PORTRÄT
Wasser für alle
Benny Adrion, früher Spieler beim FC St. Pauli, VfB Stuttgart und Eintracht Braunschweig, hat die Trinkwasserinitiative Viva con Agua gegründet. Von Roger Repplinger (Text) und Ulrike Schmidt (Fotos).

 

Benny Adrion
Heute ein Kamillentee: Benny Adrion mitten auf St. Pauli.

 

An der Wand vor seinem Büro hängt das Bundesverdienstkreuz. Haben einige Leute, die alles mögliche verdient haben, nur keinen Orden. Und es gibt einige wie Benny Adrion. Das Bundesverdienstkreuz hängt schief. Drüber andere Auszeichnungen. „Ich häng' das nicht auf“, sagt er. Hätte er nicht sagen müssen. Auf den Schränken Pokale.

Wir gehen einen Kaffee trinken, stellen einen Tisch und zwei Stühle in die Sonne. Adrion nimmt einen Kamillentee, groß. „Krank?“ Adrion schüttelt den Kopf. Jemand hat ihm erklärt, wie wichtig das Verhältnis von Basen und Säuren im Körper ist. Nun ist er motiviert und verzichtet auf Kaffee und Alkohol. Und – bringt's was? „Kann ich noch nicht sagen“, sagt er.

Adrion, 32, war mal Fußballprofi, ist für den VfB Stuttgart, Eintracht Braunschweig und den FC St. Pauli aufgelaufen. Einige seiner Mitspielern aus der Jugend des VfB: Kevin Kuranyi (FC Dinamo Moskau), Christian Tiffert (VfL Bochum), Timo Wenzel, Felix Luz (beide SV Elversberg), Aljaksandr Hleb (BATE Borisov), Fabio Morena (Hamburger SVII), spielen noch, andere, wie Marvin Braun und Andreas Hinkel (Trainer U-12 des VfB), nicht mehr. Mit Luz und Wenzel hat er Kontakt, aber total wichtig ist Fußball nicht mehr.

War nie total wichtig.

Er hat sich schon mit 15 überlegt, was es mit ihm macht, wenn er sich nur auf Fußball konzentriert. Vater Rainer Adrion, phasenweise sein Trainer, war keiner, der unerfüllte Ambitionen auf den Sohn packte. Benny hat sich gefragt: „Was passiert mit mir, wenn ich Profi werde?“ Nach der A-Jugend hatte er aufgehört. Dann holte ihn der VfB in die Regionalligamannschaft. Dann ging es doch weiter. „Mach ich das halt mal: Profi“, sagte sich Adrion.

„Es gab keine Lebensplanung“, sagt er, „von daher ist durch Viva con Agua nichts über den Haufen geworfen worden.“ Beim Wintertrainingslager 2005 auf Kuba sah er, dass es Probleme mit dem Wasser gibt. Präsident Corny Littmann, der Trainer und die anderen Profis haben es entweder nicht, oder nicht als ihr Problem gesehen. Adrion sah nicht nur das Problem, sondern wollte auch was ändern, und gründete 2005, kaum wieder in Hamburg, zusammen mit der Welthungerhilfe und dem Club „Viva con Agua de St.Pauli“. Auf Kuba stehen inzwischen in mehr als 153 Kindergärten und vier Sportinternaten Wasserspender mit sauberem Trinkwasser.

Nach der Saison 2005/06 wollte er mit Fußball aufhören und nur noch Viva con Agua machen. Manager Holger Stanislawski redete mit ihm, der FC St. Pauli zog die Option. Also entschied sich Adrion so: „Ich mach beides: spiele weiter und engagiere mich für Viva con Agua.“ Er hat 2006 mehr Viva con Agua gemacht als Fußball gespielt, er war verletzt, schlampig bei der Reha. Trainer Andeas Bergmann war mit der Arbeit des Mittelfeldspielers unzufrieden.

Gründungsstifter von Viva con Agua waren Bela B., Mark Tavassol (Wir sind Helden), Marcel Eger, Schlagzeuger und Fußballer, zuletzt beim FC Brentford, der nun wieder in Hamburg lebt, und Personalmanagerin Renate Eger. Am Anfang finanziert durch Frank Otto und andere, ist Viva con Agua inzwischen ein Verein mit 4300 registrierten Ehrenamtlichen, die in „Zellen“ arbeiten, von denen es neben den 37 in Deutschland außerdem welche in der Schweiz, in Österreich und Spanien gibt. Die Ehrenamtlichen sammeln auf Festivals im deutschsprachigen Raum Pfandbecher. Im vergangenen Jahr wurden auf über 50 Festivals mehr als 60.000 Euro an Spenden gesammelt. Viva con Agua ist mit dem FC St. Pauli und dessen Fans verknüpft: Der Club gibt der Initiative mit der Kampagne „Kiezhelden“ eine Plattform, stellt Teile des Millerntor-Stadions für die Kunstgalerie „Millerntor Gallery“ zur Verfügung und erlaubt Viva con Agua das Sammeln von Pfandbechern bei Heimspielen. Musiker und Bands wie Gentleman, Clueso und Wir sind Helden spielten Benefiz-Konzerte für Viva con Agua.

Seit 2006 kamen mehr als zwei Millionen Euro an Spendengeldern zusammen. Etwa 90 Prozent dieser Spenden fließen an die Welthungerhilfe, die die Wasserprojekte realisiert. Durch die Projekte – vor allem in Ostafrika – besserten sich die Lebensbedingungen von über 200.000 Menschen.
Seit 2010 ist Viva con Agua auch eine GmbH, an ihr hält der Verein 20 Prozent, 40 Prozent die Stiftung, 40 Prozent Investoren. Diese GmbH ist für das Wasser, das Viva con Agua vertreibt, zuständig. In diesem Jahr macht die GmbH zum ersten Mal einen Gewinn – in sechsstelliger Höhe. Davon wird ein Viertel gespendet, der Rest „läuft gegen den kumulierten Verlustvortrag“, sagt Adrion, „ab nächstes Jahr geht der komplette Gewinn in die Ausschüttung.“

Adrion studiert berufsbegleitend Wirtschaftswissenschaften – und zwar internationales Management. „Ich bin froh, inzwischen eine wirtschaftswissenschaftliche Grundlage zu haben“, sagt er. Dass er die mal braucht, war am Anfang nicht klar. Bei der Gründung der GmbH saßen sieben Anwälte am Tisch. „Ich habe erst nach einem halben Jahr verstanden, was Kommanditisten bei einer GmbH so machen“, sagt er.

Adrion hat nicht vor, „aus unserem privaten Engagement ein Geschäft zu machen“, also geht es auch bei der GmbH nicht drum, Gewinne zu machen. Kommt vor, ist nicht das Ziel. „Wir packen auch weiter die Utopie ins Projekt“, sagt er. Arbeitsverträge bei Viva con Agua sind anders als bei Unternehmen, Arbeit ist anders organisiert.

Verein und GmbH sind erfolgreich, „weil wir glaubwürdig sind“, sagt Adrion. Er trinkt seinen Tee leer und muss zum nächsten Termin. Er trägt keine Krawatte, keine Lackschuhe, und fährt mit dem Rad. Ist ein schönes Rad. Wie man sie jetzt so hat.

 

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Benny AdrionIm Büro von Viiva con Agua de Sankt Pauli: Auf seinem Laptop zeigt Exprofi Benny Adrion, für welchen Hamburger Verein sein Herz schlägt.

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