INTERVIEW
„Vor 100.000 in Teheran, das war einmalig“
Rainer Kraft hat einen seltenen Werdegang im Profifußball: Der 53-Jährige ist sowohl Fußballlehrer als auch gelernter Physiotherapeut. Im Iran arbeitete er als Assistent von Erich Rutemöller. Interview Giovanni Deriu.

 

Rainer KraftFußballlehrer und gelernter Physiotherapeut: Rainer Kraft

 

Rainer Kraft, DFB-Fußballlehrer (UEFA-Pro-Lizenz) und Sport-Ökonom sowie gelernter Physiotherapeut, spricht nicht gern über sich. Wer ihn kennt, weiß, der Mann lebt für den Fußballsport und ist ein Fachmann, der als ehemaliger „Physio“ auch immer die medizinische Abteilung mit in seine Überlegungen einbezieht. Außerdem arbeitete Kraft, 53, als loyaler Assistent bereits DFB-Chefausbilder Frank Wormuth sowie Edgar Schmitt beim VfR Aalen und den Stuttgarter Kickers zu. Erich Rutemöller baute auf ihn als Assistent beim Profiklub Esteghlal Teheran im Iran.

Herr Kraft, wobei stören wir Sie gerade?
Rainer Kraft: Ich sehe mir gerade Spielervideos auf einer Scouting-Plattform an.

Was macht ein Fußballlehrer wie Sie jetzt, während bei anderen Klubs die Saisonvorbereitung läuft?
Rainer Kraft: Da ich durch den Abstieg des VfR Aalen aus der Zweiten Liga und der damit verbundenen Auflösung der U23 und des Nachwuchsleistungszentrums vertragslos bin, nutze ich die Zeit für die Familie und private Dinge, was sonst immer viel zu kurz kommt; ich schaue mir auch das ein oder andere Training und Vorbereitungsspiel an und jetzt geht ja auch schon die Zweite und Dritte Liga los ...

Sie haben einen interessanten Werdegang: Sie sind nicht nur Fußballlehrer sondern auch gelernter Physiotherapeut. Kennen also den Druck beider Seiten: der Trainer will auf alle Spieler setzen, die möglichst alle topfit sein sollen, und die medizinische Abteilung muss manchmal den Ehrgeiz ein bisschen bremsen. Gute Genesung braucht doch Zeit, oder?
Rainer Kraft: Ich habe vier Jahre als Physio und Rehatrainer beim VfB Stuttgart in der Bundesliga gearbeitet. Wir waren zu der Zeit fast immer international vertreten und die Spieler hatten schon ein Riesenpensum zu bewältigen. Wichtig war und ist eine exakte Trainingssteuerung mit Belastung und Erholung sowie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der medizinischen Abteilung. Die Verhaltensweisen des Spielers zwischen den Trainings-und Wettkampfeinheiten tun ein Übriges. Ziel ist es immer, möglichst schnell aber eben auch risikolos wieder am Trainings- und Spielbetrieb teilzunehmen.

Hatten Sie es als „Physio“ jemals erlebt, dass von Seiten des Trainers Druck auf Sie ausgeübt wurde?
Rainer Kraft: Nein, da am Ende des Tages immer der Spieler selbst entscheidet, ob er auf den Platz geht oder nicht.

Sie waren nicht nur Cheftrainer bei den Stuttgarter Kickers sondern trainierten im Iran und assistierten Erich Rutemöller. Außerdem konzipierten und leiteten Sie das Nachwuchsleistungszentrum des VfR Aalen. welche Tätigkeiten geben Ihnen mehr: Das Administrative oder das Coachen an der Seitenlinie?
Rainer Kraft: Wenn ich es mir aussuchen kann, dann wähle ich den Platz an der Seitenlinie. Die unmittelbare Arbeit mit einem Team und die Emotionen des Spieltags sind nur schwer zu ersetzen. Ich sehe mich aber schon auch als eine Art Dienstleister im Fußball und kann natürlich viele Facetten bedienen.

Wer schon im fußballbegeisterten Iran ein Profiteam trainierte, den schockt doch nichts mehr, oder?
Rainer Kraft: Die Begeisterung der Fans ist riesengroß in Iran; das Teheran-Derby zwischen Esteghlal, wo Erich und ich arbeiteten, und Persepolis lockt regelmäßig 100.000 Zuschauer ins Stadion. Die Qualität der Top-Teams siedelt sich irgendwo zwischen unserer 1. und 2. Liga an. Es gibt etliche technisch sehr gute Fußballspieler, das taktische Niveau lässt noch deutliche Steigerungen zu.

Wo sehen Sie allgemein noch Probleme im derzeitigen Fußball?
Rainer Kraft: Aus deutscher Sicht sehe ich kein größeres Manko, hier wurde in den letzten zehn bis zwölf Jahren sehr viel Gutes auf den Weg gebracht. Jetzt gilt es, die Standards zu halten und in den kleinen Teilbereichen Stück für Stück weiter zu verbessern. Ein Diskussionspunkt wird sicher die finanzielle Schere zwischen der Bundesliga und anderen europäischen Topligen bleiben. Einen Königsweg sehe ich nicht, es wird ein Abwägen zwischen den nationalen Interessen Nationalmannschaft, Ligaausgeglichenheit, Zuschauerinteresse und den internationalen Interessen der Clubs in der Champions League bleiben.

Aber es gibt von meiner Seite aus vielleicht eher eine Anregung für die Amateurligen. Ich bin der Meinung, dass der Meister einer Regionalliga aufsteigen muss!

 

 

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