INTERVIEW
„Ausgerechnet Schnellinger reichte!“
Er gilt für viele Sport-Kommentatoren als Vorbild. Erich Laaser hat 35 Jahre Erfahrung als Fußball-Reporter. Wann gefällt ihm ein TV-Kommentator, wann dreht er den Ton herunter? Interview Henning Klefisch

 

Karl-Heinz Schnellinger gegen Italien 1970, im Hintergrund Franz BeckenbenbauerKarl-Heinz Schnellinger gegen Italien 1970, im Hintergrund Franz Beckenbenbauer. Foto: Pixathlon

 

Herr Laaser, wie haben Sie den vierten WM-Titel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft erlebt?
E. Laaser: Entspannt und oft gespannt vor dem Fernseher in der Heimat. Es war nach vielen Jahren meine erste WM, bei der ich nicht unmittelbar im Einsatz war. 24 Jahre nach dem Sieg von Rom, den ich fürs Radio kommentieren durfte, gibt’s nun endlich wieder einen Weltmeister aus Deutschland.
 
Kann dieser Weltmeistertitel das mediale Interesse am Fußball hierzulande noch weiter steigern?
E. Laaser: Das ist ja fast unmöglich. Fußball spielt in unseren Medien mit Abstand die erste Geige; aber natürlich ist man gespannt, wie Jogi Löw das Team zur EM führen will, wie Guardiola mit den Bayern marschiert, ob Klopp Paroli bieten kann und so weiter.
 
In welchem Maße achten Sie bei einem Fußball-Spiel jeweils auf den Kommentar und das Bild?
E. Laaser: Fast zwangsläufig kommentiere ich manchmal in Gedanken mit! Nach 35 Jahren als Fußballreporter- beziehungsweise Kommentator ist das Unterbewusstsein dran gewöhnt. Und oft stimme ich dem Kommentatorkollegen zu, manchmal aber sehe ich die Dinge anders. Oder die Formulierung passt mir nicht. Manchmal schalte ich den Ton aber auch sehr leise, dann hat mir der Kommentar gar nicht gefallen.
 
Inwieweit hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte bei den Kommentatoren in Deutschland eine Wandlung vollzogen?
E. Laaser: In den Siebzigern und Achtzigern war Zurückhaltung angesagt. Die Älteren werden sich an Ernst Huberty erinnern: „Ausgerechnet Schnellinger!“ beim Spiel Deutschland-Italien 1970 in Mexiko. Heute würde ein Kommentator ausflippen, wenn in der Nachspielzeit des Halbfinales endlich der Ausgleich fällt und der Spieler der Torschütze ist, der in der Liga des Gegners aktiv ist. Mit den Neunziger Jahren hielt die Emotionalität Einzug in die Fernsehkommentierung, SAT.1 und Premiere waren dort die Vorreiter. Heute gehen einem Kommentator manchmal die Pferde durch, da wünsche ich mir manchmal Ernst Huberty zurück. Mit „Ausgerechnet Schnellinger“ war ja alles gesagt!
 
In vielen südamerikanischen Ländern wird mit zwei Kommentatoren gearbeitet. In Deutschland gibt es zuweilen die Mischung aus Experte und Reporter. Welche Variante gefällt ihnen persönlich besser und warum?
E. Laaser: Zwei Kommentatoren funktionieren im Radio sehr gut. Da muss aber auch viel mehr geredet, und vor allem mehr bildbeschreibend geredet werden. Im Fernsehen redet einer alleine für meine Begriffe schon genug, ich sehe ja das Bild und weiß ein bisschen über Fußball. Bei den Experten gibt es natürlich solche und solche. Am liebsten ist mir der Experte allerdings an der Seite des Moderators, Mehmet Scholl finde ich da klasse. Als Co-Kommentator muss man sehr aufpassen, dass man nicht in einer spannenden Situation während des Spiels übers Bild hinwegredet. Und man muss seine Sicht der Dinge einbringen, ohne den Kommentator bloßzustellen.
 
Welche Fähigkeiten muss ein guter Sport-Kommentator heutzutage besitzen?
E. Laaser: Stimme, Sprache, Spreche, Kompetenz, Authentizität, Emotion an der richtigen Stelle, Infotainment, Überraschungsmomente. Und er darf nicht nerven.

 

Erich LaaserEinst war er Radio-Sportchef beim Hessischen Rundfunk, 1993 wechelte er zum Privatsender SAT.1: Erich Laaser. Seit 1999 ist er Präsident des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Foto: privat
 

Was muss passieren, damit Sie bei einem Fußballspiel den Ton ausschalten oder im Fall von Sky die Variante der Stadion-Atmosphäre nutzen?
E. Laaser: Falls ein Kommentator nervt … wie gesagt. Ich kann ein Fußballspiel auch manchmal mit leisem Ton verfolgen und dabei lesen. Wenn was Entscheidendes passiert, höre ichs ja und dann kommt die Wiederholung.
 
Wie sieht für Sie persönliche eine optimale Vorbereitung auf ein Spiel aus, das Sie am Wochenende kommentieren?
E. Laaser: Dazu brauche ich einen Arbeitstag Vorbereitung. Man bekommt heutzutage ja Vieles zugeliefert, Statistiken, Spielerinformationen, Hintergründe, Pressespiegel, Daten. Dazu viel Aktuelles lesen und, wenn möglich, mit den Trainern sprechen. Dann sollte man auf alles vorbereitet sein ... theoretisch zumindest.
 
Inwiefern ist es für den Kommentator möglich, immer objektiv zu bleiben?
E. Laaser: Objektivität ist im Grunde nie möglich. Jeder hat seine persönliche Geschichte mit dem Fußball und dementsprechend seinen Verein, mit dem er sympathisiert. Davon müsste man sich freimachen, aber das gelingt oft nicht. Schon im Unterbewusstsein liegen Sympathien, die dann oft durchschlagen bei der Bewertung kritischer Szenen. Bei internationalen Spielen halte ich es für legitim, wenn ein Kommentator seine Sympathie für das deutsche Team zeigt. Das entbindet ihn nicht von der korrekten Bewertung der Zweikämpfe oder umstrittenen Situationen. Und er muss ehrlich sein, sonst fühlt der Zuschauer sich veralbert.
 
Wie beurteilen Sie die zeitweilige Anpassung der Reporter an die Jugendsprache?
E. Laaser: Der Zeitgeist hat immer Einfluss auf die jeweilige Sprache. Der Versuch, dem Rechnung zu tragen, ist legitim. Man darfs nur nicht übertreiben, sonst ist es zu cool! Und es gibt übrigens auch Zuschauer über 30.
 
 

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