INTERVIEW
„Die Einseitigkeit hat zugenommen“
Spanische Verhältnisse in der Bundesliga: Arnd Hovemann, Leiter Finanzen und Controlling beim FC Schalke 04, über die verringerte Spannung in Europas Fußball-Ligen und ihre möglichen Folgen. Interview Elmar Neveling.

 

Arnd Hovemann
„Seit der Jahrtausendwende die Einseitigkeit in den Ligen immer mehr zugenommen“: Arnd Hovemann ist Sportwissenschaftler und arbeitet beim FC Schalke 04.

 

Fußballfans lieben ihren Sport, weil er so spannend, so unberechenbar ist. Vor dem Spiel weiß niemand, wie es ausgehen wird. Doch stimmt das noch? Oder droht angesichts der derzeitigen Dominanz von Bayern München und Borussia Dortmund auch die Bundesliga eintönig zu werden wie die spanische Primera División, in der schon seit Jahren Real Madrid und der FC Barcelona die Meisterschaft unter sich ausmachen?

Mitte April, noch bevor Uli Hoeneß mit Selbstanzeige und Steueraffäre in die Schlagzeilen geriet, äußerte der Bayern-Präsident seine Sorge vor „spanischen Verhältnissen“, die sich nachteilig auf die Attraktivität der Liga auswirkten. Ein Vorsprung vor der Konkurrenz von mehr als 20 Punkten, so wie in diesem Jahr, sorgt offenbar selbst beim Meister FC Bayern für leichtes Unbehagen. Doch ist Hoeneß’ Sorge berechtigt? Arnd Hovemann, ein Fachmann zum Thema „Ausgewogenheit des Wettbewerbs“, gibt Auskunft.


Herr Hovemann, Schwerpunktthema Ihrer früheren Forschungsarbeit war die sog. „competitive balance“, also die Ausgewogenheit des Wettbewerbs von Fußball-Ligen. Wird die Befürchtung von Uli Hoeneß durch Ihre Ergebnisse gestützt?
Arnd Hovemann: Absolut. Ich habe die competitive balance sowohl innerhalb der führenden europäischen Ligen – also in England, Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland – sowie in den internationalen UEFA-Wettbewerben untersucht. Dabei habe ich die Entwicklung über mehrere Jahre hinweg analysiert und festgestellt, dass seit der Jahrtausendwende die Einseitigkeit in den Ligen immer mehr zugenommen hat. Das Leistungsgefälle ist größer geworden. Jedoch ist dieser Trend in den einzelnen Ligen unterschiedlich stark ausgeprägt. Der 20-Punkte-Vorsprung der Bayern ist dabei zunächst einmal ein Ausreißer, so deutlich geht es in der Bundesliga in der Regel nicht zu.

Welche Gründe gibt es Ihrer Meinung nach für diese Entwicklung?
Arnd Hovemann: Ein wesentlicher Aspekt liegt in den hohen Prämienzahlungen der Champions League. Mit der Reform der Königsklasse zur Saison 1999/2000, als sich bis zu vier Mannschaften pro Nation qualifizieren konnten, haben die Spitzenclubs dauerhaft Zugang zu den lukrativen „Fleischtöpfen“ erhalten. Die Ausschüttungen sind rasant gestiegen und damit auch die marktbeherrschende Stellung in den nationalen Meisterschaften. Denn oft sind es immer wieder dieselben Clubs, die sich für die Champions League qualifizieren und somit immer größere Einnahmen generieren.

Zum Begriff „competitive balance“: Könnten Sie kurz erläutern, was genau sich dahinter verbirgt und wie er sich messen lässt?
Arnd Hovemann: Wir haben zwischen zwei Ansätzen unterschieden, der Saison- und der Team-Komponente. Während erstere die Leistungsunterschiede der Mannschaften innerhalb einer Spielzeit misst, analysiert die Team-Komponente die Konstanz bestimmter Vereine über mehrere Spielzeiten hinweg. Die Saison-Komponente lässt sich über den Punkteabstand zwischen den Clubs ermitteln und gibt Aufschluss über den Spannungsgrad einer Liga. Die Teamkomponente hingegen trifft eine Aussage über die Abwechslung, also ob es immer die gleichen Teams sind, die über einen bestimmten Zeitraum um die Meisterschaft oder gegen den Abstieg kämpfen. Mittels beider Komponenten lässt sich dann eine zuverlässige Aussage über die competitive balance einer Liga treffen.

Sind Punkteabstände und Anzahl der Meisterschaften die einzigen relevanten Messinstrumente?
Arnd Hovemann: Nein. Es gibt eine ganze Menge an unterschiedlichen Messmethoden, die insbesondere in den US-amerikanischen Profiligen herangezogen werden. Dort achtet man ganz besonders auf eine ausgewogene Liga. Neben Punkteabständen eigenen sich übrigens auch Wettquoten, um Aussagen zur competitive balance treffen zu können. Denn vereinfacht ausgedrückt: Sinken die Wettquoten, lässt dies ebenfalls auf sinkende Ausgeglichenheit des Wettbewerbs schließen.

Wie fielen Ihre Ergebnisse aus? Wo war der Wettbewerb in den vergangenen Jahren am spannendsten?
Arnd Hovemann: Untersucht man die höchsten Spielklassen der großen fünf europäischen Fußball-Nationen, schneiden die französische Ligue 1 und die Bundesliga eindeutig am besten ab, während neben der spanischen Primera División auch in der englischen Premier League der Wettbewerb recht vorhersehbar und wenig abwechslungsreich war. Ein Grund für diesen Unterschied zur spanischen Liga liegt in der zentralen Vermarktung der Medieneinnahmen sowohl in der Bundesliga als auch in der Ligue 1, durch die es zu einer gleichmäßigeren Gelderverteilung kommt. Hingegen profitieren von einer Einzelvermarktung in Spanien die Marktführer überproportional stark. Eine spezielle Situation liegt in der Premier League vor, da hier sogenannte Investoren á la Roman Abramowitsch eine bedeutende Rolle spielen. Ihre Zuwendungen für einzelne Clubs beeinflussen die Ausgeglichenheit der Liga ebenfalls.

Worin liegt denn die Gefahr, wenn der Wettbewerb zu einseitig wird?
Arnd Hovemann: Ich sehe insbesondere drei Gefahren: Ein verringertes Zuschauerinteresse und somit Mindereineinnahmen sowohl an Spieltagen als auch bei der TV-Vermarktung; dazu ein immer stärkeres Auseinanderdriften der Kräfteverhältnisse einschließlich Insolvenzgefahr für finanzschwächere Clubs. Langfristig halte ich auch die Gründung einer supranationalen Liga, die sich aus den Topclubs verschiedener nationaler Ligen zusammensetzt, für ein realistisches Szenario. Momentan gibt es da in unterschiedlichen Ecken Europas Bestrebungen.

Wo zum Beispiel?
Arnd Hovemann: In den Baltikum-Staaten, in Russland und der Ukraine sowie in Belgien und Holland werden oder wurden solche Überlegungen zu einer gemeinsamen Liga bereits angestellt.

Aber ist die Champions League nicht de facto bereits eine supranationale Liga? Und würden die Spiele durch den fehlenden Derby-Charakter nicht uninteressanter, von den gestiegenen Reisekosten für Gästefans ganz zu schweigen?
Arnd Hovemann: Richtig, aber in einem zusammenwachsenden Europa halte ich diese Gefahr für gar nicht so fern. Die Topclubs wollen sich regelmäßig mit den stärksten Konkurrenten messen und nicht gegen „Kanonenfutter“ antreten. Nur dann besteht Entwicklungspotenzial.

Wie könnte denn ein Lösungsansatz aussehen, um eine Abspaltung zu verhindern und die heimischen Ligen ausgeglichener zu gestalten?
Arnd Hovemann: Meines Erachtens ist dies, neben der Umstellung auf die dezentrale Vermarktung in Spanien, nur über eine Umverteilung der Prämien in den europäischen Wettbewerben möglich. Die Lücke zwischen Champions League und Europa League bzw. keiner Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb ist einfach zu groß. Eine weitere Anpassung auf nationaler Ebene wäre ein zweischneidiges Schwert: Die nationale Ausgeglichenheit ginge zu Lasten der internationalen Konkurrenzfähigkeit der deutschen Clubs. In den letzten Jahren war die Bundesliga sehr ausgeglichen, international aber nicht ganz vorne mit dabei. Nun werden die Früchte für die solide Arbeit innerhalb der Bundesliga geerntet und es stehen gleich zwei deutsche Clubs im Champions League-Finale. Das ist zunächst einmal toll, auch wenn man im Auge behalten sollte, dass die Bayern nicht eines Tages in der Bundesliga unschlagbar werden!

Welche Auswirkungen erwarten Sie sich vom Financial Fairplay der UEFA, das die Marktteilnehmer wirtschaftlich disziplinieren soll?
Arnd Hovemann: Bezogen auf die competitive balance erwarte ich zwei gegensätzliche Effekte: Auf der einen Seite wird die Eindämmung der expansiven Ausgabenpolitik einiger ausländischen Clubs zu mehr Ausgewogenheit führen. Auf der anderen Seite wird es externen Mäzenen schwerer gemacht, einen zuvor kleineren Klub mit ihren Zuschüssen an die Spitze zu führen. Davon werden wiederum die etablierten Vereine profitieren. Dem sehe ich als Vertreter eines großen Traditionsclubs natürlich recht gelassen entgegen.


Zur Person: Arnd Hovemann (Jahrgang 1974) ist Diplom-Sportwissenschaftler und besitzt einen European Master in Sportmanagement. Bevor er seine aktuelle Tätigkeit als Leiter Finanzen und Controlling Sport beim FC Schalke 04 aufnahm, war Hovemann bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young bis 2010 für die jährliche Fußballstudie „Bälle, Tore und Finanzen“ verantwortlich.

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