FUSSBALLBÜCHER FÜR DEN URLAUB
Uli Hoeneß: Hybris im Gerichtsaal
Ein eigenes Buch wollte Uli Hoeneß nie schreiben. Patrick Strasser und Günter Klein haben für "Hoeneß – die Biografie" mit vielen Weggefährten gesprochen und zeichnen das Bild eines faszinierenden Machtmenschen.Von Giovanni Deriu

 

Uli Hoeneß 1974
Uli Hoeneß 1974. Foto Pixathlon

 

Manchmal versteht unsereiner Menschen, die eigentlich alles hatten, und dennoch ins Kittchen wandern müssen, weil sie sich am Staat sowie an der Gesellschaft (nichts anderes ist ein Steuerbetrug) bereichert haben, nur schwer – aber zumindest ein bisschen, wenn man ihre Biographien kennt. Über Uli Hoeneß wurde in den vergangenen Monaten seit seinem Prozess und seiner Inhaftierung in Landsberg am Lech viel geschrieben. Der ehemalige Bayer-Manager und Präsident ist zumindest bei den Bayern alles andere als eine persona non grata. Erst vor kurzem besuchten ihn Trainer Pep Guardiola und Franck Ribéry. Balsam auf die Seele des Metzgersohnes aus Ulm. In Italien sagt man, echte Mafiosi ziehen auch hinter hohen Gefängnismauern die Strippen.
 
Um Uli Hoeneß wirklich zu verstehen, müsste man eigentlich sein Leben noch weiterhin verfolgen, gegebenenfalls eine Autobiographie abwarten, von Uli höchstpersönlich verfasst - doch wie heißt es so schön, nirgends wird so viel gelogen und "geschönt" wie im Krieg und in einer Autobiograhie.
 
Deswegen lohnt sich ein Blick in das knapp 300 Seiten starke Buch über Uli Hoeneß. Erschienen im riva-Verlag, kurz und prägnant heißt das Buch "Hoeneß – die Biografie". Geschrieben und verfasst mit übersichtlicher Quellenangabe von den Journalistenkollegen Patrick Strasser und Günter Klein. Und zumindest Strasser ist Uli Hoeneß oft begegnet, hat ihn bereits als junger Journalist oft gesprochen, musste des Managers "Telefon-Tiraden" ertragen - genauso wie der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff, litt Hoeneß an einer Hybris, sich jeden gefügig machen zu wollen - aber blieb standhaft, zumal auch Hoeneß nie nachtragend im eigentlichen Sinne war. Die Biographie wirft den Blick auf einen absoluten Machtmenschen, der selber zugab, ein Zocker zu sein, und selbst im Gerichtssaal, am letzen Tag der Verhandlung, meinte man spüren zu können, Uli Hoeneß rechne mit einem gnädigen Urteil, irgendwie davon zu kommen - wie bis dato damals auch.
 
Strasser und Klein füttern das Buch mit Zitaten von Wegbegleitern und aus zahlreichen eigenen Gesprächen und Erlebnissen, so dass der Leser glaubt, Hoeneß besser kennenzulernen. Aber ob wir jemals erfahren werden, ob Uli Hoeneß sich auch einer psychotherapeutischen Sitzung im Vollzug unterzieht? Wann ist ein Machtmensch wie Hoeneß wirklich geheilt, kann er doch nicht einmal jetzt loslassen? Bis zum letzten Atemzug wolle er dem FC Bayern dienen, wie er auf der Hauptversammlung kürzlich sagte, und die Bayern-Fans feierten ihren, zu diesem Zeitpunkt bereits verurteilten, Präses.
 
Ottmar Hitzfeld, meinte einmal: "Uli ist ein Querdenker, er denkt anders als alle. Er ist der Visionär. Er hat den Riecher, er holt das Geld rein." Zumindest ein bisschen Bewunderung schwingt in der Aussage des ansonsten kühlen Trainers und studierten Mathematikers mit. Weniger vorsichtiger müssen Kabarettisten sein, so wie "Django Asül" aus Bayern: "Irgendwann in den 70ern fusionierten Herz und Ellbogen - und der Manager Hoeneß ward geboren."  Und damit trifft der Spaßmacher vielleicht des Pudels Kern in der ganzen Biographie, und man kann Hoeneß nicht einmal Strategie unterstellen, dass er als Manager und FC Bayern-Verantwortlicher immer auch den Blick auf die Schwachen hatte, ob Spieler die verletzt waren, oder Schicksalsschläge in deren Familien, sowie Pleite-Clubs die beinahe keine Lizenz mehr erhielten (FC St. Pauli), Hoeneß machte Hilfe schnell und unbürokratisch möglich. Instanzen fragen? Uli Hoeneß war die Instanz. Dass auch schnelle wie soziale Hilfen Geld kosten, war klar. Von irgendwoher musste das Geld kommen.
 
Doch wie wurde Hoeneß zudem, wie er wurde? Welcher Ehrgeiz trieb ihn an?
Okay, da wäre der (nicht zu unterschätzende) Punkt, dass Hoeneß, gerade einmal 30, als einziger einen Flugzeugabsturz überlebte. Drei weitere Freunde der Propellermaschine starben. Ein neuer Geburtstag quasi. Und so etwas verändert natürlich jeden Menschen - fragt sich nur, in welche Richtung schlägt das Pendel aus? Interessant auch, stets an seiner Seite, Paul Breitner und später Karl-Heinz Rummenigge als Regulatoren, die ihren Mitspieler und später Manager schon mal leicht abbremsen mussten. Aber, es sei immer eine feste und tiefe Freundschaft zu beiden gewesen. Und, nur seine Sekretärin und Vorzimmerdame, Karin Potthof, habe noch mehr mitbekommen von Hoeneß - neben dessen eigener Frau, natürlich.
 
Und des Managers Ehrgeiz, es allen zu zeigen, speise sich daraus, so einmal Oliver Kahn: "Dass der Spieler Uli Hoeneß einfach zu früh seine Karriere beenden musste ..." Mit 27.
Das erklärt einiges, doch manchmal sind es die feinen Nuancen, die fast untergehen. Denn, Uli Hoeneß erfuhr vielleicht auf der Massagebank, wie das Fußballbusiness schon damals funktionierte.
 
Auf Seite 157 der Biografie gibt Hoeneß selbst einen Einblick sein Seelenleben und "Ich-kann-nicht-anders". Da ist vom Schlüsselerlebnis die Rede. 1979 geplagt von einem Kreuzbandriss, bereits mehrfach operiert, lag Hoeneß auf der Liege bei Masseur Josef Saric. Und der steckte ihm zu: "Uli, du musst aufpassen. Sie wollen dich verkaufen, so bald du wieder laufen kannst." Saric hatte nämlich ein Telefonat zwischen Präsident Neudecker und Manager Robert Schwan (gleichzeitig Beckenbauers Hofmanager) belauscht.
 
Tief gekränkt war der zukünftige Manager Hoeneß und schwor sich: Starken muss man manchmal Angst machen. Aber Schwache einschüchtern? Das würden selbst nur "Schwache fertig bringen".
 
Der kaltzschnäuzige, angriffslustige Manager Hoeneß war geboren. Vielleicht tut man Hoeneß Unrecht, aber er wusste stets, wie er Abhängigkeiten schafft. Deshalb auch heute noch sein recht großer "Hofstaat", die ihn auch im Gefängnis nicht allein lassen.
 
Einige, auch kritische, Wegbegleiter von Hoeneß, darunter eben Kahn, Mehmet Scholl und Ballacks Berater, Michael Becker, äußerten immer wieder, Hoeneß Stärke sei das "Vier-Augen-Gespräch". Keine Chance, so Oliver Kahn und Michael Becker unisono, aus Hoeneß' Büro mit dem eigenen Vorhaben hinauszugehen. So blieb Kahn bei den Bayern, anstatt zu ManU nach Manchester zu wechseln, und auch Mittelfeldstar Michael Ballack wurde von Hoeneß bearbeitet, er möge doch nicht vor der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Lande wechseln. Klar, ein Wechsel im WM-Sommer, und Ballack wäre ablösefrei. Letztendlich sei alles klar gewesen, doch ausgerechnet Rummenigge vermaselte den Deal in einer hitzigen Bierzeltatmosphäre in der Jahreshauptversammlung im November 2005: "Wir haben unser Angebot offiziell zurückgezogen", Ballack und Becker standen unter Druck. Wer verliert schon gern sein Gesicht? So wechselte Ballack ablösefrei nach London. Auffallend still blieb Hoeneß in dieser Zeit. Kahn selbst offenbarte Hoeneß nie die Angebote aus dem Ausland - mehrmals auf dem Weg zu Hoeneß' Büro machte er wieder kehrt - keine Chancen, so Kahn, der Manager hätte mich umgedreht.
 
Buch: Hoeness
Patrick Strasser und Günter Klein "HOENESS; DIE BIOGRAFIE" erschienen im riva-Verlag; ISBN 978-3868834352, 304 Seiten, 16,99 Euro
 
 

Ein Kapitel im Buch stellt die Gegner von Hoeneß vor. Es heißt "Elf Feinde müsst ihr sein". Wir wollen nun nicht zu viel vorgreifen hier, aber an erster Stelle, in all den Jahren ohne Versöhnung:  Im Tor, Willi Lemke, der Urtyp des Hoeneß-Feindbildes. Hoeneß wolle sich nie mit Lemke versöhnen, und Lemke selbst meint, er schalte immer um, wenn Hoeneß auf der Mattscheibe erscheine.
 
Feind als linker Verteidiger: Christian Ude, Münchens ehemaliger Bürgermeister. Lange Zeit fühlte sich Hoeneß und damit die Bayern benachteiligt, auch weil der Ex-OB einmal einer Meisterfeier wegen seines Urlaubs fern blieb.
 
Defensives Mittelfeld: klar, Christoph Daum. Die Schneelawine trat schließlich Uli Hoeneß selbst los. Daum wurde demontiert, und Hoeneß meinte, er habe nur seine Pflicht getan. Eine Revanche zum lgendären Sportstudio-Auftritt im ZDF mit Hoeneß, Daum und Heynckes. Damals, anno 1989, attackierte der aufgedrehte Kölner Daum Coach Heynckes bitterböse, und Hoeneß spielte sich als Anwalt Heynckes auf. Bis heute zählt Uli Hoeneß Heynckes zu seinen absoluten Freunden.
 
Auch Klinsmann und Van Gaal, zwei (zu) starke Persönlichkeiten laufen im Team der Feinde auf. Ja, in Heynckes habe sich Hoeneß nie getäuscht. Spät dann die absolute Genugtuung mit dem Tripple-Sieg. Doch da schmeckte Hoeneß der Siegestrunk nicht mehr so süß. Die Steueraffäre nahm ihren Lauf. Zum 60. Geburtstag von Hoeneß, sagte Louis van Gaal ab (Hoeneß hatte ihn eingeladen, aber ohne echte Aussprache nach der Entlassung): "Als unpassend", empfand der stolze Niederländer und Double-Gewinner die Einladung. Vielleicht einer, der Hoeneß schnell durchschaute (dazu auch mehr in der gelungenen Biografie), dass hinter so einer Einladung auch Kalkül stehe, seht her, ich Hoeneß kann mit jedem, egal was gewesen ist ...
 
Alle machten Uli Hoeneß' Machtspiele dann doch nicht mit. Schon gar nicht die Staatsanwaltschaft, sowie sein eigener Verteidiger, der Hoeneß in seiner Hybris auf den Boden holen musste.
 
Die Autoren Strasser und Klein schließen damit, dass für Uli Hoeneß wohl keine tragende Rolle nach Verbüßung der Strafe bleibe, wenn er zurückkehrt. Für die Bayern-Fans bleibt er ein Großer, und Günter Klein ruft immerhin lobend aus, ohne das Geschehene zu relativieren: "Brüche gehören zu einer Biografie", und wie die weiteren Kapitel, im Gefängnis und die Zeit danach, auch immer sein mögen - "was für ein Leben!"
 
Die Bundesliga und der deutsche Fußball bestehen auch ohne Uli Hoeneß, und vielleicht ist es besser, nicht alles zu erfahren, über mögliche dunkle Kanäle und weitere versickerte oder verzockte Steuermillionen, die unterschlagen wurden. Uli Hoeneß verbüßt nun zurecht eine Strafe, aber er sollte die Zeit auch nutzen, einen neuen Weg einzuschlagen.

 
RUND-Autor Giovanni Deriu; Redakteur und Sozialpädagoge. Er analysiert Biographien.

 
 

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