STARGAST
Der gelassene Stratege
Als Weltmeister wechselte er zu Real Madrid. Wie sich Toni Kroos beim Champions-League-Sieger durch gesetzt hat, erstaunt ihn nicht. Von Daniel Theweleit. Ein Auszug aus dem Buch  „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg"

 

Toni Kross gegen Enzo PeretZweikampf als Weltmeister: Toni Kross gegen den Argentinier Enzo Peret im Freundschaftsspiel im August in Düsseldorf. Foto Pixathlon

 

Manchmal ist es ein einziger Moment, der alle anderen Eindrücke einer Fußballerkarriere überlagert. Andreas Brehmes verwandelter Elfmeter im WM-Finale 1990, das Golden Goal von Oliver Bierhoff im Endspiel der Europameisterschaft sechs Jahre später –bei Toni Kroos überragt eine vergebene Chance die Bilder seiner ersten Karrierephase. Der hochbegabte Mittelfeldspieler hatte kurz nach seiner Einwechslung im WM-Halbfinale 2010 gegen Spanien die einzige gute Torgelegenheit für Deutschland. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Kroos die feine Flanke von Lukas Podolski in der 70. Minute etwas besser getroffen hätte. Besonders ärgerlich war, dass der gebürtige Greifswalder vergleichbare Bälle in den Monaten zuvor im Trikot von Bayer Leverkusen locker verwandelt hatte. Doch ausgerechnet in diesem Moment war sein Schuss zu unplatziert, ein Hauch Zögerlichkeit lag in seiner Bewegung, aus elf Metern traf er Torhüter Iker Casillas. Wenige Minuten danach erzielten dann die Spanier das 1:0 und zogen ins Endspiel ein, wo sie sich mit dem Weltmeistertitel krönten.
 
Als Kind hat Toni Kroos wie besessen aufs Tor geschossen, mit rechts mit links, volley, aus der Drehung. „Heutzutage sind diese Bälle unheimlich wichtig, du hast keine Zeit, dir den Ball noch dreimal vorzulegen, da kann eine richtige Direktabnahme spielentscheidend sein, eine Waffe“, sagt Kroos. Über die vergebene Möglichkeit gegen die Spanier will er nicht mehr grübeln. Er spielt die Bedeutung der Szene herunter. Es sei nur so viel darüber berichtet worden, „weil das die einzige Chance war, die wir hatten“, sagt Kroos, er habe später lediglich „ein- oder zweimal darüber nachgedacht“, mehr nicht. Wahrscheinlich ist das eine maßlose Untertreibung. Denn der damals 20-Jährige ist ein intelligenter Mann und ein Mensch, der seine Gefühle lieber für sich behält. Das war auch schon aufgefallen, als er eine schwere Zeit beim FC Bayern bewältigen musste.
 
Als Kroos 2006 sein Elternhaus verließ und von Hansa Rostock in die Ausbildungsabteilung des Rekordmeisters wechselte, entwickelte er sich zunächst prächtig. 2007 wurde er bei der U-17-WM in Südkorea zum besten Spieler gewählt, kurz darauf gab er sein Debüt bei den Profis. Als seinerzeit jüngster Bundesligaspieler der Bayern-Historie. „Wir haben für Toni die Zehn reserviert“, verkündete Manager Uli Hoeneß damals im Überschwang. Doch belastet von dieser Bürde und als eher zurückhaltender Jungspund zwischen all den Stars konnte er sich nicht durchsetzen. Er fühlte sich überfordert, einsam sagen manche, was auch daran lag, dass Jürgen Klinsmann, der damalige Trainer, keinen Zugang zu Kroos fand. „Von der Zeit in München ist eine größere Narbe zurückgeblieben, als ich damals gedacht habe“, hat Birgit Kroos, Tonis Mutter, dem „Spiegel“ einmal erzählt.
 
Es ist kein Zufall, dass Menschen aus seinem Umfeld über diese Zeit Auskunft geben müssen, während er selber einsilbig bleibt: Toni Kroos will nicht allzu viel von sich preisgegeben. Er hat gelernt, dass Schwächen besser verheimlicht werden im Profifußball. „Man fühlt sich privat wohler, wenn man sportlich zufrieden ist, aber einsam war ich bestimmt nicht“, sagt er heute über seine erste Zeit in München, und dennoch war er froh, als er 2009 für 18 Monate an Bayer Leverkusen ausgeliehen wurde. Unter der Fürsorge von Trainer Jupp Heynckes ist Kroos dann regelrecht aufgeblüht. „Toni ist ein Stratege, der durchdacht und gelassen spielt“, lobte Heynckes den Hochveranlagten.

Dabei hat Kroos Schwächen, die eigentlich nur schwer zu kompensieren sind, im modernen Fußball. Er ist kein Sprinter und ein großer Defensivarbeiter ist er auch nicht, doch dafür arbeiten seine Wahrnehmung und seine Ideenproduktion schnell wie ein Hochleistungsrechner, während seine Bewegungen gleichzeitig Ruhe und Kontrolle ausstrahlen. Seine Pässe aus dem Mittelfeld in die Spitze haben etwas Genialisches, er ist ein geschickter Dribbler. Seine außergewöhnliche Ballkontrolle wurde in Greifswald angelegt. Als Kind hat Kroos mit den Eltern und dem Bruder stundenlang zwei gegen zwei gespielt. Vater Roland hatte als Ringer eine Kinder- und Jugendsportschule in der DDR besucht, seine Arbeit trägt erstaunliche Früchte: Tonis 14 Monate jüngerer Bruder Felix ist Profi bei Werder Bremen. „Wir haben dem Fußball alles untergeordnet“, sagt Roland Kroos, und spricht von einem „Familienprojekt“, das zu einer Erfolgsgeschichte wurde.
 
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Bundestrainer Joachim Löw Toni Kroos in die A-Nationalmannschaft berufen würde. Nach seiner herausragenden Hinrunde in Leverkusen bekam er die Einladung zum WM-Leistungstest. Toni Kroos war der jüngste deutsche Spieler im WM-Aufgebot 2010, in Südafrika wurde er in vier Spielen eingewechselt.  Dass der FC Bayern hart blieb, als es um seine erneute Rückkehr nach München ging, kam nicht überraschend. Trainer Louis van Gaal versprach, Kroos in sein Erfolgsteam einzubauen. Aber erst unter Jupp Heynckes wurde der Greifswalder endgültig zu einer prägenden Figur des Bayern-Spiels. Für Heynckes' Nachfolger Pep Guardiola wurde er ebenfalls ein Schlüsselspieler, der im halblinken Raum sein Verbindungsspieler zwischen Offensive und Defensive wurde. „Ich hatte ein Super-Jahr mit Pep“, sagte Kroos im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. Seinen bis Sommer 2015 laufenden Vertrag wollte der FC Bayern dennoch nicht verlängern. Beide Seiten lagen bei den Gehaltsvorstellungen offenbar zu weit auseinander, so dass Kroos im Sommer 2014 ein Angebot von Real Madrid annahm. Er kam als Wunschspieler von Trainer Carlo Ancelotti, der dem Neuen in einem Telefonat sagte, er sei der Meinung, „dass Real Madrid mit mir noch besser werden kann", wie sich Kroos erinnert.

Bei der Weltmeisterschaft in Brasilien gehörte der Zehner zu den herausragenden Spielern. Beim 7:1-Sieg im Halbfinale gegen Brasilien wurde er zum „Mann des Spiels" gewählt. Eine Wahl, die sich nach seinen zwei Treffern sowie zwei Torvorbereitungen aufgedrängt hatte. Dass Toni Kroos als Weltmeister zum Champions-League-Sieger kam, war zwar gut für seinen Status, dennoch überraschte es, wie schnell er sich durchsetzen konnte. Er spielt in Madrid etwas defensiver, auf der zentralen Position des Sechsers. „Der Trainer", so Kroos über die Vorstellungen von Carlo Ancelotti, „will unser Spiel weiterentwickeln und variieren, er will mehr Ballbesitzphasen. Und dafür, hat er gesagt, braucht er mich"

 

 Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg.

 „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" von Matthias Greulich (Hg.) und Sven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5

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