INTERVIEW
„Jeden Dienstag liefen wir auf dem Vulkan“
Kürzlich spielte Maurizio Gaudino mit anderen deutschen Fußball-Legenden im „ran Jahrhundertspiel“ gegen Spanien. im RUND-Interview spricht der 47-Jährige über rote Blutkörperchen, seinen Sohn Gianluca und Straßenfußball. Interview Matthias Greulich.

 

 Maurizio GaudinoAm Ball bei den Deutschen Fußball Legenden: Maurizio Gaudino. Foto: Die Sportmanufaktur

 

RUND: Herr Gaudino, am Sonntag sind Sie beim „ran Jahrhundertspiel“ zwischen Deutschland und Spanien dabei. Was erwarten Sie von dieser Partie?
Maurizio Gaudino: Es wird eine grandiose Veranstaltung. Ich freue mich auf Spanien, das wird sicherlich sensationell. Auch wenn die alten Knochen nicht immer mitspielen, wollen wir die alten Zeiten wiederaufleben lassen.

RUND: Wie ist es, wenn sich die Deutschen Fußballlegenden treffen?
Maurizio Gaudino: Das hat familiären Charakter. Alle freuen sich auf das Wiedersehen mit alten Freunden. Wir sitzen bereits am Vorabend mit unseren Familien beim Essen beisammen.
 
RUND: Haben Sie gegen einige der Spanier als Aktiver gespielt?
Maurizio Gaudino: Ich glaube nicht. 1994 bei der WM in den USA saß ich bei unserem Gruppenspiel gegen Spanien leider nur auf der Bank. Im Uefa-Cup habe ich 1989 mit dem VfB Stuttgart gegen Real Sociedad San Sebastián gespielt und mit Eintracht Frankfurt 1993 gegen Deportivo La Coruña. Aber ich weiß nicht, ob einer der Spieler dabei ist.

RUND: Ihr Sohn Gianluca wurde am 11. November 18 Jahre alt. Beim FC Bayern hat er bereits bei den Profis gespielt und darf regelmäßig mittrainieren.
Maurizio Gaudino: Eine bessere Ausbildung ist nicht denkbar. Beim FC Bayern achten Sie extrem darauf, dass die Durchlässigkeit zwischen den Nachwuchsteams und der Profimannschaft hoch ist. Es gibt einige des 96er-Jahrgangs die regelmäßig bei den Profis trainieren. Mein Sohn ist einer von ihnen. Er kann alles bei den Trainingseinheiten von Pep Guardiola aufsaugen.

RUND: Ihr Sohn wirkt für sein Alter technisch schon fast komplett.
Maurizio Gaudino: Er kommt vom Spielerischen. Die Ballannahme und Ballmitnahme hat er perfektioniert. Und auf dem Platz schafft er es, Lösungen zu finden.

RUND: Sie waren ebenfalls 17, als Sie bei den Profis von Waldhof Mannheim mittrainieren durften. Was war damals anders als heute?
Maurizio Gaudino: Der Sprung war riesig. Bei den Profis habe ich zweimal am Tag trainiert, in der Jugend zweimal in der Woche. Ansonsten haben wir unter uns gekickt, wann und wo wir Lust hatten. Die Kontrolle der Jugendlichen war noch nicht so ausgeprägt wie heute. Die Vereine sind heute professioneller aufgestellt und arbeiten bereits im Jugendbereich mit Spezialisten, wie zum Beispiel Ernährungsberatern, Physiotherapeuten, Leistungsdiagnostikern, Pädagogen usw. zusammen.

RUND: Sie waren Straßenfußballer?
Maurizio Gaudino: Ja klar, nach der Schule bin ich auf die Straße zum Fußballspielen. Wenn wir gegen fremde Cliquen gespielt haben, gab es häufiger Streit und manchmal auch Raufereien. Das hat die Gewinner-Mentalität gefördert. Das hat die heutige Spielergeneration nicht. Die ist dafür weiter im taktischen Bereich.

RUND: Sie haben in einem Käfig gespielt, wie Mesut Özil oder Jérome Boateng?
Maurizio Gaudino: Genau, der Ball sprang sofort wieder ins Feld zurück. Oft habe ich einen Ball über eine Stunde lang alleine aus zwei Metern gegen eine Wand geschossen oder jongliert, bis die anderen kamen. Ein grandioses Techniktraining. Ich habe es geliebt, vier gegen vier auf Kleinfeld oder später in der Halle zu spielen. Du musst sofort frontal ins eins gegen eins. Das fördert den Mut, am Gegner vorbei zu gehen. Und wenn wir nur zu dritt waren, habe ich beim eins gegen zwei gelernt, in Unterzahl zu verteidigen. Bei den Jungs wie Özil, die auf der Straße gespielt haben, ist viel Instinkt dabei.

RUND: Fehlen diese Elemente in der heutigen Ausbildung?
Maurizio Gaudino: Heute wird versucht, diesen Straßenfußball im Training zu simulieren, in dem man die Felder verkleinert.

RUND: In Mexiko, beim Club América, haben Sie 1995/96 unter Marcelo Bielsa trainiert, der von Pep Guardiola als „der beste Trainer der Welt“ verehrt wird.
Maurizio Gaudino: Es war seine erste Auslandsstation, nachdem er zuvor nur in Argentinien trainiert hatte. Er war noch ein junger Trainer und hat ein extremes Taktiktraining mit uns gemacht. Das Feld war in Vierecke aufgeteilt, die man nicht verlassen durfte. Eine Einheit dauerte zwei Stunden. Jedes Training wurde auf Video aufgenommen, was damals sehr ungewöhnlich war. Die waren uns damals um einiges voraus. Es war ein Erlebnis und ich bin dort zu meinen Einsätzen gekommen.

RUND: Er gilt als Liebhaber des Offensivspiels.
Maurizio Gaudino: Warten Sie (überlegt), wir haben im 4-2-1-3 gespielt. Bielsa hat ein sehr hohes Pressing geliebt. Um das durchzuhalten, haben wir dienstags Sprinttraining gemacht. Wir sind auf einem Vulkan in 3.500 Metern Höhe anderthalb Stunden mit Gewichten gelaufen. Ich hatte danach ziemlich viele rote Blutkörperchen. Das Laufen ist mir leichter gefallen, davon habe ich noch jahrelang gezehrt als ich zurück nach Deutschland kam.

RUND: Man nennt Bielsa, der später argentinischer Nationaltrainer wurde, in der Heimat „el loco“, den Verrückten.
Maurizio Gaudino: Ich fand ihn positiv verrückt. Man hatte den Eindruck, der schläft nie. Die ganze Woche hat er uns auf den Gegner vorbereitet. In der Kabinenbesprechung vor dem Spiel gab es dann nur noch den Feinschliff, wenn er uns die Stärken und Schwächen kurz in Erinnerung gerufen hat.

RUND: Zuvor waren Sie von Eintracht Frankfurt an Manchester City ausgeliehen worden.
Maurizio Gaudino: Dort war es sensationell. Zwei, drei Spiele spielten wir unter Brian Houghton typisches Kick and Rush im 4-4-2 und sind von Box zu hin und hergelaufen, während der Ball über meinen Kopf hinweg rauschte. Dann habe ich mit dem Trainer geredet und wir haben die Spielweise verändert: Der Innenverteidiger hat die Bälle verteilt und es lief besser. Wir sind nicht abgestiegen und ich hatte ein Angebot, zwei weitere Jahre zu bleiben.
Aber Bernd Hölzenbein hat mich gebeten, zurück zu Eintracht Frankfurt zu kommen. Das habe ich dann gemacht.

RUND: In Italien haben Sie hingegen nie gespielt.
Maurizio Gaudino: Ich hatte Angebote, habe aber keine Freigabe vom VfB Stuttgart bekommen. Denoch vermisse ich nichts. Ich war 20 Jahre Profi und hatte keine schwerwiegenden Verletzungen.

RUND: Heute arbeiten Sie als Spielerberater. Wann muss ein Nachwuchsspieler den Sprung in den Profibereich geschafft haben?
Maurizio Gaudino: Aus meiner Sicht mit 20 oder spätestens 22 Jahren. Die Vereine fördern inzwischen verstärkt junge Spieler und schmeißen die Jungs rein, damit sie Spielpraxis bekommen. Taktisch und von der Fitness bringen Sie alles mit. Die Cleverness bekommen sie, wenn du sie reinwirfst. Einer meiner Aufgaben, ist es, den Druck der auf den Jungs lastet, etwas rauszunehmen. Mit 13,14 Jahren beginnen sie fast unter Profibedingungen zu trainieren. Immer werden neben der Schule Höchstleistungen verlangt. Pausenlos. Es besteht die Gefahr, dass sie „mental verbrannt“ werden.

RUND: Was sagen Sie dann?
Maurizio Gaudino: Ich sage ihnen: „.Fußball soll Freude und Spaß machen. Auch wenn man gewinnen will, bleibt es ein Spiel.“ Daneben brauchen sie andere Hobbys, sollen auch mal andere Sportarten ausprobieren. Sie müssen abschalten und auch mal mit Freunden rausgehen können.
 
Deutsche Fußball LegendenDie Deutschen Fußball-Legenden spielen an der Essner Hafenstraße gegen Spanien. Foto: Die Sportmanufaktur.

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