DER NEUE MARADONA
Vom Planeten Messi
Weltmeister mit 35. RUND hat den Weltfußballer getroffen. Von Oliver Lück.




Lionel Messi
Der neue Maradona: Lionel Messi Foto Pixathlon

 
Es gibt nur wenige Momente, in denen Lionel Messi seine Füße wirklich still halten kann. Auch jetzt nicht, als er in kurzer Sporthose in der Empfangshalle eines Vier-Sterne-Hotels steht und einem argentinischen Radioreporter ein Interview gibt. Während sein Oberkörper fast bewegungslos verharrt und er mit ruhiger Stimme in das Mikrofon spricht, scheint seine untere Hälfte einem anderen Menschen zu gehören. Er schlägt die Beine übereinander. Zunächst das rechte über das linke, dann das linke über das rechte. Und wieder das rechte über das linke. Immer wieder zieht er dabei die Badelatschen an und aus. An und wieder aus. An und wieder aus. So geht es das gesamte Interview. Genauso, als er wenige Minuten später für das Fernsehen noch einmal dieselben Fragen beantwortet. Schnell streicht er noch einmal seine Haare glatt. Die Aufzeichnung beginnt – und damit auch die Zweiteilung des Lionel Messi: Badelatschen an und wieder aus. An und wieder aus. Oben die Gelassenheit eines erfahrenen Profis, unten die nervöse Spielfreude eines Schulkinds.

Längst ist man sich einig, dass Lionel Messi, 1,69 Meter klein, keine 70 Kilo schwer und dennoch kaum vom Ball zu trennen, der Superstar des FC Barcelona ist. „Der kleine Gigant“, wie ihn Spaniens Presse bereits taufte, ist das Erfrischendste, was die Fußballwelt zurzeit zu bieten hat. „Wir haben einen neuen Maradona“, sangen die argentinischen Journalisten ihre Lobeshymnen. „Er fühlt den Ball“, sagt Maradona selbst über Messi, „die beiden besten Spieler der Welt“ Messi und Ronaldinho, ohne Zweifel!“

So ruhen die Hoffnungen des FC Barcelona auch auf den schmächtigen Schultern eines 22-Jährigen. Es sei nicht normal, dass ein Spieler in diesem Alter auf einem derart hohen Niveau bei einem Verein wie dem FC Barcelona spiele, sagte José Nestor Pekerman gegenüber RUND. Niemand auf der Welt zeige eine solche Entwicklung. „Es ist ein Triumph und eine Ehre, ein Privileg und absolut himmlisch, der Trainer zu sein, der Messi unter seinen Fittichen hat“, schwärmt der Ex-Coach der argentinischen Nationalmannschaft.

Seine plötzlichen Richtungswechsel in höchstem Tempo. Seine fast magisch erscheinende enge Ballführung. Sein präzises Passspiel. Sein explosiver Antritt. Bei Lionel Messi geht alles nicht schnell, es geht furchtbar schnell. So schnell, dass für das bloße Auge oft nicht mehr zu erklären ist, was er da mit seinen flinken Beinen und dem Ball anstellt. Bewegungen, die regelmäßig auch seine Gegenspieler überfordern, die ihn meist nur mit Fouls zu bremsen wissen. Ein Messi in Ballbesitz in Strafraumnähe bedeutet oft Torgefahr und nicht selten Strafstoß. Auf diese Weise entschied er das Finale der U20-Weltmeisterschaft in den Niederlanden. Zwei explosive Antritte, zwei Fouls, zwei Elfmeter. Beide Male verwandelte er sicher und schoss Argentinien beim 2:1 gegen Nigeria zum WM-Titel. Zudem wurde er mit sechs Treffern bester Torschütze und zum besten Spieler des Turniers gewählt.

Der FC Barcelona hatte immer gewusst, dass sie einen kommenden Star in ihren Reihen haben. Wie gut Messi wirklich ist, hatte bis zu diesem Zeitpunkt allerdings niemand geahnt. Baráas Präsident Joan Laporta reiste Hals über Kopf nach Holland, um den Vertrag aufzubessern, bevor andere Vereine lukrativere Offerten machen konnten. Nun haben die Katalanen den Argentinier, der seit einigen Monaten auch einen spanischen Pass besitzt, bis 2014 an sich gebunden und die Ablösesumme auf ein ebenso gigantisches und unbezahlbares Maß wie bei Ronaldinho festgeschrieben: 150 Millionen Euro. Das jährliche Salär wurde kurzerhand von 150.000 Euro auf angeblich 4,4 Millionen erhöht.



Magische Ballführung: Lionel Messi verzückt Trainer und Fans
Illustration Andreas Krallmann


Als Messi im Mannschaftshotel in den Fahrstuhl steigen will, ist die Chance da: „Lionel, haben Sie Zeit für ein kurzes Interview?“ Schüchtern mustert der kleine Mann sein Gegenüber. „Kommen Sie“, sagt er und steigt in den Fahrstuhl. Wir fahren ins erste Stockwerk, setzen uns in eine ruhige Ecke an einen Tisch. Später, beim Abhören des Diktiergerätes, wird seine Stimme kaum zu verstehen sein. Er flüstert beinahe, nuschelt und verschluckt dabei die Hälfte seiner eh schon kurzen Sätze. Das Gespräch will die ganze Zeit nicht so richtig in Gang kommen. Dennoch beantwortet er höflich jede Frage. Er erzählt, wie er mit 13 Jahren gemeinsam mit seinen drei Geschwistern und den Eltern vor der argentinischen Wirtschaftskrise flüchtete und nach Barcelona zog. Wie fremd und verloren er sich ohne seine Freunde fühlte. „Meine Eltern wollten in Spanien arbeiten“, sagt er, „und ich war krank.“

Eine hormonell bedingte Krankheit behinderte sein Wachstum, er maß gerade mal 1,35 Meter. Die Medizin kostete 900 Dollar im Monat, doch seine Familie hatte das Geld nicht. Und kein argentinischer Klub wollte für die ärztliche Behandlung aufkommen. „Also versuchten wir unser Glück in Barcelona.“ In nur einem Probetraining überzeugte er die Trainer und erhielt einen Vertrag. Baráas damaliger Sportdirektor Carles Rexach kritzelte ihn auf das nächstbeste Stück Papier, auf eine Serviette. Messi zog in die Jugendakademie des Klubs. Und das Medikament, das er sich zwei Jahre lang jede Nacht injizierte, wirkte. Er wuchs, jeden Monat einen Zentimeter.

Seine Mitspieler Ronaldinho und Deco sind fasziniert von ihrem „kleinen Bruder“, wie sie ihn rufen, und staunen über seine rasante Entwicklung. „Sie unterstützen mich, wo sie nur können“, verrät Messi. Da er noch keinen Führerschein hat, holen sie ihn ab und zu zum Training ab. Deco geht mit ihm einkaufen oder zum Friseur. Sie geben ihm Tipps beim Training. Und sie haben auch dafür gesorgt, dass er in der Umkleidekabine des FC Barcelona neben ihnen sitzt. Etwas was sonst nur Spielern vorbehalten ist, die schon länger im Team sind. Die Neuen müssen weiter vorne am Eingang Platz nehmen. Messi blickt ungläubig, als er das erzählt. „Manchmal fühle ich mich noch immer wie im Traum, wenn ich mich auf dem Trainingsplatz umsehe und die ganzen Stars sehe“, gesteht er. Ob das alles etwas zu schnell für ihn geht? „Man wird sehen.“

Plötzlich ist das Gespräch beendet. Ein Pressemitarbeiter steht am Tisch, „Leo, hier bist du! Und wer sind Sie? Warum haben Sie das Interview nicht angemeldet?“ Lionel Messi steht auf, reicht die Hand und geht.

Draußen vor dem Hotel stehen einige Argentinierinnen. Sie tragen T-Shirts mit einem Aufdruck, der die unglaubliche Karriere des jungen Argentiniers und seine Art mit dem Trubel umzugehen treffend beschreibt. „Take it easy“, steht da auf den Oberkörpern der weiblichen Fans, und der Spruch geht noch weiter: „Take a Messi!“


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