PORTRÄT
Der Fußball-Lehrer
Norbert Stippel kennt Jogi Löw seit er bei Rolf Fringer ein Praktikum beim VfB Stuttgart absolvierte. Löw war damals Cotrainer, die Freundschaft mit Stippel hält bis heute. In RUND stellt er die Schwaben-Connection vor. Von Giovanni Deriu

 

Jogi Löw und Norbert StippelBundestrainer und Fußball-Lehrer: Jogi Löw und Norbert Stippel sind befreundet. Foto Markus Gilliar

 

Jogi Löw hatte gerade mal seinen vorläufigen Kader für die Weltmeisterschaft in Russland bekannt gegeben, als sich der Gmünder Fußballlehrer und Sonderpädagoge, Norbert Stippel 57, kurz vor den Pfingstferien in einer kleinen Lehrerkonferenz, mit seinen Kollegen noch über Schüler und Maßnahmen unterhielt. Das Lehrerkollegium mit Norbert Stippel kümmert sich um Schüler mit besonderen Bedürfnissen. Inklusion hier, ausschließen dort - Jogi Löw verzichtet auf Sandro Wagner und, ja, Mario Götze, dem finalen WM-Torschützen von 2014.
So ist der Fußball, so ist der Nationaltrainer.

Norbert Stippel kennt Jogi Löw als Schwabe und Trainer ziemlich gut. Sie sind Freunde und stehen regelmäßig in Kontakt.

Stippel, ein ehemaliger Defensivkünstler im gehobenen Amateurfußball, absolvierte einst sein Praktikum beim VfB Stuttgart unter dem Schweizer Rolf Fringer, dessen Assistent, sie kannten sich aus der Schweiz, war Joachim Löw. Der Bundestrainer ließ seine Spielerkarriere in der Schweiz ausklingen, und seine Trainerlaufbahn startete beim FC Frauenfeld – als Spielertrainer. Löw dachte schon als Spieler wie ein Trainer.

Rolf Fringer bekam damals in den 1990ern nicht viel Zeit beim VfB. Sein Ansatz war zwar gut und modern, allein, die Punkte fehlten. Jogi Löw beerbte seinen Ex-Trainer und Mentor, auch weil der bereits verstorbene, damalige Präsident, Gerhard Mayer-Vorfelder, unbedingt Jogi Löw wollte.

Der "Jogi" dankte es dem Präses mit dem DFB-Pokal 1997 gegen Cottbus. Im Europapokal der Pokalsieger unterlag der VfB dann Chelsea London.

Norbert Stippel saugte während des Praktikums alles auf, beobachtete viel, und feierte als junger Fußballlehrer mit knapp 36 Jahren, seinen Einstieg als Trainer im Großraum Stuttgart – und auch Erfolge (WFV-Pokal; Aufstieg mit Bonlanden, unter einem Funktionär, Kurt Adam, "der Seele des Clubs").

Dort gibt es nämlich etliche "Zulieferer" für den VfB Stuttgart, und die Kickers (die jetzt selbst am Boden sind). Clubs mit Namen wie VfL Kirchheim, SV Bonlanden - beide trainierte Stippel durchaus erfogreich - oder dem SC Geislingen an der Steige, sie sind auch heute noch im Fokus.

Stippel, der geborene Pädagoge, kennt sich aus, was den schwäbischen Fußballgeist ausmacht, und weshalb so viele Trainer momentan im Fußball den Takt angeben, die aus dem "Ländle" kommen. Bekannt für seine Macher und "Schaffer". Sie können alles, außer... genau, der Slogan ist ein Markenzeichen. Hochdeutsch wird zum "Singsang".

Bundestrainer Löw baut unter anderem auf Assistenten wie Thomas Schneider (ehemaliger VfB-Spieler und Trainer; sehr intelligent) und Marcus Sorg (war DFB-Juniorentrainer; und Profispieler beim SSV Ulm, wo Rangnick einst Trainer war).

Norbert Stippel macht eindeutig zwei "Stilrichtungen" oder prägende Fußball-Denkschulen aus, die mal unterschiedlich "daherkommen", sich aber auch ergänzen.

Löw und seine Philosophie aus der Schweiz, Jürgen Klinsmann holte Jogi Löw an Bord, da Löw schon damals für seine Trainings- und Übungskonzeptionen bekannt war. Aber, auch ein "Schöngeist", für die schönen Dinge im Leben. Schöner Fußball bitte, aber kontrolliert und diszipliniert.

Dann die "Reformer" um Helmut Groß, dem Vordenker des offensiven und totalen Fußballs im "Schwabenland", startend in Geislingen und Ulm, so sagt man. Jeder weiß, ziemlich früh, machten sich Groß wie Ralf Rangnick daran, den AC Milan von Arrigo Sacchi oder das russische Team von Lobanowski, zu studieren, ja, zu "sezieren", so Stippel. Pädagoge Stippel erinnert sich, als Spieler hatten "wir einmal ein Match gegen das Team von Helmut Groß in Geislingen. Wir führten 2:0 zur Halbzeit und verloren noch 2:8. Groß war Spielertrainer, wir wussten danach, es war eine neue Art Fußball", so Stippel. Als habe der Gegner plötzlich zwei bis drei Mann mehr gehabt, "auf dem Feld".

Dann lernten sich der Ingenieur und Trainer Helmut Groß und Rangnick im Ausbilder-Stab des Württembergischen Fußballverbands richtig kennen, ja, der Rest ist Geschichte und Mythenbildung?

Stippel schüttelt den Kopf: "Nein, es sind wahre Tüftler und Experten. Die Ergebnisse sieht man ja heute." Alle Teams die Ralf Rangnick coachte oder betreute hatten und haben langfristigen Erfolg. Stippel selbst war auch einige Jahre im WFV-Ausbilder-Team, leitete die dezentralen Trainerschulungen bei Vereinen, unter anderem mit Markus Gisdol, oder auch Thomas Albeck, dem Leiter (leider bereits verstorben; VfB und RB Leipzig).

Die ballorientierte Raumdeckung, bei der das Verteidigen und Anrennen der Gegner bereits im Sturm beginnt, wurde perfektioniert. Angriff ist die beste Verteidigung, so Stippel, aber auch "sehr laufintensiv".

Thomas Tuchel, Jürgen Klopp, und ja, der andere Gmünder, Alexander Zorniger? Alle Verfechter des Angrifffußballs. Alle schwäbischer Herkunft. Stippel kennt Zorniger gut und sagt: "Der Alex ist ein absoluter Fachmann, ein akribischer Trainer. Er beschäftigt sich quasi 24 Stunden mit dem Fußball, detailversessen...", dessen Philosophie sei doch einleuchtend: "Wenn der Ball bereits vorne abgefangen wird", sei doch der Weg zum Tor ganz kurz, so Stippel und lächelt vielsagend.

Zorniger bekam beim VfB nicht die Zeit, dann "eckte er auch an, das weiß er", so Stippel, ganz der Pädagoge, der auch mal "rüffelt". Dafür holte Zorniger jüngst mit Brøndby Kopenhagen den Pokal, und spielt noch um die Meisterschaft.

Stippel, der momentan eine E-Jugend im Heimatdorf trainiert, "und die Eltern quasi erde", wie er lächelnd erzählt, sondiert Angebote (zuletzt trainierte er einen Verbandsligisten über drei Jahre), und bildet sich weiter. Zahlreiche Spiele im Ausland besucht Fußballlehrer Stippel. Seine Augen leuchten, und Stippel kann mitreißend erzählen. Jürgen Klopp und der FC Liverpool?

"Jürgen hat dem Club und der Region Stolz und Ehre zurück gebracht. Ein großer Motivator, der geht richtig ab", Liverpool führe zum Beispiel gegen Southampton mit 3:0, alles klar also, aber "Kloppo" fiebert an der Außenlinie total mit und gestikuliert wegen eines "nicht gegebenen Einwurfs". Die Fans lieben das. Wie in Dortmund, nun auch in Liverpool, Klopp wisse einfach welche emotionale Knöpfe er drücken muss. "Ehrlicher schneller Fußball für Fans, die unter der Woche hart arbeiten...".

Stippel war auch in Österreich, bei Austria gegen RB Salzburg. Und, etwa acht Mal in drei Jahren bei Real Madrid, "einfach genial", so Stippel, wenn man dann im Classicó ein 3:4 miterlebt, und "einen Messi, der sich gegen Weltklasseverteidiger wie Ramos und Pepe behauptet, den Ball eng am Fuß, und sich stets anspielen lässt."

Ja, so Norbert Stippel, mit dem Ball sollte ein Profi umgehen können.

Stippel analysiert viel, und kennt sie, seine Freunde und schwäbische Trainerkollegen. Alle etwas weiter oben, und er selbst?

"Jeder muss für sich wissen, was er kann, und was er auch bereit ist, zu leisten. Ich bin sehr zufrieden, hätte mich sowieso eher als loyalen Assistenten irgendwo im Profifußball gesehen", in Istanbul hätte es beinahe einmal geklappt, doch das ist wieder eine andere Geschichte.

Stippel, einst WFV-Pokalsieger mit Kirchheim (spielte im DFB-Pokal gegen Hannover 96), und fußballverrückter Lehrer und Trainer, kennt das Business, leitet gern Junioren-Trainingscamps, bildete in Chicago Spieler und Trainer in Akademien aus, und "brennt" bereits für ein neues Engagement bei einem, hoffentlich, ambitionierten Amateurclub.


◼Giovanni Deriu, RUND-Autor und Sozialpädagoge, analysiert Biografien und beobachtet Norbert Stippels Weg seit zehn Jahren.

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