AUSSER FUSSBALL
Harte Schüsse auf das Schweinchen
Pétanque ist längst keine exklusive Veranstaltung für Gitanes paffende Kerle mit oder ohne Bewegungseinschränkungen. Bestes Beispiel: Indra Waldbüßer aus Echterdingen bei Stuttgart wurde Dritte bei der Pétanque-EM 2012 und berichtet im Gespräch mit dem Hamburger Autor René Gralla über den speziellen Kick am Klacken der Pétanque-Kugeln.

 

Indra Waldbüßer „Ich bin eine Schießerin“: Indra Waldbüßer wurde 2012 Dritte bei der Pétanque EM
Foto: DPV

 

Eigentlich ist der Sport aus der Not geboren. Als den Lokalmatador Jules Le Noir im südfranzösischen La Ciotat 1907 dermaßen das Rheuma plagte, dass er nicht mehr die notwendigen Ausfallschritte für sein geliebtes "Jeu Provencal" schaffte, änderte Kumpel Ernest Pitiot kurz entschlossen die Regeln. Fortan sollten die spieltypischen Metallkugeln Richtung Zielobjekt, dem auch Nichtfranzosen bekannten "Cochonnet" aka "Schweinchen", allein aus dem Stand mit geschlossenen Füßen expediert werden. Die Stunde Null des Pétanque - das gut hundert Jahre später allerdings schon lange nicht mehr eine exklusive Veranstaltung für Gitanes paffende Kerle mit oder ohne Bewegungseinschränkungen ist. Siehe Indra Waldbüßer aus Echterdingen bei Stuttgart: Die 33-jährige Fachkraft in der Touristikbranche wurde Dritte bei der Pétanque-EM 2012 und berichtet im Gespräch mit dem Hamburger Autor René Gralla über den speziellen Kick am Klacken der Pétanque-Kugeln.
 
Sie entsprechen nicht gerade dem Klischee der Pétanque-Szene. Normalerweise denkt man dabei an ältere Franzosen, die in den Parks der Provence ihre Kugeln rollen.
Indra Waldbüßer: Ein Vorurteil, wie Sie sehen. Nun gut, die Männer stellen im Pétanque zwar noch die Mehrheit, aber inzwischen finden auch immer mehr Frauen Spaß an diesem Sport. Wobei weltweit nicht einmal die Französinnen dominieren, vielmehr kommen die besten Spielerinnen aus Thailand. Die sind nämlich ausnahmslos Sportsoldatinnen, die professionell trainieren, seitdem Pétanque dort von Prinzessin Srinagarindra, der Mutter des heutigen Königs Bhumibol, eingeführt und propagiert worden ist.
 
Und wie hat das bei Ihnen angefangen?
Während eines Ferienaufenthalts in Nordfrankreich, da war ich 13 Jahre alt. Mein Vater begann sich für Pétanque zu begeistern, als er den Leuten beim Spiel zusah. Ich fand das auch interessant, und als wir eingeladen wurden, das mal auszuprobieren, hat es mir gleich viel Spaß gemacht. Nach der Heimkehr bin ich sofort zum Turnier um die Meisterschaft in meiner Heimatstadt angetreten und belegte auf Anhieb den zweiten Rang. Dieser schnelle erste Erfolg war der Auslöser, dass mich Pétanque bis heute nicht mehr losgelassen hat.
 
Was sagen Freunde und Bekannte zu Ihrer Leidenschaft?
Manchmal wird man tatsächlich etwas schräg angeguckt. Aber das ist mir völlig egal. Wenn die Metallkugeln aneinanderklacken, gibt mir das einen richtigen Kick. Außerdem ist Pétanque ein Sport, der quer durch alle sozialen Schichten und Generationen übergreifend ausgeübt werden kann. Der Arbeitslose misst sich mit dem Professor, und ein neunjähriger Junge spielt mit einer Oma, die schon die 70 weit überschritten hat. Diese bunte Mischung finde ich schön.
 
Weil Sie gerade die Pétanque-begeisterte Großmutter erwähnt haben: Wahrscheinlich ist das Spiel perfekt für Ältere, die in Bewegung bleiben wollen ...
... tatsächlich gibt es inzwischen eine Reihe von Seniorenheimen, die Pétanque in ihr Freizeitangebot aufgenommen haben.
 
Eine Perspektive, die für Sie natürlich noch in sehr weiter Ferne liegt. Aktuell zählen Sie in Europa zur Leistungsspitze der Frauen, sind bei der EM 2012 immerhin Dritte geworden. Ihr Erfolgsrezept?
Viel Training. Vor wichtigen Turnieren übe ich bis zu fünfmal die Woche.
 
Kriegen Sie davon keinen Muskelkater?
So schwer sind die Pétanque-Kugeln nun auch wieder nicht, die wiegen bloß knapp 700 Gramm.
 
Haben Sie eine bestimmte Strategie, um zu punkten?
Im Wesentlichen gibt es zwei Vorgehensweisen. Die eine Methode ist das Legen, indem Sie versuchen, vermittels geschickter Wurftechnik - manchmal genügt auch Rollen - Ihre Kugeln möglichst nahe an die Zielkugel, das berühmte "Schweinchen", heranzubringen. Die zweite Variante ist das so genannte Schießen, das heißt, sie wollen durch harten und platzierten Einsatz eigener Kugeln die gegnerischen Kugeln vom Schweinchen wegschlagen. Dafür müssen Sie hoch konzentriert sein. Und Sie benötigen ein gewisses Ballgefühl, wie ich das vereinfachend nenne, schließlich müssen Sie die richtige Kombination aus Wurfkraft, sprich: Schub, und Flugbahn wählen, um Ihre Kugel an den gewünschten Platz zu befördern. Folglich sollten Sie mehrdimensional denken können, und deswegen ist es für mich persönlich während einer Partie stets ein Riesenvorteil, dass ich früher in der Schule gut in Mathematik war.
 
Wie agieren Sie auf dem Pétanque-Platz?
Ich bin eine Schießerin.
 
Demnach eher aggressiv. Doch jetzt eine simple praktische Frage: Die Kugeln sehen alle gleich aus. Wie finden Sie, nachdem Ihre Kugel gelandet ist, das eigene Teil raus zwischen den anderen Dingern?
Die sind markiert mit unterschiedlichen Kennziffern.
 
Ende September lädt das türkische Mersin zur diesjährigen Europameisterschaft. Ihr Plan?
Eine Medaille sollte drin sein.
 
Auch außerhalb der Turnierarena mag sich ein echter Pétanqueur von seinen Kugeln kaum trennen.
Da ist was dran, das Spiel hat einen nicht zu unterschätzenden Suchtfaktor. Gehe ich auf Reisen und ein frankophones Land steht auf dem Programm, gehört das Set in mein Gepäck. Das kann zu wunderbaren Begegnungen führen, zum Beispiel habe ich in Neukaledonien an der Strandpromenade mit Blick auf den südlichen Pazifik ein paar Runden bestritten gegen eine Gruppe einheimischer Männer. Die guckten erst leicht irritiert, als ich meine Pétanque-Kugeln rausholte, aber am Ende waren sie total fasziniert, dass ich dermaßen gut mithalten konnte.
 

Weitere Infos: www.petanque-dpv.de  

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