt, sind mit einem Stoff überzogen, dunkelblaue Karos, da hatte meine Mutter Handtücher. Nicht die feinen, die groben. Hier frühstückt Heiko Westermann Sonntags mit seiner Frau.

Erst Mal müssen wir die Frage klären, ob ich das Wasser zu meinem Milchkaffee mit Kohlensäure nehme oder ohne. Weil Heiko Westermann bestellt, und nichts falsch machen will, fragt er lieber noch mal nach. Mit.

Als wir dann sitzen, und alles haben, schleckt er seinen Löffel ab.

Er muss in einer dreiviertel Stunde weg, Pressekonferenz des Hamburger SV. Heiko Westermann hat den Beruf des Fußballspielers gelernt. Und das heißt, er weiß nicht nur, wie man als Innenverteidiger zu spielen hat, als linker Außenverteidiger, als defensiver Mittelfeldspieler, als offensiver Mittelfeldspieler, das hat er alles schon gemacht, bei Greuther Fürth, Arminia Bielefeld, Schalke 04, beim HSV, in der Nationalelf, sondern er weiß auch, dass man ein Leben neben dem Fußball braucht. Er weiß, dass man sein Leben vor dem Fußball und seinen Begleiterscheinungen in Sicherheit bringen muss. „Damit man noch was anderes hat“, sagt er.

Diesen Beruf zu lernen, heißt auch, die Medien einzuschätzen. Die Artikel, die über ihn geschrieben werden, und in denen „ich mich nicht wiederfinde“, wie er sagt. Dabei schaut er Einem fest in die Augen. Er hat keine Angst zu sagen, dass er gern mit seiner Tochter spielt. Er hat das EM-Vorbereitungsspiel gegen Weißrussland im Mai 2008 abgesagt, weil er bei der Geburt seiner ersten Tochter dabei sein wollte. Er findet es richtig, wenn sich Spieler von Psychologen Hilfe holen.
Vor ein paar Jahren hätten ihn schreibende und lesende Dumpfbacken dafür „Weichei“ gescholten. Ist vorbei.

Als er nach seinem ersten Länderspiel, wie das jeder Debütant tun muss, beim Bankett nach dem Spiel eine Rede hielt, sprach er über seine Tochter. „War nicht schlimm die Rede“, sagt er.

Bei der Nationalmannschaft gibt es keine martialischen Aufnahmerituale mehr. Soll früher anders gewesen sein. Das ist in Deutschland, wo viele eine eigentümliche Faszination für das Barbarische haben, weil das angeblich die richtige Einstimmung für den Lebenskampf ist, und längst noch nicht alle davon überzeugt sind, dass es leichter geht, wenn man es nicht schwerer macht, als es sein muss, eine interessante Entwicklung.

Ein paar finden ja, dass in dieser Nationalmannschaft einer fehlt, der dazwischen haut, der rein grätscht, den Gegner umsenst, und führt, in dem er die Mitspieler anschnauzt. Dass der Bundestrainer so was nicht sehen will, ist keine Marotte Joachim Löws. Der Fußball ist nicht mehr so. Führer fallen leicht. Noch fehlt der Gewinn eines Titels, um zu beweisen, dass es auch in einer deutschen Nationalmannschaft ohne geht.

Als er bei der EM 2008 nicht zum Einsatz kommt, „hab ich mich trotzdem nicht gefühlt, wie das fünfte Rad am Wagen“, sagt Westermann. Vor dem nächsten Großereignis, der WM 2010, verletzt er sich. Am 29. Mai 2010 Vorbereitungsspiel gegen Ungarn in Budapest. Das Spiel ist praktisch zu Ende, als der linke Verteidiger Westermann vor dem 13er der Ungarn den Ball zur Ecke weg schlägt.  „Es hieß erst, es wäre eine Prellung, aber dann wurden die Schmerzen über Nacht so schlimm, dass keine Schmerzmittel halfen. Ich hatte gleich das Gefühl, dass was kaputt ist“, erinnert sich Westermann. Kahnbeinbruch.

Nach der Kernspintomographie wird gerechnet: glatter Bruch, also Nagel durch, kann er in drei Wochen wieder spielen. Das wäre bei der Endrunde. Ergibt das Sinn? Nein! Auch das haben die Profis dieser Generation gelernt. Der Bundestrainer tröstet Westermann, der nach Hause fährt, statt nach Südafrika. Von 100 auf Null in ein paar Sekunden. Er hat dann mit Manuel Friedrich gesimst, um Kontakt zu halten.

„Erst mal ein komisches Gefühl“, sagt Westermann, die WM-Spiele im Fernsehen anzugucken. Es brauchte drei Partien, „um nicht mehr als Spieler zu gucken, sondern als Fan“.

Die Nationalmannschaft hat die neuen Spieler, die sind wie Heiko Westermann, und den neuen Fußball, den sie spielen, gefördert. Neuer Ton, neue Musik. Leiser. Mehr Jazz. Spieler, die sich Gedanken machen, über das, was sie befremdet, in diesem befremdlichen Geschäft. „Verrückt“, nennt  Westermann das, was um ihn herum passiert.

Er geht gerne spazieren, füttert mit seiner knapp dreijährigen Tochter die Enten an der Alster. Die zweite Tochter kam im Oktober 2010 auf die Welt. Er führt ein ruhiges Leben, wenn man das mit zwei Töchtern und als Fußballprofi kann. Dann entschuldigt er sich. Heiko Westermann muss zur Pressekonferenz des HSV, er will nicht zu spät kommen.

 

 Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg.

 „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" von Matthias Greulich (Hg.) und Sven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5

 

Heiko WestermannWieder im Aufgebot: Heiko Westermann als Einwechselspieler bei einem WM-Qualifikationsspiel für Brasilien Foto Pixathlon

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