INTERVIEW
„Ich hatte Angst vor der Bundesliga“
Seine Glanzzeit erlebte Jean-Marie Pfaff zwischen 1982 und 1988 im Tor des FC Bayern München und im EM-Finale zwei Jahre zuvor mit der belgischen Nationalmannschaft: Mittlerweile lebt der gebürtige Flame zusammen mit seiner Frau Carmen in der Nähe von Antwerpen. Dort hat ihn Henning Klefisch zum Interview getroffen.

 

 

Jean-Marie Pfaff Pfaff
Bei der WM 1986 in Mexiko: Jean-Marie Pfaff. Foto Pixathlon

 

RUND: Herr Pfaff. Sie mussten sich bei Ihrem Wechsel 1982 zu Bayern München erst einmal an den deutschen Fußball gewöhnen. Wie groß war der Unterschied?
Jean-Marie Pfaff: Riesengroß. Damals war ich Amateur in Belgien bei Beveren. Um 17.30 Uhr habe ich Training gehabt. Bis dahin musste ich noch einer Arbeit nachgehen. Wenn ich bei Anderlecht oder Standard Lüttich gespielt hätte, hätte ich nicht arbeiten müssen. Vielleicht war ich zu teuer für diese Vereine.

RUND: Und heute?
Jean-Marie Pfaff: Heutzutage ist die Situation eine völlig andere. Ich unterschreibe als Spieler einen Vertrag für vier Jahre und nach vier Monaten ist der Spieler  weg. Nach einem Tor laufen diese zu den Fans, küssen das Vereinswappen und drei Monate später sind sie weg. Fußball ist eben Business. Die Welt hat sich durch das Fernsehen und die Werbung verändert. Das war bei uns damals nicht so. Ich weiß noch, dass ich früher von Tür zu Tür gehen musste, um für drei Euro zu singen, damit ich den Leuten noch Handschuhe verkaufen konnte. Mit diesem Geld habe ich meiner Mutter Blumen gekauft. Mein Vater ist 1965 gestorben, mit 51 Jahren.

RUND: Wieviele Geschwister haben Sie?
Jean-Marie Pfaff: Wir waren damals neun Kinder. Wir haben die Sachen untereinander nachgetragen. Man muss sich dafür nicht schämen. So war die Zeit. Ich bin froh, dass ich gesund bin. Alles, was ich erreicht habe, habe ich selbst erreicht.  Das ist meine Welt und mein Leben gewesen. Meine Welt und mein Leben bedeutete weiterzukommen. Früher habe ich mehrere Jobs gehabt. So habe ich fünf Jahre in einer Post gearbeitet, fünf Jahre in einer Bank und ich hatte mein eigenes Sportgeschäft. Ich war damals reiner Amateur. Um sechs Uhr  begann ich zu arbeiten. Von 17.30 bis 21 Uhr war Training. Ich weiß, wie hart das Leben ist. Die Welt darf nicht stehen bleiben. Ich habe immer im Kollektiv gearbeitet, das heißt, wenn wir verlieren, verlieren wir zusammen.

 

Jean-Marie Pfaff21. August 1982: Jean-Marie Pfaff hechtet zum ersten Mal für den FC Bayern. Es war das Spiel, als Uwe Reinders mit einem von Pfaff abgefälschten Einwurf das Tor traf Foto Pixathlon

RUND: Gleich in Ihrem ersten Bundesligaspiel traf Uwe Reinders vom SV Werder Bremen mit einem Einwurf das Tor. Da Sie den Ball noch berührt hatten, zählte der Treffer und Bayern verlor 0:1. Was ist nach dem Abpfiff passiert?
Jean-Marie Pfaff: Ich kam in die Kabine. Dabei habe ich die Spieler ganz genau beobachtet. Die einen Spieler waren froh über dieses Gegentor, weil ihr Freund der Ersatztorwart gewesen ist. In Beveren hat ein Abwehrspieler mir schaden wollen, indem er absichtlich einen Ball durchgelassen hat. Danach habe ich zu ihm gesagt, dass er so etwas nie wieder machen soll. Sein Freund war ein Torwart-Kollege. Die gehörten einer Clique an. Sechs Spieler samt Ersatztorwart waren befreundet und wollten mich aus dem Tor haben. Als das Tor in Bremen gefallen ist, war es ein Glück, dass ich die Fans hinter mir hatte. Das nächste Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf haben wir 2:0 gewonnen. In dem Spiel habe ich zwei, drei Paraden gezeigt und konnte die Fans überzeugen. Danach gab es ein Spiel in Bielefeld. Dort habe ich super gehalten. Gegen Kaltz vom Hamburger SV habe ich einen Elfmeter kurz vor Schluss gehalten. Ich habe nicht auf Paul Breitner gehört und den Ball links aus der Ecke geholt.

RUND: Was hat Trainer Pal Csernai gesagt?
Jean-Marie Pfaff: Als ich iin die Kabine gekommen bin, meinte der Trainer, dass ich nicht in Belgien sein würde. Er sagte, du bist in München und das wird sich schnell ändern. Pal Csernai hatte mich immer unterstützt. Er war immer ehrlich zu mir. Trotzdem war es damals schwierig, weil ich die zweite Halbzeit noch bestreiten musste. Da muss man Charakter zeigen. In der Offensive wurden viele Chancen vergeben. Trotzdem sprachen alle nur über diesen Fehler. Der Torwart muss immer die Fehler der Abwehr ausbügeln.  Man spielt so, wie man trainiert. Ich habe früher in Belgien trainiert, wo ich noch einmal extra Krafttraining machen musste. Alles habe ich selbst bezahlt. Als ich damals bei Bayern gespielt habe, hatten wir einen kleinen Kraftraum, der spartanisch eingerichtet worden ist. Nun hat sich extrem viel verändert. Die besten Bedingungen hat der FC Bayern heute im Kraftbereich. Wir haben früher an der Nordsee trainiert, ohne Pulsuhren. Diesen Luxus habe ich nicht gekannt. Bei Bayern München habe ich damals zweimal am Tag trainiert. Dann bin ich nach Hause gekommen, habe meine Kinder auf den Rücken genommen und Liegestütze gemacht. Ich habe auch zuhause trainiert. Im Winter wollte ich in der Halle auf der Matte trainieren. Dann habe ich in Eishockeykleidung Paraden trainiert. Du brauchst immer kreative Ideen. Im Fußball ist es doch immer das Gleiche: Ideen und Technik sind wichtig. Gute Vorbilder inspirieren junge Spieler immer. Wenn Rummenigge seine artistischen Einlagen gezeigt oder Günter Netzer seine Freistöße getreten hat. Vor diesen Spielern habe ich Respekt.

RUND: Die Bundesliga ist jetzt 50 geworden. Wollten Sie immer in Deutschland spielen?
Jean-Marie Pfaff: Ich bin glücklich, dass ich dort gespielt habe. Ich hatte anfangs jedoch auch Respekt und auch ein wenig Angst vor der Bundesliga. Damals habe ich immer um 18.05 Uhr die Sportschau angeschaut. Dann habe ich das Foulspiel an Ewald Lienen gesehen. Ich habe mir gesagt, dass ich in dieser Liga niemals spielen möchte. Zwei Jahre später spielte ich dort. 1978 spielte Bayern München in Toulouse, wo ich zum ersten Mal richtig auf diesen Verein aufmerksam geworden bin. Im selben  Jahr hat Sepp Maier seinen Verkehrsunfall gehabt. 1980 stand ich mit Belgien im Europameisterschaftsendspiel gegen Deutschland, als wir unglücklich mit 1:2 verloren haben. Bei uns waren im Gegensatz zu Deutschland von den 15 Kaderspielern noch zehn Amateure dabei gewesen, die nebenbei noch gearbeitet haben. 1982 wurde ich von Bayern München verpflichtet. Dieser Treffer im ersten Bundesligaspiel war echt hart, aber meine Frau und die Fans waren immer an meiner Seite. Csernai und Uli Hoeneß haben mich unterstützt. Auf den Fehler eines Torwarts zu warten, ist nicht besonders clever.

Klicken Sie hier, um Teil 2 des Interviews mit Jean-Marie Pfaff zu lesen


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