PORTRÄT
Der Beste aus zwei Welten
Zum angekündigten Karrieende von Philipp Lahm: Wenn die FT Gern in der Kreisklasse spielt, kommt er immer noch gerne zum Zuschauen. Der Weltmeister des FC Bayern hat seine Wurzeln nicht vergessen. Von Elisabeth Schlammerl. Ein Auszug aus dem Buch „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg".

 

 

 

Philipp LahmPhilipp Lahm. Foto Pixathlon

 

Es gehört zum Wesen des Profifußballs, dass Spieler nicht mehr dort daheim sind, wo sie aufwuchsen. Die Stars der Szene wohnen abgeschottet in großen Villen, fahren schnelle Autos, ihre Klubs stellen ihnen Helfer für alle Lebenslagen. In der Welt des Jetsets kommt es schon mal vor, dass man seine Wurzeln vergisst. Philipp Lahm kann das nicht passieren. Obwohl längst aufgestiegen in die Riege der weltbesten Fußballer, hat er seine Heimat  nie so richtig verlassen. Seine Heimat, das ist der kleine Stadtteilklub Freie Turnerschaft Gern. Dort begann 1988 die Fußballkarriere von Philipp Lahm.

Unterschiedlicher könnten die beiden Welten nicht sein. Das ist das Vereinsheim der FT Gern. Ein altes Holzhaus mit neuem Anbau an einer vielbefahrenen Ringstraße im Westen von München neben zwei Fußballplätzen. Gut zehn Kilometer entfernt steht das moderne Trainingszentrum des FC Bayern, des erfolgreichsten und größten Klubs Deutschlands, in einem Villenviertel im Süden der Stadt. Philipp Lahm fühlt sich hier wie dort zu Hause. Wenn er Zeit hat, schaut er ein Spiel der ersten Gerner Mannschaft in der Kreisklasse an. Und das traditionelle Sommerfest lässt er sich auf keinen Fall entgehen. Er genießt das Vereinsleben bei den Gernern.  „Da geht es in erster Linie darum, etwas zusammen zu unternehmen und Spaß zu haben.“

Als er gut vier Jahre alt, nahm ihn Kindergartenfreund zum ersten Mal mit. Die Lahms wohnten nur einen Katzensprung entfernt, jenseits der Ringstraße, und fortan war der kleine Philipp sooft es ging auf dem Vereinsgelände und schnappte sich einen Ball. Bald schon war die ganze Familie in die Vereinsarbeit involviert und ist es noch immer. Der Onkel ist Zweiter Vorsitzender, die Mama Jugendleiterin, der Freund der Schwester leitet die Vereinsgaststätte und der Papa, sagt Philipp Lahm, „ist die gute Seele des Vereins".

Früher war Roland Lahm eine Zeitlang Trainer bei den Junioren. Philipp spielte damals im offensiven Mittelfeld, glänzte erstaunlich früh mit großer Spielübersicht. „Ich glaube, man hat da schon gesehen, dass ich ein bisschen besser bin als die anderen."  Aber er hatte nie wie andere Jungen in seinem Alter davon geträumt, Fußballprofi zu werden, er hatte nicht einmal einen Lieblingsverein. Als Jan Pienta, ein Jugendtrainer des FC Bayern, 1995 in Gern auftauchte und hartnäckig um das Talent warb, interessiert das den kleine Philipp zunächst überhaupt nicht. Irgendwann ließ er sich doch überreden und wechselte in die Bayern-Jugend. Nicht nur sein Leben änderte sich, sondern das der ganzen Familie. Statt zweimal in der Woche nur ein paar Schritte entfernt von der elterlichen Wohnung zu trainieren, musste er bei den D-Junioren dreimal, später dann bis zu fünfmal zu den Bayern an die Säbener Straße, fast ans  andere Ende der Stadt. „Jeder in der Familie, der einen Führerschein hatte, wurde eingespannt, um mich zu chauffieren“, erinnert sich Lahm.  Oft sei er mit der Trainingstasche schon in die Schule gegangen  „Da muss man schon auf ein paar Sachen verzichten.“ Zumal die Eltern immer höchsten Wert darauf gelegt haben, „dass ich einen richtigen Schulabschluss mache“. Erst als er die Mittlere Reife in der Tasche hatte, gaben sie sich zufrieden.

Der Papa und die Mama waren bei jedem Spiel ihres Sohnes dabei, aber sie gehörten nie zu jenen überehrgeizigen Eltern, die sich lautstark und vehement einzumischen pflegen. Beim FC Bayern hat Lahm bald gelernt, sich durchzusetzen. „Zuerst musste ich nicht um einen Platz kämpfen, später schon. Da kam es schon mal vor, dass ich nicht von Anfang an gespielt habe." Lahm gehörte einer überaus erfolgreichen Generation beim FC Bayern an, die die nationale Konkurrenz beherrschte, zweimal nacheinander deutscher A-Jugend-Meister wurde.

Philipp Lahm mit dem Champions-League-PokalPhilipp Lahm mit dem Champions-League-Pokal. Foto Pixathlon
 
 
Es ging dann alles ziemlich schnell. Beim VfB Stuttgart, an den Lahm ausgeliehen worden war, startete der 1,70 Meter große Verteidiger ebenso durch wie bei der Nationalmannschaft. Dass seine Profikarriere auf der linken Seite begann, hatte einen einfachen Grund. Seine Lieblingsposition rechts war in Stuttgart belegt. Ob bei den Bayern, zu denen er 2005 zurückkehrte, oder bei der Nationalelf wurde er als absolut unverzichtbar erachtet. Einige andere wären bei einem derart steilen Aufstieg abgehoben, bei Lahm bestand diese Gefahr nicht. Er hätte es sonst mit den Leuten beim FT Gern zu tun bekommen. „Wenn ich da rüber gehen würde und einen auf ‚Hallo, ich bin´s mache, dann würden mich einige schnell wieder runter auf den Boden holen.“  Er trifft sich noch immer mit ein paar Gerner Kumpels von früher.

Die Familie und das Vereinsleben haben ihn zu einem bodenständigen, Menschen reifen lassen, einem Fußballprofi, der auch über den Tellerrand hinausschaut. Er hat schon in jungen Jahren eine Stiftung gegründet und engagiert sich für soziale Projekte. Seine Mutter erzählte, dass sie manchmal mit Philipp zum Einkaufen gehe. Er schaue dann immer auf den Preis. Dass sich der FC Bayern die Vertragsverlängerung bis 2016 einiges kosten lässt, muss kein Widerspruch sein. Für Philipp Lahm spielen Loyalität und Dankbarkeit eine große Rolle, deshalb kann er sich nicht vorstellen, ins Ausland zu wechseln. „Der FC Bayern hat mich das werden lassen, was ich heute bin.“ Der FC Bayern und die FT Gern.  

 

Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg.

 „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" von Matthias Greulich (Hg.) und Sven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5



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