HSV-KRISE
Als Marke in Richtung Zweite Liga
Das Experiment, den Hamburger SV als Markenartikel zu führen, ist gescheitert. Die Verpflichtung des nächsten Trainers und Sportdirektors wird daran nichts ändern. Von Roger Repplinger.

 

Joachim Hilke und Carl Edgar JarchowSie präsentieren den abstiegsbedrohten Hamburger SV: Joachim Hilke (Vorstand Marketing und Kommunikation, links) und Vorstandschef Carl-Edgar Jarchow. Foto: Pixathlon

 

Erklärungen für die Lage der in Abstiegsgefahr schwebenden Profifußballer des Hamburger Sportvereins gibt es viele. Es heißt, und das alle vier bis acht Monate, der Trainer sei ein Pfosten. Nun haben Trainer hier gearbeitet, die vor dem HSV und danach erfolgreich waren, jedenfalls erheblich erfolgreicher als in Hamburg, und warum soll immer ausgerechnet der HSV die Ahnungslosen unter den Trainern erwischen? Das scheint es nicht zu sein.

Die Spieler, heißt es, würden nicht für die Raute brennen, hätten sie nicht im Herzen, besäßen die falsche Mentalität, und was weitere, den Charakter der Profis in Zweifel ziehende Unterstellungen noch sind. Nun hat sich durch Auswechslung fast des gesamten Kaders in den vergangenen Jahren nichts geändert. Spieler wie Per Skjelbred, Marcel Ndjeng und Artjoms Rudnevs, weisen bei anderen Clubs Bundesligatauglichkeit nach. Man muss schon mit Verschwörungstheorien oder dem System Profifußball argumentieren, um es den Spielern anzuhängen. Bleibt der Sportdirektor, der die Verantwortung für die Lage tragen soll. Da haben sich in den vergangenen Jahren verschiedenste Charaktere, eine Frau und diverse Männer, versucht. Erfolg stellte sich nicht ein. Es gilt ähnliches wie beim Trainer …

Vielleicht sind es ja metaphysische Dinge: die Luft im Volkspark, schlechte Aura, schlechtes Karma, ein Fluch, möglicherweise Uwe Seeler, der dem Verein nach dem angeblich schmählichen Umgang mit seinem Enkel Levin Öztunali die Liebe entzogen hat. Aber ging es nicht schon vorher bergab?

Ich möchte einen anderen Blickwinkel vorschlagen. Ich denke, wir werden Zeuge eines Experiments, das schief gegangen ist. Das Experiment bestand darin, eine Profifußballmannschaft nach den Prinzipien eines Markenartikels, also mit den Mitteln von Public Relation und Marketing zu führen. Unwichtig, was der Mannschaft sportlich nützt, entscheidend, dass die Marke gut aussieht. Das ist, wie man beim HSV sieht, nicht das Gleiche.

Diese Entwicklung zeigte sich bei der Verpflichtung von Sylvie und Rafael van der Vaart, die über den Kopf des Trainers, er hieß, wenn ich mich richtig erinnere, Thorsten Fink, und des Sportdirektors, war es nicht Frank Arnesen, hinweg erfolgte. Die sportliche Leitung war ob der Verpflichtung des Mittelfeldspielers, dessen Spielweise den Anforderungen des modernen Fußballs nicht entspricht, irritiert. Der Mannschaft und ihrem Spiel wurde mit van der Vaart nicht geholfen. Die Verpflichtung hatte ausschließlich PR- und Marketing-Gründe und den Sinn, dem Milliardär Kühne eine Tür zum HSV zu öffnen.

Die Verpflichtung der Fernsehmoderatorin und des Fußballers – in dieser Reihenfolge – wurde bewerkstelligt von Joachim Hilke, der am 16. März 2011 zum Vorstand Marketing und Kommunikation des HSV ernannt wurde. Hilke ist für die Zusammenarbeit mit dem Vermarkter „Sportfive“ zuständig, ihm obliegt das Sponsoring und der Betrieb der Arena als Immobilie und Veranstaltungsort. Gegenüber UEFA und DFL repräsentiert er mit dem Vorstandsvorsitzenden Carl-Edgar Jarchow – über den zu sagen, dass er blass ist, eine blumige Übertreibung ist – den Verein. 
Von 1998 bis 2010 saß Hilke in verschiedenen Führungspositionen der „Sportfive Group“. Er hat, wie die Verpflichtung der van der Vaarts zeigt, die Vakanz, die durch die ständigen Personalwechsel im sportlichen Bereich entstand, entschlossen ausgenutzt, und sich als Mann, der große sportliche Entscheidungen fällt, durchgesetzt. Von den Medien der Stadt, die sich monatelang von den van der Vaarts gut nährten, wird er gefeiert und gegen Kritik geschützt.

Zur Unzeit hat der HSV eine lange und erbittert geführte Ausgliederungsdebatte geführt, ohne Rücksicht auf die Frage, ob da eventuell eine Zweitligamannschaft ausgegliedert wird. Für Wochen war die Profimannschaft ein Spielball von mehr oder weniger wohlmeinenden Herren jenseits der Sechzig, die sich einen Wahlkampf lieferten, von dem man sich wünscht, dass das Geld und die Energie, die er gekostet hat, in die Mannschaft geflossen wären. Auch hier: die Medien machten begeistert mit. Das PR- und Marketing-Konzept geht auf. Die Mannschaft ist nur dazu da, abgewatscht, beleidigt, aufgepfiffen zu werden.

Hilke, der sich auf der Hauptversammlung zur Überraschung seiner konsternierten Vorstandkollegen, als Gefolgsmann eines der Reformkonzepte zu erkennen gab, womit er seine Zukunft auch in einer ausgegliederten Fußball-Abteilung zu sichern versuchte, war es, der, einer nach der Hinrunde der Bundesliga am Abgrund stehenden Mannschaft, eine Rückrunden-Vorbereitung verordnete, die mit Jonathan Tah und Marcell Jansen zwei kranke, und mit Pierre-Michel Lasogga einen verletzten Spieler, einbrachte. Und ein bisschen Geld kostete, statt welches einzubringen. Der Stammtorwart, René Adler, musste die Reise ins nahe gelegene Indonesien, mit Testspiel in Malang, und anschließendem Trainingslager in Abu Dhabi, eine Reise durch mehrere Zeit- und Klimazonen, mitmachen, als noch nicht feststand, wie schwer seine Knöchelverletzung war. Sie war schwerer. Die Mannschaft braucht neben ihm vor allem Mittelstürmer Lasogga. Adler fehlte in den ersten beiden, Pierre-Michel Lasogga, mit 190 Zentimetern Länge zu groß selbst für die bequemsten Sitze in Flugzeugen, und für Busreisen ins Landesinnere sowieso, in den ersten drei Spielen der Rückrunde, die mit 0:3 verloren wurden und einen Abstiegsplatz einbrachten.

Hilke wurde von Kai Schiller, Sportredakteur des  „Hamburger Abendblatts“, für die Reise nach Indonesien gefeiert. Hilke wurde mit den Sätzen zitiert: „Die Vereine in der Bundesliga kommen immer mehr auf den Trichter, dass sich auch im Ausland sehr gutes Geld verdienen lässt." Die Frage, warum dann nur der HSV in Indonesien unterwegs war, statt sich seriös auf die Rückrunde vorbereiten, stellte sich Hilke nicht. Gestellt wurde sie ihm auch nicht. Den HSV sah Hilke als Pionier: „Man kann schon sagen, dass wir da durchaus Vorarbeit für die ganze Liga geleistet haben." Oft ist es ja gerade der Pionier, den es als ersten erwischt.

Es scheint so, als ob sportliche Belange bei diesem Club in dieser Phase keine Rolle spielen. Die Entwicklung der Bundesliga geht in die andere Richtung. Je stärker die Clubs auf den Fußball konzentriert sind, ihn als Basis für den Rest, auch für PR und Marketing ansehen, desto besser sind sie. Dort, wo Trainer und Sportdirektoren stark sind, ist der Erfolg. Der HSV, bei dem die sportliche Kompetenz, die da ist, hinter anderen Gesichtspunkten zurückstehen muss, hat – bei rund 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten – weder ökonomischen noch sportlichen Erfolg.

Bezeichnend für den HSV ist, dass nun der Trainer kritisiert wird. Bert van Marwijk hat es immerhin geschafft, dass nicht zuerst das Trainingslager und dann die Reise nach Indonesien kam, sondern umgekehrt. Hilke hat das kritisiert. Van Marwijk hat, was für ihn spricht, diese Konflikte nie dramatisiert. Bezeichnend für den HSV ist, dass Hilke keine Verantwortung übernimmt und sagt: „Ja, das war Mist, das machen wir nie mehr. Lasst mal den Trainer in Ruhe, ich hab's verbockt“, sondern zu denen gehört, die van Marwijk kritisieren.

Die eindimensional ökonomische Sicht auf den Fußball, die so tut, als sei ein Verein eine Marke wie Uhu, zeigt sich in dieser Woche, als das „Hamburger Abendblatt“ seine Leser mit einer ausgeklügelten Rechnung, was die Stadt ein Abstieg des HSV kosten würde, konfrontierte. Auf dem Platz zeigt sich, dass diese Perspektive falsch ist. Uhu klebt auch, wenn der Bastler schlecht drauf ist. Die Spieler des HSV sind eben nicht nur der Uhu, sondern auch der Bastler.

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