EINTRITTSKARTE
„Der DFB hätte die Karte gern“
Die Eintrittskarte ist 120 Jahre alt und unverkäuflich – es ist das einzige erhaltene Originaldokument, das an das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft im Mai 1903 erinnert. Erhalten hat der langjährige Vorsitzende des Hamburger Klubs SC Victoria das gute Stück vom Altinternationalen Ernst Eikhof. Von Volker Stahl.



Eintrittskarte von 1903
Einzelstück: Die letzte erhaltene Eintrittskarte des Endspiels von 1903
. Foto Benne Ochs



Vor dem Anpfiff herrscht hektische Betriebsamkeit. Der Schiedsrichter überprüft die Absperrtaue, markiert den Strafraum und die äußeren Spielfeldbegrenzungen mit Sägemehl. Ein Teller macht die Runde. Darauf klimpert das Eintrittsgeld der Zuschauer. Kassenhäuschen und Tribünen gibt es nicht, Umkleidekabinen sind unbezahlbarer Luxus. Ein Trampelpfad kreuzt das Rasenrechteck. Hinter den Torstangen spannen sich sorgfältig geknüpfte Netze, deren Prototyp zehn Jahre zuvor bei einem „Wettspiel" in Berlin erstmals zum Einsatz gekommen war.

Als die Mannschaften endlich das Spielfeld betreten, fehlt nicht nur eine imposante Kulisse, sondern auch ein intaktes Spielgerät. „Das Endspiel konnte erst mit einer etwa halbstündigen Verspätung beginnen, da die derzeit in Hamburg bestehende Firma Steinberg ihrer übernommenen Verpflichtung, rechtzeitig einen Ball zum Spiel zu senden, nicht nachgekommen war", gab Schiedsrichter Franz Behr später zu Protokoll. Die skurrilen Szenen aus der Pionierzeit des deutschen Fußballs ereigneten sich nicht bei der Austragung einer x-beliebigen Begegnung zwischen zwei Dorfmannschaften, sondern in den Stunden vor dem ersten Endspiel zur deutschen Fußballmeisterschaft am Pfingstsonntag, dem 31. Mai 1903, auf der Exerzierweide in Altona.

Am Rand des Spielfelds stand der elfjährige Ernst Eikhof an der Hand seines Vaters. „Der Platz war durch besenstielartige Hölzer, die mit Bindfäden verbunden waren, abgetrennt. Es mögen wohl etwa 800 Zuschauer anwesend gewesen sein", erzählte Eikhof später gerne auf den Sitzungen des Traditionsausschusses seines SC Victoria. Zu fortgeschrittener Stunde zauberte er oft seinen kleinen Schatz, die Eintrittskarte mit der Nummer 534, aus der Brieftasche hervor und ließ die sorgsam in eine Plastikfolie gehüllte Karte in der fröhlichen Runde kreisen.

Der Anstoß erfolgt um 16.45 Uhr. „Prag hatte Wahl und zog es vor, mit Sonne und Wind im Rücken zu spielen", ist in der Festschrift zum 25-jährigen DFB-Jubiläum überliefert. Die stürmischen Studenten aus der goldenen Stadt beginnen in „scharfem Tempo". Der erste Treffer lässt nicht lange auf sich warten: „Von einem Gedränge vor dem Tor aus konnte Prag um 17.07 Uhr zum ersten Mal einsenden, und lauter Jubel seiner wenigen Anhänger belohnte diesen Erfolg." Zur Halbzeit steht es 1:1, danach schwinden die Kräfte der Prager, eines bunt zusammengewürfelten Haufens aus Lehrlingen, Kaufleuten und Studenten. Sie unterliegen am Ende dem VfB Leipzig mit 2:7. Was war nur mit Prag in der zweiten Halbzeit los, fragten sich die Zuschauer. Nun ja, die Spieler des studentisch geprägten Deutschen Fußball-Clubs aus Böhmen hatten, so wurde gemunkelt, ihre Kräfte in der Nacht zuvor auf einer feucht-fröhlichen Spritztour über die Reeperbahn gelassen.

Ernst Eikhof war aus einem anderen Holz geschnitzt. Der kampfstarke Schnauzbartträger spielte nicht nur dreimal für die Nationalmannschaft und liebte neben seinen blau-gelben Vereinsfarben vor allem „unser Vaterland". Eikhof starb 1978, nicht ohne seinen Nachlass geregelt zu haben. „Der DFB hätte die Endspielkarte gern gehabt „ aber nicht für noch so vieles Geld! Die erhält meine Victoria", erklärte er kurz vor seinem Tod. Eikhof hat Wort gehalten. Heute lagert das kleine Wertpapier wohlbehütet im Archiv des Traditionsvereins.

 

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