U19 EM
Frankreich im Fluss, Niederlande zu langsam
Das Spiel der U19 EM war hochklassig. Die Franzosen stehen nach dem 5:1 im Halbfinale, die Niederländer spielen gegen die Deutschen um die Qualifikation zur U20 WM. Und es gab ausreichen Gelegenheit zum Fachsimpeln, unter anderem mit Aron Winter, dem Trainer der niederländischen Junioren und Exprofi Rainer Zietsch. Von Giovanni Deriu, Aalen.

 

Ludovic BatelliLudovic Batelli ist Trainer der U19 der Franzosen. Foto Deriu

 

Bestes Fußballwetter, nicht zu kalt, nicht zu warm, für die Kicker in Blau und Orange. Einheizen taten schon die zahlreich erschienenen Schulklassen aus der Region. Also wenn der DFB und die UEFA ein eindeutiges Fazit zogen, dann dieses, dass mittags die beste Anpfiffzeit war, die Stadien waren schlichtweg besser besucht. Die knapp 7.700 Zuschauer sorgten für Volksfeststimmung.

Auf der Tribüne in Aalen waren englische Beobachter und die italienische Trainerdelegation um Coach Paolo Vanoli zu sehen. Einen möglichen kommenden Gegner beobachten, wollten wir von Vanoli wissen? Der U19-Azzurri-“Mister“ lächelte und meinte: „Nein, nein, wir haben Zeit, und Holland gegen Frankreich verspricht immer sehr guten Fußball. Das sind zwei tolle Teams“, sprach er und setzte sich auf die Tribüne.

Einer, der den italienischen Fußball auch recht gut kennt, ist Aron Winter, Coach der niederländischen Junioren. Der spielte für Inter Mailand und Lazio Rom. Fließend auf italienisch parlierend, sagte Winter: „Hier ist alles super organisiert. Eine tolle Europameisterschaft.“ Winter selbst, ein Kind der Ajax-Schule und Europameister 1988 in Deutschland, über die Junioren allgemein: „Wichtige Erfahrungen, ab hier zeigt sich, wer dem Profifußball wirklich verbunden bleiben wird ...“, jedenfalls täte der niederländische Fußballverband alles für eine „Allround-Ausbildung“, eben so, wie sie Winter selbst genießen durfte.
 
Aron Winter, aus Surinam kommend und in Holland aufgewachsen, verdanke dem Fußball „sehr viel“. Bei Ajax trainierte Winter einst die zweite Mannschaft, bevor er als Coach in Toronto anheuerte - „eine andere Fußballwelt“, wie er lächelnd zugab. Nun  also die U19-Nationalmannschaft, und danach, wie sieht die Zukunft aus, eventuell ein Profi-Club in Europa? Italien, Niederlande oder in Deutschland? Aron Winter: „Meine Arbeit im niederländischen Verband macht mir sehr viel Freude und ich habe Anerkennung hier. Aber wer weiß, im Fußball kann es sehr schnell gehen ...“, sollte heißen, er sei in alle Richtungen offen – und ja, die Serie A, könne sich Winter gut vorstellen.

Nur seine Junioren schienen zu zurückhaltend, denn die Franzosen nahmen das Zepter gleich mit dem Anpfiff in die Hand. Das niederländische Team kam in den ersten neun Minuten nicht einmal bis in die Nähe des Sechzehnmeterraumes. Stattdessen schnürten die Franzosen von Coach Ludovic Batelli, der wieder hoch aktiv sein Team dirigierte und anfeuerte, die Oranje-Elf hinten ein. Keeper Yanick van Osch musste zweimal in brenzliger Lage klären, das dritte Mal war der Torspieler machtlos, ein schneller Pass in die Gasse durch Ludovic Blas verwertete Kylian Mbappé sehr sicher. Holland lag 0:1 zurück (9.).

Aus dem Nichts ein Freistoß für die Niederlande, Paal (PSV Eindhoven) flankte und Pablo Rosario (FC Almere City) wuchtete den Ball per Kopf an den Pfosten. Wenigstens ein Zeichen. Doch die L'Èquipe tricolore stand sehr sicher, jede Zone des Spielfeldes gehörte den Franzosen. Und besonders die französische Achse mit Kapitän Tousart – Blas – Amine Harit – und Augustine, der sich immer wieder gut aus der Manndeckung vor dem Strafraum löste, war ausschlaggebend für das Herausspielen guter Chancen. In der Abwehr erledigten die „Laufsoldaten“ Diop, Enock Kwateng und der 18-jährige Christ-Emmanuel Maouassa (AS Nancy) hervorragende Arbeit – nicht spektakulär aber ruhig und absichernd.

So fiel dann auch das logische 2:0 für die Franzosen: erst zirkelte Denis Will Poha den Ball an die Lattenunterkante, und nur 20 Sekunden später wurde Jean-Kèvin Augustine perfekt frei gespielt, einmal mehr war Harit der Ideengeber, und der PSG-Profi Augustin schloss flach ab (39.). Dieser athletische Stürmer ist kaum zu halten. Die Niederländer kamen kurz vor der Halbzeit immerhin per Foulelfmeter nach einem Tackling zum 1:2 heran. Kapitän Abdelhak Nouri verwandelte sicher.

Die junge Elftal war überfordert, oder wie der DFB-Trainer für die Fußballlehrer-Ausbildung, Tomek Kaczmarek meinte: „Die Niederlande spielt ihren typischen Fußball. Viel Ballzirkulation und viel zu langsam gegen diese Franzosen“, die immer sehr schnell attackieren und um jeden Ball kämpften. Tomek Kaczmarek war auf Beobachtung in der Arena.

Gleiches nach der Pause: nur die Franzosen bestimmten das Match. Einmal mehr Augustin schraubte das Ergebnis auf 3:1. Und ihm wurde dieser Treffer auch leicht gemacht, zig Holländer schauten zu (49.). Die Niederländer konnten sich zu keinem Zeitpunkt entfalten, stattdessen wollten die Franzosen von Trainer Batelli mehr – und taten auch alles dafür, diesmal ein Querpass im Strafraum durch Agustin auf Mbappé, und der machte per Flachschuss das 4:1. „Allez le bleu“, hallte es durch die Arena. Kyliab Mbappé eine Art neuer David Trezeguet – nicht nur vom Aussehen. Er riecht und wittert Torchancen.

Die Trinkpause nach einer Stunde kam für die Niederländer wie gerufen, so standen sie unter Druck.

15 Minuten vor dem Ende dann der Offenbarungseid der Niederländer, Standfußball und ein Augustin, der durch dribbelte und flach einschoss, 5:1. Augustins dritter Treffer, kleine Prognose: der Angreifer wird diese U19 definitiv noch ins Finale schießen.
 
Das Team von Aron Winter hatte selbst da kaum Chancen, als die Franzosen ab der 80. Minute einen Gang zurück schalteten. Mit 1:5 war die Niederlande dann doch angemessen bedient. Im Match der Verlierer trifft die niederländische U19 auf Deutschland in Sandhausen – immerhin geht es noch um die Teilnahme an der U20-Weltmeisterschaft im kommenden Jahr in Südkorea. Dann aber gerade noch als Fünftplatzierter dieser Europameisterschaft.

Die Stimmen der Trainer zum Match:

Aron Winter, Niederlande: Wir sind die ersten 15 Minuten ganz schlecht ins Spiel gekommen, und die waren fast schon entscheidend. Nach dem 1:3 sind dann alle Dämme gebrochen, wir haben nie unser Spiel durchziehen können. Frankreich ist von seiner ganzen Physis sehr stark. Jetzt machen wir schnell die Fehleranalyse und richten unseren Blick auf Deutschland. Es wird ein schweres Spiel aber machbar …

Ludovic Batelli, Frankreich: Ein verdienter Sieg natürlich auch in dieser Höhe. Bei uns hat alles gepasst, meine Vorgaben wurden eingehalten, früh und hoch verteidigen, Passwege schließen und schnell nach vorn spielen. Nach der ersten Niederlage gegen England haben wir eine schonungslose Analyse gemacht. Jeder blickt nach vorn. Ob wir uns nur selbst schlagen können? Nun, das erste Ziel, die Qualifikation zur WM in Südkorea ist erreicht. Im Halbfinale stehen wir auch, und das wollen wir gewinnen, dann natürlich auch das Finale, wenn es so kommt. Aber, in Frankreich sagt man, der Appetit kommt beim Essen.

 
Am Rande auch ein kurzes Gespräch mit Rainer Zietsch, ehemaliger Profi und fast zehn Jahre lang NLZ-Leiter beim 1. FC Nürnberg gewesen. Man kann sagen, Zietsch hat in Nürnberg das Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut. Jetzt ist Zietsch als Beobachter der Szene unterwegs, ohne Druck, ganz schnell wieder einsteigen zu müssen, wie der DFB-A-Lizenz-Inhaber meinte.

Herr Zietsch, heute hier in Aalen? Was interessiert Sie besonders?
Eine U19-Europameisterschaft, aber Turniere allgemein, sind wie eine Messe, auf der man sich auch weiterbilden und mit anderen in Kontakt bleiben kann. Ich will mich schon informieren, wie andere Nationen spielen lassen, und welche Talente eventuell in wenigen Jahren schon auf dem Profimarkt dazu stoßen. Manche der Spieler sind ja bereits in den Profikadern drin…

Möchten Sie im gehobenen Juniorenfußball bleiben, oder zieht es Sie auch hinein in den Profifußball der Herren, vielleicht als Trainer?
Also, erst einmal möchte ich ein bisschen runter kommen, meine freie Zeit sinnvoll nutzen, und mich gegebenenfalls auch für einen neuen Verein neu aufstellen. Ich finde den Juniorenfußball sehr interessant, man kann Spieler wachsen sehen. In Nürnberg habe ich ja quasi das NLZ konzipiert, aufgebaut und verantwortlich geleitet. Da steckt viel Engagement und Enthusiasmus drin – das streift man nicht einfach so ab. Deshalb werde ich mich selbst auch nicht stressen, sofort wieder in einem anderen NLZ einzusteigen. Jedes Kapitel muss erst einmal auch aufgearbeitet werden. Es war eine schöne und intensive Zeit. Ich lasse alles auf mich zukommen. Als Trainer müsste ich noch den Fußballlehrer draufsatteln, das muss ich mir noch überlegen, ob ich das möchte.

Haben Sie als Juniorenfachmann einen Rat an die Trainer und Tipps an Spieler, die Profis werden möchten?
Das ist immer schwierig, aber die Trainer sollten von ihrem Tun überzeugt sein, und sich immer gut vorbereiten – jede Trainingseinheit sollte auf die Mannschaft und Spieler gut vorbereitet sein. Das ist Zeitaufwendig aber auch schön, und es gehört zum Job dazu. Nachhaltigkeit ist wichtig, das merken die Spieler, und es kommt ihnen auch zu Gute. Spieler, die wirklich ganz Oben ankommen möchten, müssen immer interessiert und fleißig dabei sein, auch stets bestrebt sein, Fehler zu korrigieren und Kritik nie persönlich zu nehmen. Außerdem müssen sie auf einige Dinge für den Fußball verzichten. Talent und Biss, es schaffen zu wollen, sind natürlich nötig.

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