PORTRÄT
Karriereende mit 29
Marcell Jansen hat aufgehört, nachdem der Hamburger SV seinen Vertrag nicht verlängerte. Woanders wolle er nicht mehr spielen, sagte der ehemalige Nationalspieler: Es gibt wenige Fußballprofis, die einen so ehrlichen und kritischen Umgang mit ihrer Branche und ihrem Status pflegen wie der ehemalige HSV-Profi. Ein Portät von Rainer Schäfer, das im Buch „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" erschienen ist.

 

Marcell JansenEines seiner letzten Spiele als Profifußballer: Marcell Jansen.mit dem Hamburger SV im Mai 2015 gegen den SC Freiburg. Foto Pixathlon

 

Training beim HSV: Es dauert nicht lange, bis Torhüter Frank Rost zu schimpfen anfängt. Irgendetwas ist nicht so, wie er sich das vorstellt. Das kommt öfter vor, die HSV-Profis trainieren weiter und tun so, als ob sie nichts gehört hätten. Nur einer meckert zurück und gibt Widerworte, es ist Marcell Jansen. „Komm doch her mit deiner großen Klappe“, kontert der Nationalspieler. Trainer Armin Veh muss dazwischen gehen und die beiden Streithähne trennen. Dem äußerst meinungsstarken Rost zu widersprechen, das trauen sich nicht viele unter den HSV-Profis. Marcell Jansen aber macht keinen Hehl aus seinen Gedanken. Wenn er loslegt in seiner unbekümmerten niederrheinischen Art, dann erinnert das an eines seiner Soli auf der linken Seite. Die zieht er durch mit dem Grundsatz: Durchgehen bis zur Grundlinie und sich dabei nur nicht aufhalten lassen.

Marcell Jansen ist selbstbewusst, direkt und geht niemandem aus dem Weg. Standesdünkel sind ihm ein Gräuel. Dort, wo er aufgewachsen ist, gilt es als Charaktermangel, wenn einer sich für etwas Besseres hält und die Nase höher trägt als andere. Geprägt haben ihn, so erzählt der Mönchengladbacher, seine Eltern. „Sie sind beide jeden Tag früh aufgestanden und sind arbeiten gegangen. Sie haben sich alles hart erkämpfen müssen, aber haben nie gemeckert. Meine Eltern sind Stehaufmännchen, davon profitiere ich heute, dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“

Dieses Muster, sich reinzuhängen und gegen Widerstände durchzusetzen, hat Jansen auch im Fußball erfolgreich angewandt. Es gab größere Talente in den Mönchengladbachern Nachwuchsmannschaften. Einige von ihnen, mit denen er zusammengespielt hat, wie Eugen Polanski oder Tobias Levels sind zu gestandenen Bundesligaprofis gereift. Marvin Compper durfte sogar einmal in der Nationalmannschaft verteidigen. Als der schmalschultrige Jansen im Dezember 2004 im Mönchengladbacher Bundesligateam debütierte, trauten ihm die wenigsten eine so rasante Entwicklung zu. Aber schon im September 2005 wurde er in die Nationalelf berufen, im Sommer 2007 wechselte er zum Krösus FC Bayern München und konnte sich auf Anhieb als Stammkraft bei Trainer Ottmar Hitzfeld etablieren. Als Linksverteidiger bestritt Janssen über 30 Pflichtspiele. „Eine fantastische Zeit“, schwärmt er noch heute. Sie dauerte allerdings nur eine Saison. Als Jürgen Klinsmann bei den Bayern das Traineramt übernahm, wurde alles anders, auch für Jansen. Klinsmann wollte die Bayern zum Weltklub formen, scheiterte aber an der Umsetzung seiner Pläne. „Das war ein Riesenumbruch, alles wurde größer. Die Kommunikation mit dem Trainer hat nicht gepasst, ich hatte keine realistische Chance, warum auch immer“, erzählt der Blondschopf. Vier Spiele lang hielt Jansen ruhig, was ihm schwer genug fiel. Dann ließ er sich zum HSV transferieren. Eine richtige Entscheidung, wie er findet. Mit der deutschen Nationalmannschaft wurde er 2010 in Südafrika WM-Dritter, beim 3:2 gegen Uruguay im kleinen Finale erzielte Jansen sogar einen Treffer.

Wenn Marcell Jansen fit ist und von Verletzungen verschont bleibt, ist er einer der auffälligsten Bundesligaspieler auf der linken Außenbahn. Jansen war schon in der Kategorie linker Außenverteidiger eingeordnet, als er mit ungeahnten Qualitäten in der Offensive aufwartete. In seiner neuen Rolle schießt er Tore, er ist ein effektiver Vorbereiter, er zeigt größere fußballerische Qualitäten als ihm viele zugetraut haben. Dass der Linksfuß immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen wird, nimmt er gelassen. „Es sind Unfälle, die im Fußball passieren. Aber wenn man sieht, was alles auf der Welt passiert, muss man nicht jammern, wenn man mal drei Wochen nicht auf dem Platz stehen kann.“

Es gibt wenige Fußballprofis, die einen so ehrlichen und kritischen Umgang mit ihrer Branche und ihrem Status pflegen wie er. Jansen will keiner der Stars sein, die sich aus dem alltäglichen Leben verabschieden und nach der Karriere nicht mehr zurückfinden. „Mich stört, dass bei uns materielle Werte so einen Stellenwert haben. Stargehabe ärgert mich. Dicke Autos, Möchtegernstars, rote Teppiche. Das ist eine Welt, die ich schwer verstehen kann“, sagt er. Konsumkritik aus dem Mund eines Nationalspielers, einem Privilegierten unserer Gesellschaft? Jansen meint es ernst damit. „Statusdenken nervt mich generell, ich bin kein Star, nur weil ich gut Fußball spielen kann.“ Jansen ist der erdnahen und unkomplizierten Art der Mönchengladbacher Mittelschicht treu geblieben, er geht wie früher bei den großen Discountern einkaufen. „Ich gehe auch als Nationalspieler bei Aldi einkaufen, auch wenn ich mir dafür Sprüche anhören muss. Ich benutze kein Klopapier aus Gold.“

 

Marcell Jansen
In 45 Länderspielen schoss er drei Tore: Marcell Jansen. Foto Pixathlon

 

Fußball, sagt Jansen, liebt er über alles. „Aber für mich wird er überbewertet. Ich möchte mich nicht von ihm auffressen lassen.“  Schon mit 20 gründete Jansen ein Marketingunternehmen, er möchte seinen Kopf auch mit fußballfremden Inhalten füllen. „Ich will nicht die nächsten zehn Jahre mittags beim Italiener essen und abends an der Playstation sitzen“, sagt er. Marcell Jansen plant schon jetzt die Zeit nach dem Fußball. Auch weil er weiß, dass die Schulterklopfer, die an den Stars kleben wie der Honig am Messer, ihn schnell vergessen werden, wenn er nicht mehr in den Bundesligaarenen aufläuft. „Ein hoher Prozentsatz der Ex-Profis ist pleite, viele kommen nicht zurecht, weil sie nur Fußball spielen können“, sagt Jansen. „Wer ist besser dran: Der Busfahrer, der 40 Jahre einen geregelten Job hat oder der Fußballer, der 15 Jahre lebt wie ein König und dann 40 Jahre abstürzt?“ Die Frage lässt Marcell Jansen lange im Raum stehen, er ist schon am Gehen, als er noch mal nachlegen muss. „Man bekommt nicht das ganze Leben geschenkt, nur weil man einmal Fußballer war.“

 
 „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" von Matthias Greulich (Hg.) undSven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5

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