FRANKREICH
Geboren auf dem Atlantik
Sein Vater war 1974 mit Zaire WM-Teilnehmer, als die Familie vor dem Bürgerkrieg floh, wurde auf dem Flüchtlingsschiff ihr Sohn geboren: Rio Mavuba ist Kapitän des OSC Lille und wurde von Didier Deschamps in die französische Nationalelf zurückgeholt. Von Rico Rizzitelli, Paris.

 

 

Rio Mavuba
Didier Deschamps holte ihn in die Nationalelf zurück: Rio Mavuba in der Zentrale der Èquipe tricolore. Foto Pixathlon

 

Alle, die mit ihrem Köper Geld verdienen, fürchten nichts so sehr wie die Verletzung. Die Fußballer sind da genau wie alle anderen. Als unzerstörbar bekannt, hat Rio Antonio Zoba Mavuba seit vergangenem August nur 16-mal in der Ligue 1 gespielt.  Die Schuld haben zwei Meniskusverletzungen im August und im Januar.

Er hat seinen Platz als Kapitän des OSC Lille erst kürzlich beim Spiel in Toulouse wieder eingenommen. „Man hat den Eindruck, zu nichts nützlich zu sein. An der Grenze zum Unnützen, besonders wenn dein Klub eine schwierige Phase durchläuft. Und außerdem muss man auf sich achtgeben während der Reha“, berichtet er. Hals über Kopf ist er damals in den Palace Merano, das Mekka der Thermalkuren in Trentino, Italien, gefahren. 3,8 Kilo hat er abgenommen, fünf Tage um „mit meiner Frau neue Kraft zu tanken“, und nicht die Diätpläne außer Acht zu lassen. „Während seiner gesamten Abwesenheit hat er mir Fotos von allem geschickt, was er gegessen hat. Ob es gut oder schlecht für ihn ist. „Man sensibilisiert die Spieler gründlich für einen aktiven Lebensstil und Ernährung“, sagt Grégrory Dupont, Konditionstrainer von Lille. Der Stoffwechsel  der Spitzensportler ähnelt immer mehr den Motoren in der Formel eins, die die Mechaniker so lieben.

Die fünfmontaige Pause mitten in der Saison zwang ihn, sich die zwei wichtigen WM-Qualifikationsspiele Frankreichs gegen Spanien von außen anzusehen. Erst letzten Sommer hatte ihn Nationaltrainer Didier Deschamps in die Zentrale der L’Équipe tricolore zurückgeholt. Nach sechs mageren Einätzen vor vier Jahren, als er mit 20 debütiert hatte. Als politischer Flüchtling, mit dem Vermerk „staatenlos“ in seiner Aufenthaltserlaubnis, wurde er 2004 mit Ach und Krach rechtzeitig für ein wichtiges Spiel gegen Irland eingebürgert. 

Mit weniger als 30 Profi-Einsätzen für Girondins Bordeaux, beißt sich Mavuba in einer in Auflösung befindlichen Nationalelf durch, in der einige Mitspieler schon aufgegeben haben. Er braucht einige Zeit, um das zu verdauen, aber hört nicht auf, an die Mannschaft zu glauben. „Er musste schwierige Momente durchstehen. Jedes Mal hoffte er und  wurde enttäuscht. Aber er hat nie nachgelassen. In seinem Inneren wusste er, dass er wieder zurückkommen würde“, erinnert sich Mathieu Debuchy, ehemalige "Dogge" (so der Spitzname des OSC Lille, Anm. d. Red.), im Exil in Newcastle. Man sagte ihm eine Karriere wie Deschamps sie sich erträumt hatte als neuer Claude Makelele, einer der weltweit besten auf diesem Posten, Mittelfeldspieler zwischen 1997und 2001 voraus, ehe dieser der Spieler wurde, der alles spielen konnte.

Ein Zufall: Ihre beiden Väter waren Nationalspieler Zaires, wie die Republik Kongo früher hieß. Ihre Karriere bei den "Leoparden" verlief sogar nahezu parallel. Der Vater von Mavuba, „Ricky“, wurde Afrikameister, bevor er zur WM 1974 in die Bundesrepublik fuhr. Im Unterschied zu Makelele wurde Rio, („Fluss“ auf Portugiesisch) nicht in Kinshasa geboren – sondern mitten auf dem Atlantik  auf einem Schiff. Inmitten der Boat-People, wo seine Familie vor dem Bürgerkrieg in Angola floh.  Thérèse, seine schwangere Mutter, sein Vater, und Suzanne, dessen Zweitfrau aus Zaire verließen das Kriegsgebiet, und kamen nach Mont-de-Marsan im Südwesten Frankreichs. Seine Mutter starb, als er zwei Jahre alt war. „Die Mutter einiger meiner Brüder und Schwestern hat mich aufgezogen“, sagt er halblaut.

Die zwölf Geschwister siedelten 1989 nach Mérignac in der Gironde, dann zogen sie nach Bastide, ein Viertel  in Bordeaux. „Es fehle uns an nichts, auch wenn man machmal den Gürtel enger schnellen musste“, erinnert er sich. Unter den Augen seiner älteren Brüder („Sie haben mich gezwungen, mich immer wieder zu steigern“) und den wohlwollenden Ratschlägen von „Ricky“, trat er im Alter von acht Jahren bei Girondins Bordeaux ein. Sein Vater erlebte seinen kometenhaften Aufstieg nicht mehr, er starb 1997. Zwei Jahre zuvor hatte er Rio mit nach Kinshasa genommen. Der erste Kontakt mit Afrika und der Familie. Der erste Flash. Danach kehrte er jedes Mal in der Sommerpause zurück. „Dort sind einige meiner Brüder und Schwestern geboren und ich möchte, dass meine Kinder meine Wurzeln kennen lernen. Ich spreche Lingala und ich möchte es ihnen vermitteln.“ Seit 2009 betreibt er ein Waisenhaus in Kinshasa, das sich um rund 30 Kinder kümmert. Es liegt in dem Viertel, wo sein Vater aufwuchs. Ermöglicht durch die Hilfsorganisation  „Waisen von von Makala“, dier er mit seinen Spenden und Benefizkonzerten in Bordeaux und Lille finanziert.

 

 

Rio Mavuba und Johan MicoudFranzösischer Pokalsieger 2007: Johan Micoud und Rio Mavuba, beide Girondins Bordeaux Foto Pixathlon

 

An diesem Montagvormittag auf dem Gut Luchin, dem Trainingsgelände des OSC Lille, ganz in der Nähe der belgischen Grenze. Rio Mavouba sieht müde aus, macht aber dennoch Witze. Seine geringe Größe bildet einen Kontrast zu einem super-muskulösem Körper. Ganz in schwarz, mit Ausnahme eines weißen T-Shirts mit einem Charlie-Chaplin-Porträt und einem Untertitel, der nichts Gutes verheißt: „Talk is Cheap“. Seine Verletzung erlaubte es ihm „etwas anderes zu sehen und Zeit mit den Kindern zu verbringen“. Thiago (zweieinhalb), den er mit seiner Frau Elodie und Uma (sieben, als Hommage an Thurmann von „Kill Bill“), die bei seiner Ex-Freundin in Cap Ferret lebt, wo er eine Unterkunft besitzt. Sein Hauptwohnsitz ist in Faches-Tumesnil, kein wirklich repräsentativer Vorort im Südosten Lilles. „Ich habe hier Menschen gesehen, die die Mülleimer durchsuchen. 2013 in Frankreich. Das ist seltsam. Durch solche Dinge wird dir die Krise bewusst. Manchmal habe ich Lust, unseren Fans zu sagen, ihr Geld für andere Dinge zu sparen. Aber es ist ihre Leidenschaft. Als wir 2011 das Double gewonnen haben, haben sie ihre Sorgen für einige Zeit vergessen“, sagt er.

Als Staatsbürger ist er unwillig, mehr zu sagen. Die Hochzeit für alle? „Das ist kompliziert. Ich bin nicht dagegen.“ Die Präsidentschaft von Francois Hollande? „Ich fand es 2007 besser. Im letzten Jahr wurde es ein bisschen zur Tele-Realität. Es war weniger politisch.“ Philippe Lucas, einer seiner Trainer in der Jugend in Bordeaux wird deutlicher: „Schon ganz früh hatte er eine unglaubliche Lebensgeschichte, einen echten Gemeinschaftssinn und er wusste, wo er hin wollte. Er ist ein Mensch, den alles angeht, was in seiner Umgebung passiert.“       

Er war Mannschaftskapitän und verängerter Arm bei bisher jedem Trainer. Überall, wo er gespielt hat, bis auf den kurzen Abstecher zu Villareal im Herbst 2007 ist Rio Mavuba ist immer so etwas wie der „Pate der Kabine“. Er verneint das lächelnd. Gibt lediglich zu, „bei den Aufnahmeritualen der Neuen dabei zu sein, um sie zu integrieren“.

„Er bringt alles um sich herum zusammen. Er nimmt andere auf den Arm, lässt sich auf den Arm nehmen, gibt Botschaften im Interesse der Mannschaft weiter und geht auf seinen Platz zurück, wenn es nötig ist. Er ist nicht mehr der Letzte, der Party macht. Aber es ist gezielt und selten“, bekräftigt Stéphane Dumont, ehemaliger Ligaspieler von Lille. Während er darauf wartet, einen Mix zu machen („Hip-Hop, Elektro, R’n’B“), was eine von Rio Mavabus Marotten ist, will er mit Frankreich zur WM 2014 nach Brasilien. 

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