TRAINERWECHSEL
Zeuge der Entwicklung
Er lernte bei Louis van Gaal und leitete die Nachwuchsabteilung des FC Arsenal: Andries Jonker steht als neuer Trainer in Wolfsburg vor einer anspruchsvollen Aufgabe. Er bringt Freddie Ljungberg als Assistenten mit. Von Giovanni Deriu.

 

Andriers JonkerZurück in Wolfsburg: Andries Jonker. Foto Pixathlon

 

VfL-Sportdirektor Olaf Rebbe setzte ein dickes Ausrufezeichen. Denn wenn es so ist, wie beide Seiten bestätigten, hielt man zu Andries Jonker, nach dessen Abgang von Wolfsburg zu Arsenal London stets Kontakt. Dennoch war Jonker überrascht, dass er als „Wunschtrainer“ galt. Rebbes Verdienst ganz klar: den Kontakt stets aufrecht gehalten und letztendlich gut analysiert zu haben, denn Jonker ist ein international angesehener Fachmann.

Und dass Andries Jonker oft noch als „der ehemalige Assistent von …“ Louis van Gaal tituliert wird, ist so schlimm auch nicht, eher eine zusätzliche Auszeichnung. Dass es Jonker auch ohne „LvG“ weit gebracht hat und Erfolge vorweisen kann, zeigte der smarte wie ruhige Jonker bereits. Einst führte er die Bayern in fünf verbleibenden Spielen noch souverän in die Champions League, danach assistierte „AJ“ beim VfL Wolfsburg, und dass ihn Arsenal London unbedingt als Direktor der Nachwuchsabteilung wollte, zeigt die hohe Meinung, die man von Jonker hat.

Außerdem ist anzumerken, neben Jonker lernten, oder wurden als Spieler von Louis van Gaal auch José Mourinho und Pep Guardiola, oder Frank de Boer stark beeinflusst. Jonker war van Gaals rechte Hand und Übungsleiter bei Barcelona, den Bayern, sowie im Niederländischen Fußballverband (KNVB), wo van Gaal als übergeordneter Sportdirektor eine neue Philosophie und moderne Spielform implementieren sollte – Jonker setzte die eifrigen Vorgaben auf dem Platz für die zahlreichen Trainer um. Aber, in Wolfsburg geht es Andries Jonker und Olaf Rebbe um mehr. Rebbe betonte, Andries Jonker wisse, wie beim VfL die Türen aufgehen. Wichtig wäre aber auch, dass diese dem Trainer beim geringsten Misserfolg nicht gleich wieder vor der Nase „zugeschlagen“ werden. Eine neue Philosophie muss wachsen.

Relaxed, aber fokussiert, lässt sich Jonker, vor etwa zwei Monaten noch vom Arsenal-Inhouse-Sender (Arsenal Media) in der Indoor-Fußballhalle befragen. Es ging um die Nachwuchsabteilung von Arsenal London, der Jonker hauptverantwortlich vorstand – als Direktor des Arsenal-Nachwuchsfußballs. Arséne Wenger, die Arsenal-Trainerlegende, wollte damals unbedingt Jonker für diese Position. Im Interview hebt Jonker die Entwicklungen und Verbesserungen hervor. Und es wird klar, es geht ihm nicht nur um Fußball und Pokale, sondern um Nachhaltigkeit, um Entwicklung der jungen Fußballer. Das Ambiente beim FC Arsenal gestaltete Jonker mit, die Klassenräume, bestens ausgestattet mit Computern und Flachbildschirmen. Gediegene Lernatmosphäre. Und die Umgebung und das Ambiente seien enorm wichtig, denn, so Jonker, „Nur in einer angenehmen Umgebung kann man auch gute Leistungen bringen“, neben Fußball sei die Schulausbildung enorm wichtig.

Aber, so Andries Jonker weiter, mit einer Umgebung und mit dem Ambiente identifizieren sich die Spieler ebenfalls. Jonker wurde vom Interviewer nach der großen Wandbemalung in der Indoor-Halle befragt, auf der der Arsenal-Fanblock abgebildet ist.

Jonker ist überzeugt: „Die Spieler müssen wissen, wo bin ich, wer bin ich, was will ich…“ – „Where, who and what…“. Die Identifikation mit dem Club sei enorm wichtig!

In Niedersachsen hatte man da zuletzt seine Zweifel. Die Spieler, die momentan im Kader sind, sollen sich, besonders jetzt in der Rückrunde und Endphase, wieder absolut mit dem VfL Wolfsburg mit den Fans und der Volkswagen-Stadt identifizieren. Wo Autos zusammengebaut werden, wird malocht, und die Spieler müssen wissen, in welch komfortabler Situation sie selbst sind, mit ihrem Hobby Geld zu verdienen.

Offensivfußball und Dominanz:

Jonker wird sich nun in der Kürze der Zeit erst einmal ein Bild der Mannschaft machen, mit zwei Leistungsträgern habe er schon vorab telefoniert, wie er offen zugab. In allererster Linie wird es darum gehen, das Team, den Kader allgemein, zu festigen, psychologisch einzuwirken, viele Einzelgespräche zu führen. Auch ein Mario Gomez, der unter Jonker bei den Bayern noch viele wichtige Tore schoss damals (unter van Gaal war dessen Stand schwerer), habe keinen Freifahrtschein. „Alle müssen zeigen, dass sie spielen wollen“, so Jonker. Es geht erst einmal um die Stabilisierung, sicher zu stehen, und die spielstarken Spieler sollen dann mit schnellen Spielzügen den Weg nach vorn suchen. Einfach ist Jonkers Einstieg mit gleich zwei Auswärtsspielen, erst in Mainz, danach bei Leipzig, nicht. Andererseits, könne der VfL auch befreit aufspielen. Jonker ist als Stratege bekannt – einen „Matchplan“, für Mainz und besonders bei RB Leipzig (es dürfte dennoch eine knappe Niederlage geben),  wird der 54-jährige Niederländer immer nach den Trainingseindrücken entwerfen. Den Kader, der auch teuer verstärkt wurde, hält Jonker jedenfalls für stark genug. Das Ziel, schnell sollen die 40 Punkte für den Verbleib in der Liga her.

Dominant und offensiv, die Lieblingsbeschreibungen van Gaals bei den Bayern, aber auch in Manchester letzt, kann Jonker nur spielen lassen, wenn ein hohes technisches und taktisches Vermögen im Team enthalten ist. Nicht umsonst erwähnte Louis van Gaal immer, Bayern München sei von den Spielern das beste Team gewesen, das er je trainiert habe. Und Jonker unterstreicht das.

Zur Mannschaft des VfL Wolfsburg momentan (wie gegen den SV Werder Bremen):

Benaglio – Knoche, Gustavo, Rodriguez – Blaszczykowski, Träsch, Arnold, Didavi, Horn – Malli, Mayoral (Bank: Casteels, Bruma, Bazoer, Vieirinha, Gerhardt, Ntep, Gómez)

An Technik und taktischem Verständnis sollte es bei diesen Namen nicht mangeln (die Frage von Jonker und anderen ist nur, warum kann dieser Kader die Leistung nicht abrufen?). So wird Jonker bestimmt wieder auf Vieirinha als defensiver Ideengeber im Mittelfeld setzen (obwohl der Spieler auch offensiv und als Außenverteidiger agieren kann).

Auch Jonker scheint ein Verfechter des variablen 4:3:3, oder 4:3:1:2-Systems zu sein, bei dem „ein sehr gutes Positionsspiel mit dribbelstarken Spieler auf den Flügeln“ gefragt ist. Auf das Pressing-Spiel (wie Lehrmeister LvG) wird auch Jonker nicht verzichten wollen, möglichst in der Hälfte der Gegner. (Für van Gaal wie auch Jonker war stets wichtig, auch das Publikum zu begeistern)!

Dominantes Spiel hat aber auch etwas mit Vertrauen zu tun (auch gut im Buch, „Mythos niederländischer Nachwuchsfußball“ beschrieben), d. h. „man benötigt gute Spieler, und viel Vertrauen in diese Spieler, um dominant spielen zu können.“ Letztendlich erläuterte Louis van Gaal einmal, dass auch andere entscheiden, ob man dominant spielen lassen kann: die Spieler, der technische Stab, die medizinische Abteilung, die Verwaltung, aber natürlich auch die Fans und die Medien. Soll heißen, oft muss sich das gesamte Denken neu entwickeln, wenn man anfangs risikoreich spielen lässt.

Jonker ist jedenfalls gut geeicht, vom niederländischen Fußball und von Louis van Gaal geprägt, wobei, der selbstbewusste „LvG“ sehr gern auf Jonker als Assistent setzte, weil dieser Vorgaben noch besser umsetzen und gezielt gute „Gegenfragen“ stellen konnte. Andries Jonker bestätigte auch im Buch „Louis van Gaal – Biographie und Vision“, dass van Gaal immer für andere Meinungen offen war, aber man musste argumentativ stark sein. Louis van Gaal (der Jonker zum neuen Job gratulierte) konnte bohrend und immer wieder in einer Sache nachfragen, da dürfe man sich nicht verunsichern lassen, so Jonker. Man entwickele sich bei van Gaal auch weiter, so der frühere Assistent, der nun den VfL Wolfsburg formen und retten soll.

Auf die Wolfsburger wird zudem viel Detailarbeit bei den Trainingseinheiten zukommen. Beidfüßig ballsicher sollten alle Spieler sein, die langfristig für Jonkers Spielweise wichtig sind – zudem wird der Niederländer auch an Stellschrauben im Nachwuchsbereich drehen, so bald es ihm die Zeit zulässt. Das System, eben wie bei Barça oder den Bayern, hänge immer auch von der „Spielergruppe“ ab. Passgenauigkeit und Spielintelligenz werden erwartet, wenn es darum geht, immer genügend „Anspielmöglichkeiten zu kreieren“. Es gehe auch um die effektive Besetzung des Spielfelds.

Außerdem war Jonker „Zeuge der Entwicklung“, als Louis van Gaal ganz logisch den „absichtlichen Ballverlust“als Erfolgsfaktor anhand von Studien und Analysen postulierte. Selbst Pep Guardiola schwört darauf. Jonker kreierte daraufhin Übungsformen für den Meister. Recht erfolgreich. Dennoch, beim VfL Wolfsburg ist nun erst einmal Basisarbeit gefragt.

Andries Jonker wählte clever seine Begleiter und Assistenten aus:

Er bringt Uwe Speidel und Fredrik Ljungberg als Co-Trainer mit. Speidel ist kein Unbekannter in der Szene, und zum anderen, Fredrik Ljungberg, muss man nicht viel sagen: bei Arsenal eine Legende, und vom Aussehen immer noch Modelformat. Schon bei Arsenal arbeiteten Jonker und Ljungberg eng zusammen. Sollen sich die Medien und weiblichen Fans auf Ljungberg stürzen, wird Andries Jonker in Ruhe arbeiten können.

 

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