HEIDENHEIM
Wo die Fans nonstop singen
90 Minuten Zweitligafußball an der Schloßhaustraße, der Heidenheimer „Anfield Road“. Außerdem: PFIFF, der „Pool zur Förderung innovativer Fußball- und Fankultur“ aus dem Ligaverband, fördert die Initiative DiPoFu mit 50 000 Euro. Von Giovanni Deriu.

 

Frank SchmidtIn Aktion: Heidenheims langjähriger Trainer Frank Schmidt. Foto Pixathlon

 

Die Dialogförderung Polizei und Fußballfans (DiPoFu) ist ein Projekt, bei dem die Fans des 1. FC Heidenheim sowie die ansässige Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) ganz eng miteinander arbeiten – zudem wurde das Polizeipräsidium Ulm als Kooperationspartner gewonnen. Ganz dem Motto, „Miteinander statt übereinander reden“, wollen alle Partner, dass die Stadionsicherheit auch dadurch zunimmt, wenn sich Fans wie Einsatzkräfte besser in die jeweilig andere Seite hineindenken können. Und, nicht zu vergessen, auch unter Polizisten gibt es Fußballfans. Eine Online-Befragung für die Fans läuft bereits, genauso für die Polizisten.

Giovanni Deriu hat sich für RUND beim Spiel zwischen dem FC Heidenheim und der SpVgg Fürth in der Voith-Arena einmal umgesehen, exakt am Wochenende nach den Terror-Attacken von Paris. Auch gegen den SC Freiburg verteilte Deriu als Pädagoge und freier Mitarbeiter der Dualen Hochschule Flyer für die Fans, um auf die DiPoFu-Online-Umfrage aufmerksam zu machen.

Es lag zwar Kirmesduft in der Luft, Stände mit gebrannten Mandeln und Magenbrot sowie Popcorn ließen einem rund um die Heidenheimer Fußballarena schnell das Wasser im Mund zusammen laufen, auch Glühwein wurde bei den eisigen Temperaturen geboten, und dennoch merkten die Fans und Zuschauer schnell, dass einiges rund ums Stadion, auch in der 2. Bundesliga, noch unter den Eindrücken der Terrorattacken von Paris stattfand. Ein diensthabender Polizeibeamter meinte denn auch: „Es sind präventive Maßnahmen, aber auch um Sicherheit und Präsenz zu vermitteln ...“. Und  Kriminalhauptkommissar Günter Braun, 60, vom Referat Prävention des  Polizeipräsidium Ulm, bestätigte, dass „circa 100 Polizeibeamtinnen und Beamte im Einsatz“ seien.

Es war das Wochenende, bei dem auch in der 1. Bundesliga noch gründlicher kontrolliert und untersucht wurde, es kam zu etlichen Schlangen vor den Stadioneingängen, in Stuttgart wurde die Partie gegen den FC Augsburg gar verspätet angepfiffen.

Momentan hat der FC Heidenheim 18 offizielle Fanclubs, und einer darunter nennt sich „1.StuFa-Club“ Heidenheim, und vereint einfach Studenten Heidenheims, vorwiegend die der Dualen Hochschule. Mögen sie sich auch nicht so martialisch anhören wie die „Schlossberg Fighters“, aber Präsenz zeigen auch sie bei den Heimspielen – und diesmal auch im Auftrag der Dualen Hochschule, eben die Fans auf die Online-Befragung hinzuweisen. Ausgestattet mit Fanschals und Flyer gingen auch sie daran, ihren FC Heidenheim anzufeuern.

Unsereiner machte sich einfach einmal die Mühe, nicht aufs Spiel, aber mehr auf das Drumherum, und auf die Fans und Zuschauer auf beiden Seiten zu achten: Auf der Osttribüne ein Blau-Rot-Weißes Fahnenmeer (FC Heidenheim), gegenüber, die Ränge im Westen alles in grünweiß getaucht.

Bereits gut eine Stunde vor Spielbeginn war ein Großteil der knapp 11.500 Zuschauer im Stadion, auf neudeutsch, in der Arena – man hat oft bundesweit den Eindruck, sie ähneln sich alle – aber wichtig ist, was die Fans aus ihr machen. Die Heidenheimer Ostflanke jedenfalls ist recht kreativ, was die „Choreos“ betrifft. Doch der Reihe nach.

 

Die Voith-Arena in Heidenheim
Relativ neue Zweitliga-Spielstätte: Die Voith-Arena in Heidenheim. Foto: Giovanni Deriu

 

Mit der ausgestatteten Innenraumkarte oder dem Tagesarbeitsticket konnten wir uns frei bewegen. Auch im Bereich der Fans mit Handicap und deren Betreuer wurden die „DiPoFu“-Handzettel verteilt. Die Stimmung dort, unterhalb der exklusiven Sponsorenlogen, war ebenso heiter und man klatschte sich die Hände warm.

Die Spielaufstellung wurde forsch angesagt, wie bundesweit üblich: Nummer, Vorname und im Chor der Nachname – besonders beim Namen „Sssschnaaattttereeer“ (Offensivmann Marc Schnatterer) gerieten auch die weiblichen Fans in Wallung. Schnatterer ist wie Sebastian Griesbeck Identifikationsfigur und Publikumsliebling.

Die Gesänge, absolut englisches Flair, hielten auch dann an, als die Gäste aus Fürth relativ schnell das 0:1 erzielten (4.).

Ein Wettsingen: Heidenheim und die SpVgg-Kurve sangen gegeneinander an: Vorteil klar beim FCH. Etwa 2.000 Fürther waren angereist.

Unterbrochen wurden die Gesänge und Anfeuerungsrufe nur durch „Ah“ und „Ohh“ bei größeren Torchancen auf beiden Seiten. Spannung für die einen, Schrecksekunden für die anderen Fans.

Trommelwirbel setzte in beiden Blöcken ein, auch hier die Ostkurve lauter, und sie wirkte einstudierter im Rhythmus.

Immer noch 0:1, aber die Heidenheimer drückten, und die Fans waren tatsächlich in der Rolle des vielzitierten „zwöfte Mann“.

Kurzer Toilettengang in Minute 33, bevor der Ansturm auf die Katakombentoiletten anbricht zur Pause. Ein Polizist in Montur stand im Gang, und gab Entwarnung: „Alles sehr fair bisher. Kein Problem bei diesen Fans ...“.

Aufbrandender Szenenapplaus nach einem tollen Pass, der Ball aber landet im Seitenaus.

Gesänge wie „Wir sind aus Heidenheim ...“ angelehnt an der Melodie von Boney M. „By the River of Babylon“, heizten zusätzlich ein. Auch die Stadionordnerin wippte im Takt.
Das „Olé olé“ darf so oder so in keiner Arena fehlen.

Viel Gesprächsstoff in der Halbzeit, zwischen Groß und Klein, Jung und Alt, in Heidenheim sitzt die Gesellschaft bunt beieinander.

Polizist und Kommissar Günter Braun, ein eher neutraler Beobachter, „aber irgendwie doch auch ein bisschen Fan geworden“, sagt mit dem Blick bei den Fans: „In Heidenheim ist die Fanszene mit jedem Aufstieg gewachsen, und ich will festhalten, es gab bisher kaum gewalttätige Vorkommnisse!“

An Schiedsrichtern arbeiten sich Fans beider Lager gerne ab. Und, ein bisschen scheint es so, als fühlen sich die FCH-Fans, immer noch im Rückstand, benachteiligt.

Da, vielleicht einen Elfer, oder doch Abseits gegen Fürth? Nein?
Schon sieht man einen Banner im Fanpulk: „Unprofessionalität bricht uns das Genick“.

Na, so schlimm war es dann doch nicht, als Robert Leipertz nach einer Stunde ins Netz trifft, geht die Osttribüne so richtig ab, und auch Betreuer und Fans im Rollstuhl liegen sich in den Armen. Inklusion pur. 1:1.

Heidenheim drückte weiter. Die Polizei und die Sanitäter haben einen ruhigen Nachmittag, und Kommissar Braun, der DiPoFu als Projektkoordinator der Polizei betreut, meint: „Ich verspreche mir von DiPoFu, dass sich die Polizei noch fanfreundlicher präsentieren kann ...“, doch dazu sollten dann auch die Fans DiPoFu „unterstützen“.

Dann eine ganz gelungene Fan-Choreographie: an Tauen oder dicken Seilen, wird ein großes Gemälde auf riesigem Textilvorhang hochgezogen. Die Seile sind am Gebälk angebracht. Wie im Theater. Man erkennt die Wahrzeichen Heidenheims, wie uns der Fan-Beauftragte des FCH Fabian Strauß später erklärt: „Das Schloss, das Konzerthaus, die Knöpfleswäscherin, natürlich die Pauluskirche...“, dann das alte Albstatdion und die neue Arena. Traditionsreich auch der Text: „Hier bin ich geboren, hier werd ich begraben – rot weiß blau, sind meine Farben“.

Zeit ist es, etwa zwöf Minuten vor Spielende zu gehen, um sich mit den StuFa-Mitgliedern draußen abzusprechen, an welchen Ausgängen noch Flyer verteilt werden sollen. Schnell stehen wir an den Stadiontoren. Aber, was ist los? Draußen bekam man nur undefinierbare Gesänge und Aufstöhnen mit, nun aber kommen uns lange Gesichter entgegen. Heidenheim verlor das Match in der Nachspielzeit noch mit 1:2. So manch ein frustrierter Fan, winkt ab, und ein paar Ultras des FCH rütteln an einem Metallabsperrgitter. Ein ganz normaler Fußballnachmittag geht zu Ende. Fünf Tage später, diesmal führen die Heidenheimer gegen den Tabellenführer SC Freiburg mit 1:0 durch Marc Schnatterer, die Stimmung ist prächtig, trotz Eiseskälte. Doch Freiburg kommt heran per Foulelfmeter. Am Ende verliert der FCH die Partie abermals 1:2 eine Minute vor Schluss. Die Fans aber auch die Polizei wissen, der Fußball ist eine Leidenschaft, die Leiden schafft ...


Giovanni Deriu, Redakteur und Dipl.Sozialpädagoge, verfolgt DiPoFu als freier Mitarbeiter der  Dualen Hochschule Heidenheim.




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