KOMMENTAR
Wenn alles in die Luft fliegt
Franz Beckenbauer kann oder will seinem alten Gefolgsmann Wolfgang Niersbach in der Affäre um die 6,7 Millionen Euro nicht mehr beistehen. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger attackiert seinen Nachfolger Niersbach, indem er dem „Spiegel“ ein juristisches Gutachten durchsteckt. Und die „Bild“-Zeitung glaubt weiter an ihr „Sommermärchen“. Von Matthias Greulich.

 

Goleo und Franz BeckenbauerGoleo, das Maskottchen der WM 2006, und Franz Beckenbauer. Foto Pixathlon

 

Wer wissen will, wie der deutsche Fußball bislang funktionierte, muss nur in der Biographie von Jens Lehmann nachlesen. Dort berichtet der ehemalige Nationaltorwart von einem Gespräch mit Wolfgang Niersbach, das im Februar 2005 stattfand. Der damalige Vizepräsident des WM-Organisationskomitees fragte Lehmann, was er machen würde, wenn er am Ende doch nur die Nummer zwei hinter Bayern-Torwart Oliver Kahn bei der WM werden würde. Lehmann entgegnete, damit beschäftige er sich gar nicht. Niersbach insistierte weiter und gab ihm den guten Rat, als Nummer zwei kein Theater zu machen. Damit würde sich Lehmann am Ende nur selber schaden.

Am Ende kam es bekanntlich anders: Jens Lehmann stand während des „Sommermärchens“ im Tor der Nationalelf, die andauernde Lobbyarbeit des FC Bayern und seiner Unterstützer ignorierend hatte sich Bundestrainer Jürgen Klinsmann aus sportlichen Gründen entschieden, Oliver Kahn auf die Bank zu setzen.

Die Episode zeigt, wie der ehemalige DFB-Pressechef Niersbach für den damaligen OK-Chef und Bayern-Präsidenten Franz Beckenbauer die Arbeit im Hintergrund verrichtete. Dazu kam stets die flankierende Berichterstattung der „Bild“-Zeitung, in der Franz Beckenbauer jahrelang Kolumnist gewesen war. Das Blatt hatte auch dann noch für den zum „Torwart-Titan“ überhöhten Oliver Kahn getrommelt, als jeder sehen konnte, dass Lehmann dem fußballerisch schlechteren Kahn durchaus das Wasser reichen konnte.

Was aus den alten Seilschaften geworden ist, konnte man am vergangenen Donnerstag sehen.

Wolfgang Niersbach, der inzwischen zum DFB-Präsidenten aufgerückte Beckenbauer-Freund, wollte in seiner Pressekonferenz in der Frankfurter Verbandszentrale erklären, was es mit den 6,7 Millionen Euro auf sich hat, die das OK seinerzeit an die Fifa überwiesen hatte. Nicht auf dem Podium saß Beckenbauer, mit dem Niersbach zwei Tage zuvor lange geredet hatte. Von „Bild“ anschließend als „ärmste Sau“ in dieser Affäre in Schutz genommen, tat sich Niersbach schwer, Antworten auf eigentlich einfache Fragen zu geben.

Sicher ist laut Niersbach und „Bild“ nur eins: Das Sommermärchen ist nicht durch die Bestechung von Fifa-Funktionären gekauft worden. Doch seitdem der Weltverband Ermittlungen gegen Beckenbauer wegen der Vergabe der Weltturniere nach Russland 2018 und Katar 2022 angekündigt hat, ist sich nun offenbar jeder selbst der nächste. Der „Kaiser“ kann oder will seinem Adlatus Niersbach in seiner eigenen Bedrängnis nur noch bedingt helfen. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, ein ehemaliger Verwaltungsrichter, steckt dem  „Spiegel“ ein juristisches Gutachten durch, aus dem das Nachrichtenmagazin in seiner aktuellen Ausgabe zitiert. Zwanziger, der die Überweisung der 6,7 Millionen als OK-Finanzchef mit absegnete, will nicht selber zur Verantwortung gezogen werden. Ein solches Gutachten holte er schon einmal ein: Als der DFB ein besser dotiertes Angebot für einen Ausrüstervertrag von Nike bekam, es ausschlug, um weiter beim mit dem Verband seit Jahrzehnten aufs engste verbundenen Sportartikelhersteller Adidas bleiben zu können. Und wenn Zwanziger nun auch Niersbach wegen einer angeblichen schwarzen Kasse der Lüge bezichtigt, ist die Öffentlichkeit Zeuge, wie zwischen diesen beiden Spitzenfunktionären alte Rechnungen beglichen werden. Die „Bild“ verkündet in diesem Irrsinn weiter ihr Mantra, dass „unser Sommermärchen“ nicht gekauft worden sei. „Man liest das und kommt sich vor wie ein Sechsjähriger, auf den mit Tantenstimme eingeredet wird“, schreibt Holger Gertz in der „Süddeutschen Zeitung“.

Unter den Teppich gekehrt werden, kann die Affäre nicht mehr. Es wird etwas hängen bleiben – auch juristisch. Fraglich ist nur, bei wem. Die 6,7 Millionen Euro, die vom an die Fifa gezahlt wurden, waren angeblich für die damals geplante WM-Auftakt-Gala gedacht, die nie stattfand. Nun stellt sich heraus, dass mit dem Geld eine Schuld beim früheren Adidas-Chef Robert-Louis Dreyfus beglichen worden war. Steuerlich durfte das OK die 6,7 Millionen nicht mehr als Betriebsausgaben geltend machen. Das OK hatte 135 Millionen Euro Überschuss gemacht und 43,7 Millionen an den Fiskus abgeführt. Dieser Überschuss hätte sich erhöht, das OK müsste mehr Steuern zahlen. Möglicherweise könnte die zuständige Staatsanwaltschaft Frankfurt ein Ermittlungsverfahren einleiten. Für das OK hatte neben Horst R. Schmidt auch Theo Zwanziger, der nun Niersbach attackiert, die Zahlung freigegeben.

Ob der Laden beim DFB im Zuge der Affäre in die Luft fliegt, weiß momentan niemand. Sicher scheint nur, dass der deutsche Fußball am Ende nicht mehr so funktionieren wird, wie zuvor.

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