INTERVIEW
„Wie ein Ritter der Tafelrunde“
Gunter Dueck trägt bei IBM den Titel „Chief Technologist“ und ist Fan des FC Bayern. Sein Job ist es, in die Zukunft zu schauen. Ein RUND-Interview von Malte Oberschelp und Jürgen Reuß.


Nicht Geld, das Wollen bringt den Sieg:
Mathematiker und Manager Gunter Dueck.
Foto: Martin Siegmund


RUND: Herr Dueck, bei IBM bezahlt man Sie dafür, visionäre Ideen zu entwickeln. Entwickeln Sie uns doch einmal eine Vision über den Fußball in 50 Jahren.
Gunter Dueck: Vielleicht gibt es dann keinen Fußball mehr. E-Sports und immer leistungsfähigere Darstellungsmedien sind ja auf dem Vormarsch. Noch vermitteln diese elektronischen Spielereien den Nutzern allerdings keine richtigen Emotionen. Sollte das einmal gelingen, hätte es der reale Fußball schwer. Andererseits kann es auch zu einer umgekehrten Bewegung kommen, dass man zu sehr mit elektronischen Medien überfüttert ist und lieber etwas mit realen Menschen zusammen erleben möchte.

RUND: Aber entemotionalisiert sich Fußball nicht auch als Live-Event? Stichwort Sitzplätze?
Gunter Dueck: Das ist eher eine Business-Frage. Wenn die Nachfrage nach emotionalen Massenerlebnissen steigt, gehen eben auch verstärkt Mittel- und Oberklasse hin, und die verhalten sich ruhig. Die Leute reisen an wie zu einem Musical, und die Eintrittspreise gehen so hoch, dass die Leute wegbleiben, die früher die Atmosphäre in den Stadien erzeugt haben. Denen bleibt nur der Premiere-Decoder.

RUND: Ist das nicht ein betriebswirtschaftlich notwendiger Prozess?
Gunter Dueck: Es gibt kurzfristige Gewinne, aber die Vereine verlieren anhängliche Fans, die sich die Lunge aus dem Hals schreien. Das kostet Heimpunkte, und damit auch Geld. Das wird zu wenig in die Rechnung einbezogen. Zumal das Geld oft in teuere Fehleinkäufe gesteckt wird. Mit Fehlinvestitionen kann jedes Kapital vernichtet werden. Da werden im Zuge der Kommerzialisierung mühsam die Millionen an Land gezogen, um sie dann auf einen Schlag wieder rauszuhauen.

RUND: Trotzdem: Hätte Bayern-Manager Uli Hoeneß nicht schon in der vorigen Saison richtig Geld in die Hand nehmen müssen?
Gunter Dueck: Geld allein ist keine Lösung. Wir haben mal analysiert, was eine Abteilung richtig viel Geld kostet. Das Ergebnis: Den Falschen einstellen. Die Kernfragen lauten: Passt der zu uns? Kann er das, was er soll? Der beste Weg Geld zu sparen, ist nur Leute einzustellen, wenn man ganz sicher ist, und die es auch wirklich wollen.

RUND: Und wie motiviert man die dann zu Spitzenleistungen?
Gunter Dueck: Ich habe bei IBM früher einmal eine Abteilung gegründet, die den Namen Technologie für Optimierung trug, abgekürzt TOP. Das war Absicht. Jeden Brief habe ich mit „Hallo Tops“ begonnen, auf jeden Aushang im Gebäude habe ich das geschrieben. Überall waren wir die Top-Leute und irgendwann haben sich auch alle so gefühlt.

RUND: Ist das das Geheimnis des Bayern-Gens?
Gunter Dueck: Ja, aber das ist jetzt am Kippen. Da muss schnell was gemacht werden. Obwohl ich inzwischen nicht mehr krank bin, wenn Bayern gegen Nürnberg verliert. Das lässt mit dem Alter nach. Heute betrachte ich den Fußball eher, weil es starke Parallelen zum Management gibt.

RUND: Und was sollte die Bayern-Führung tun?
Gunter Dueck: Das Einmaleins des Entrepreneurs: Work only with the best. Dafür braucht der Verein, der Manager oder Trainer eine besondere Begabung, einen Glamour, dass man die besten Bewerbungen von allein bekommt, wie bei IBM. Der Spieler muss das Vertrauen haben, von dem Verein optimal aufgebaut zu werden. Sie müssen ihm als Führungskraft immer das Gefühl geben, viel besser spielen zu können, als er es gerade tut. Das ist wichtiger als das Gehalt. Man muss sich wie ein Ritter der Tafelrunde fühlen: „Ich bin stolz, unter dem zu arbeiten.“

RUND: Und worauf muss man als guter Trainer respektive Manager noch achten?
Gunter Dueck: Man muss verstehen, was die Leute wirklich wollen. Manche wollen Geld, andere Liebe, noch andere Spaß. Effenberg zum Beispiel wollte immer Respekt. Mancher will Sieger sein, ein anderer bewundert werden für seine Dribblings. Das sind lauter verschiedene Wünsche in den Menschen, derer man sich bedienen muss. Indem man sie wirklich versteht, nicht amateurhaft manipulativ.

RUND: Welcher Trainer kommt diesem Ideal am nächsten?
Gunter Dueck: Auch wenn das jetzt wieder Bayern ist: Vielleicht Ottmar Hitzfeld. Er sagt in seinen Interviews für mich als Führungskraft sehr viel. Hitzfeld hat Mathematik studiert wie ich und einen sehr nüchternen Blick auf sich und seine Spieler. Er bespricht die Spieler immer in Relation zu sich selbst. Was kann der, was kann ich? Manche Spieler passen nicht zu ihm als Mensch, aber trotzdem weiß er, dass er solche braucht.

RUND: Zum Beispiel?
Gunter Dueck: Zum Beispiel Effenberg. Ich glaube, Hitzfeld mag dieses Großspurige nicht, dieses blautigeräugige „Ich habe es allen gezeigt". Aber er versteht, dass so einer im Sinne der Führungsphilosophie in einer Mannschaft dazugehört. Solche Leute hatte ich auch schon in der Abteilung. Manchmal stehen die dann echt jeden Morgen auf der Matte und wollen eine Gehaltserhöhung. Da hilft nur eins: sie mit Herausforderungen zuzupflastern. Wie bei Kindern: „Ich glaube, das kannst du noch gar nicht" – sofort springen sie dahin, wo du willst, und man hat sie auf optimaler Betriebstemperatur. Führt man sie dagegen zu sachlich, bringen sie sich selber auf dieses krass hohe Level und werden destruktiv. Das war für mich das Schwierigste am Management, weil ich selbst so nicht bin. Ich bin in der Schule eher verhauen worden.

RUND: Ist das der Bereich, in dem am meisten Innovationspotenzial liegt?
Gunter Dueck: Nehmen wir die WM: Allein die Vorstellung in den Spielern, dass da einer kommt wie Klinsmann und etwas mit ihnen macht, damit sie besser werden, macht den Sieg aus. Ob die Maßnahmen die besten sind, ist gar nicht so wichtig. Das Problem ist nur, dass die heutigen ökonomischen Verhaltensweisen eine eher maschinelle Behandlung der Menschen nahelegen.

RUND: Das bedeutet?
Gunter Dueck: Es gibt zwei berühmte Theorien in der Ökonomie, X und Y. Theorie X sagt, dass jeder Mensch faul ist, nur gegen Geld richtig arbeitet und wahrscheinlich nicht mal dann. Man muss ihm immer in den Hintern treten. Theorie Y sagt: Jeder Mensch ist wertvoll, hat ungeahntes Potenzial, das man herausholen muss. Vernünftig führen, Begeisterung wecken, und man kriegt viel mehr Leistung. Bei der anderen Theorie haut man einfach drauf. Man setzt jemanden so stark unter Stress, dass er wie ein wildes Tier alles umrodet.

RUND: Genau das erzählen alte Spieler meist von ihren ehemaligen Trainern.
Gunter Dueck: Die Frage ist, wie Sie die Kraft des Menschen herausholen. Mit Angst? Wenn Sie ankündigen, noch 10.000 Leute zu entlassen, bekommen Sie dramatisch viel mehr Leistung. Der andere Weg ist, die Kraft in den Leuten als erneuerbare Energie zu erzeugen. Ich tippe, dass die Energie aus dem Stress nicht so groß ist. Aber heute wird meist nach X gemanagt. Stress machen ist viel einfacher, das kann jeder. Man kann damit relativ weit kommen, das zeigen auch viele Firmen. Die Frage ist nur, ob Sie mit dem Stressmodell hinkommen, wenn Sie Deutscher Meister werden wollen. Ich bezweifle es. Das hilft eher, wenn eine Mannschaft überraschend in den Abstiegsstrudel gerät.

RUND: Dann wird Udo Lattek eingestellt.
Gunter Dueck: Lattek? Eher der frühe Magath, ein Schleifer! Da wird Disziplin reingebracht, das funktioniert. Aber von Platz zwei auf Platz eins zu kommen, das ist eine andere Frage.

RUND: Was wird am Ende den Ausschlag geben?
Gunter Dueck: Der Unterschied zwischen gewinnen wollen und gewinnen müssen. Ich fasse das in das Wortpaar Wetteifer und Wettkampf. Leute, die den Wetteifer bis zum Schluss durchtragen können, jemand wie Steffi Graf oder auch Ronaldinho, die immer noch Freude daran haben, noch besser spielen zu können, das werden die ganz Großen. Eine Mannschaft ist gut, wenn sie gewinnen will, aber nicht muss. Das könnte 2001 und diese Saison das Problem von Schalke gewesen sein. Sie wollten gewinnen. Aber zwei Wochen vor dem Ende mussten sie, und dann werden sie prompt nervös und scheitern. Bayern hat in gewissem Sinne akzeptiert, immer gewinnen zu müssen.

RUND: Und in welchem Modus laufen Sie?
Gunter Dueck: Inzwischen geht es mir wie den Franzosen bei der WM. Sie waren alt genug zu wissen, dass die Welt nicht einstürzt, wenn sie nicht gewinnen. Sie mussten keinen neuen Vertrag mehr unterschreiben. Ich gehöre mit meinen 55 Jahren bei IBM ja fast schon zu den Allerältesten, und ich habe schon lange die höchste Gehaltsstufe erreicht. Seitdem möchte ich fast noch mehr gewinnen als früher. Aber ich muss nicht. Das Müssen macht den seelischen Schmerz aus. Das Wollen bringt den Sieg.

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