BUCH
Moderner Menschenfischer
Die Hennes-Weisweiler-Biographie zeigt wie wegweisend die Arbeit des Trainers der "Fohlenelf" auch heute noch ist. Biographie Von Giovanni Deriu

 

 

 

 

Buch Hennes Weisweiler Hennes Weiler aus dem Werkstatt-Verlag

 

Jupp Heynckes sagte über ihn: „Für Hennes Weisweiler gab es immer nur Attacke...“ Immerhin war Heynckes ehemaliger Profi und Bundesliga-Goalgetter der legendären Borussia aus Mönchengladbach, berühmt geworden mit der „Fohlenelf“, die Weisweiler so prägte, wie kein anderer Trainer danach. Bevor Jupp Heynckes erstmals als Trainer zu den Bayern wechselte, saß der spätere Triplecoach selbst als Borussen-Trainer auf der Bank. Vielleicht noch etwas zu jung und unerfahren, aber auch Heynckes ließ offensiv spielen und sorgte im DFB-Pokal oft für Furore. Reifen sollte Heynckes erst später zum erfolgreichsten Fußballlehrer nach Udo Lattek und Ottmar Hitzfeld bei den Bayern.

So kommen im recht gelungenen und lebendigem Buch „Hennes Weisweiler“ aus dem Werkstatt-Verlag, viele Fußballgrößen zu Wort, die Hennes Weisweiler begleiteten. Erschienen ist das Buch, als biographischer Band mit sehenswerten Bildern, bereits vor knapp zwei Jahren – und vielleicht auch zur rechten Zeit, die neue Trainergarde immer und immer wieder an den „Großvater“ ruhmreicher Clubjahre zu erinnern, egal ob wie damals bei der Borussia aus Mönchengladbach, oder beim 1. FC Köln, der sein bekanntes Maskottchen, den lebendigen Geißbock, auf den Namen „Hennes“ taufte.

Wird heute viel von jungen Konzepttrainern gesprochen, könnte man meinen, die Trainer vor zehn, zwanzig, ja dreißig Jahren hätten eher auf Verdacht ihre Teams eingestellt. Dass dem nicht so ist, die Zeiten jedoch in der Tat andere waren, verdeutlicht dieses Buch.

So schreibt Heynckes zwar, „ein großer Taktiker war Weisweiler sicher nicht. Für ihn gab es immer nur Attacke“, und selbst als Heynckes in einem Spiel dreimal traf, meinte Weisweiler später in der Kabine, „hättest auch noch mehr Tore schießen können“.

Weisweiler eilte der Ruf voraus, ein charmanter und direkter Menschenfischer zu sein, manchmal aber auch ein rustikaler Grobian, so wie er selbst einst als Spieler war, wenn auch mit limitierten Fähigkeiten (immerhin als Spielertrainer des 1. FC Köln anno 1948-1952 nach dem Krieg, zwölf Jahre vor Gründung der offiziellen Bundesliga). Umso größer kam Weisweiler dann als Trainer und nebenberuflicher Dozent an der Deutschen Sporthochschule in Köln heraus.

Der Menschenfischer und Meistermacher aus Lechenich prägte die Fußballbundesliga und die Trainingslehre. Weisweiler sah sich klar als Vereinstrainer, und schlug einst auch Sepp Herbergers Wunsch aus, nach einem Jahr im Trainerstab, dessen persönlicher Assistent beim DFB zu werden.

Heynckes werde immer wieder gefragt, ob Weisweiler denn unter den heutigen Bedingungen auch ein Spitzentrainer geworden wäre? Die Antwort, so Jupp Heynckes, laute eindeutig: „Ja.“ Mit seiner Dialogbereitschaft zu den Spielern, aber auch mit seiner ganzen Detailarbeit, ja Versessenheit, wie Heynckes und auch Hannes Löhr (andere FC-Legende, Stürmer, Trainer und Ex-Manager von Köln, jüngst erst verstorben) sowie der große amerikanische Regisseur, Stanley Kubrick, im Vorwort beschreibt.

Kubrick: „Es ist kein Wunder, dass Weisweiler Dirigenten bewunderte,“ dass ihn die Präzision der Einsätze des Ensembles, die Harmonie der Abläufe, die durch den magischen „Stab“ verordneten Tempiwechsel faszinierten.

Weisweiler glaubte an Begabung und Fleiß, auch er wollte von der Bank aus, präzise abgestimmte Teams spielen sehen. Hinzu kam, dass Weisweiler seinen Spielern die individuellen Fähigkeiten nicht rauben wollte, im Gegenteil, Dribblekönig Pierre Littbarski nahm Hennes Weilweiler zur Seite und meinte: „Litti, Du bist ein Dribbler, versuche es immer wieder, kann sein, dass Du dreimal hängen bleibts“, beim vierten Mal aber käme er durch. Weisweiler stärkte seine Spieler, besonders dann, wenn sie vielleicht zweifelten.

Für den jungen Vollwaisen und späteren Weltmeister-Verteidiger (1974) sowie Europameister als Trainer (1996), Berti Vogts, war Hennes Weisweiler in der „Fohlenelf“ Förderer und Vaterfigur zugleich. Vogts, auch das wird im Buch amüsant beschrieben, fungierte zudem als Vermittler zwischen Freigeist und Star Günter Netzer. Konfliktlösungen waren nicht Weisweilers Ding. So kam es, dass sie zu dritt vor einem Match spazieren liefen, und Weisweiler wies Vogts an: „Schön, dass sich dein Freund wieder im Training blicken lässt. Frag ihn, wann er wieder zu spielen gedenkt....“ (Seite 22 im Buch) .

Fast kabarettreif übermittelte Vogts, und Netzer entgegnete: „... Sag Deinem Trainer, dass meine Verletzung endlich einmal ausheilen konnte, und das ich in zwei Wochen wieder spielen kann.“ Weisweiler übersah vieles von Netzers „Starallüren“, der wiederum dankte es ihm mit wichtigen Toren, wie etwa das legendäre im Pokalfinale von 1973, als sich Netzer mehr oder minder selbst einwechselte – jedoch mit dem „Okay“ Weisweilers.

Der blonde TV-Experte und Vermarkter Netzer stellt fest: „Weisweiler war ein großer Psychologe“, und er habe immer betont, jeder habe sich für die Gemeinschaft „unterzuordnen“.

Vogts, verdankt Weisweiler alles, und der ehemalige Profi und FC-Geschäftsführer Karl-Heinz Thielen berichtet im Buch vom Coup, Weisweiler, der sich bei Barcelona unwohl fühlte (Zwist mit Barca-Idol Johan Cruyff), nach Köln gelotst zu haben. Der Beginn einer kurzen erfolgreichen Zeit. Angemerkt, auch bei Barcelona stellte nicht nur Cruyff später fest, kein anderer Trainer habe zu dieser Zeit die jungen Spieler Barcelonas so geduldig gefördert.

Wolfgang Niersbach (zurückgetretener DFB-Präsident) erinnert im Buch auch, wie der Vorgänger Theo Zwanziger dafür sorgte, dass die Ausbildungsstätte der Fußballlehrer in „Hennes-Weisweiler-Akademie“ umbenannt wurde.

Vielleicht ist es das wertvolle Erbe, dass Weisweiler einst Leitsätze und Aussagen für die „Ewigkeit“ formulierte, denn sie haben auch heute noch Bestand, so formulierte Weisweiler unter anderem:

Teambildung, für den Erfolg einer Fußballmannschaft sei die gute Mischung von Technikern und Kämpfern erforderlich. Sowie zwischen Jung und Alt. Zur Teambildung ist es wichtig, dass sich ein Gefühl der „Einheit“ einstellt. Gegenseitige Akzeptanz sei wichtig.

Zum Wechselverhältnis von Körper und Psyche, die Arbeit des Fußballtrainers erschöpfe sich nicht in der Trainingsleitung. Die Betreuung der Spieler nach allen Seiten hin besitzt den gleichen hohen Stellenwert.

Die Einstellung der Spieler, war für Weisweiler wichtiger als System und Taktik, wird im Buch beschrieben: „Nicht System und Taktik entscheiden, sondern immer noch die Spieler mit all ihren Stärken und Schwächen.“ Außerdem hielt er damals schon fest, Fußballspieler seien auch als hochbezahlte Profis nicht anders als normale Menschen, „die von sich aus immer versuchen, auf bequeme Art zu gewinnen.“

Hier sei auch auf seine Zeit bei Cosmos New York hinzuweisen, Weisweiler führte dieses Ensemble alternder Stars zur US-Meisterschaft 1980, wollte aber nach zwei Jahren dennoch weg, weil der deutsche Coach „Die satten Spieler satt hatte.“

Und bei der Talentförderung legte Weisweiler großen Wert auf die Persönlichkeitsbildung. Ballgefühl und Talent sei das eine entscheidende Charakteristikum, sehr wichtig seien aber bei den Jugendlichen auch die „geistig-moralischen“ Eigenschaften. Eine gesunde Einstellung zum Erfolgsstreben.

Diese Komponente sollten einige Jahre später Jürgen Klinsmann und dessen Assistent und späterer Weltmeister-Trainer Jogi Löw forcieren.

Meisterschaften mit Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln, DFB-Pokal und Uefa-Pokalsiege, Meistermacher im Ausland mit Cosmos und Grasshopper Zürich, Weisweiler bewegte den Fußball und die Menschen. Niederlagen gingen ihm lange nach, aber er wusste auch zu feiern.

Der Autor und Journalist Hermann Josef Weskamp beschreibt in einem Kapitel „Die Kabine, das Allerheiligste“, dass Weisweiler immer Fingerspitzengefühl hatte (selbst bei Cosmos New York damals, wo Journalistinnen plötzlich ganz usus in der Kabine standen – Franz Beckenbauer musste ihn flugs beruhigen), aber auch Trainer allgemein in der Halbzeitpause oder nach dem Match Emotionen in der Kabine kanalisieren müssen.

Kurz, diese Biographie zu Hennes Weisweiler gehört in das Bücherregal eines jeden ambitionierten Trainers. Moderne und Tradition lassen sich auch heute verbinden.

Viel zu früh mit 63 Jahren verstarb Hennes Weisweiler 1983 in der Schweiz. In Köln am Dom nahmen sage und schreibe 20 000 Menschen Abschied vom erfolgreichen Trainer.

Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge und Journalist, analysiert und beschreibt Biographien.

 

 

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