Kampagne gegen Klinsmann
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Von „Rudi Riese“ zu „Grinsi Klinsi“ ist es nur ein kleiner Schritt für die „Bild“-Zeitung. Warum ist der Konflikt des Boulevardblatts mit dem Bundestrainer im Frühjahr 2006 eskaliert? Von Roger Repplinger


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Kampagne: "Bild" wollte Klinsmann loswerden
 
 
Wer verstehen will, warum die „Bild“-Zeitung seit Monaten eine Kampagne gegen Bundestrainer Jürgen Klinsmann fährt, muss ins Jahr 1984 zurück. Am 26. Juni trat Jupp Derwall nach der verkorksten EM in Frankreich als erster Cheftrainer der DFB-Geschichte zurück. Franz Beckenbauer war als „Bild“-Kolumnist dabei und haute Derwall in die Pfanne. Beckenbauers Kolumnen schrieb Walter M. Straten. Heute ist der Autor Straten immer vorne dran, wenn es gilt, Klinsmann eins auszuwischen. Neben Straten kümmerte sich Mitte der 80er Jahre Raimund Hinko um Beckenbauer, heute bei „Sport-Bild“ und in tiefer Liebe dem FC Bayern München und Oliver Kahn und in ebensolcher Abneigung Klinsmann verbunden.

Jeder wichtige Nationalspieler hat bei „Bild“ einen speziellen, für ihn zuständigen Redakteur. Der ist Ansprechpartner, Kummerkasten, Image-Schöpfer, Helfer in der Not und Verkäufer wenn es, wie bei Stefan Effenberg, gilt, ein Buch loszuschlagen. Der Spieler gibt Infos, der „Bild“-Redakteur nimmt, der „Bild“-Redakteur gibt gute Spielnoten, der Nationalspieler nimmt und steigert so seinen Marktwert, erhält bessere Verträge. Der „Bild“-Redakteur steigt mit auf und weiß mehr als die Konkurrenz.

„Bild“ lebte viele Jahre lang gut von diesem Tausch. Es entwickelte sich eine tragfähige Form der Kumpanei. Nach dem EM-Aus in Frankreich saßen in trauter Runde im Hotel Henri IV. in Saint-Germain-en-Laye unter anderem Jörg Hüls, damals „Bild“-Sportchef, Nachfolger Alfred Draxler, „Bild“-Kolumnist Max Merkel und Beckenbauer zusammen. Es ging um Derwalls Nachfolger. In seiner Beckenbauer-Biografie beschreibt Torsten Körner die Szene: „Namen schwirrten durch den Raum, das Für und Wieder wurde jedes Mal mit ernsthafter Miene abgewogen, bis endlich Jörg Hüls Franz Beckenbauer ansah: ,Mach du es, Franz!' Beckenbauer lehnte ab: ,Seid’s ihr narrisch geworden?' Aber es war bereits zu spät zum Entkommen, und die anderen redeten so lange auf Beckenbauer ein, bis er, leicht ermüdet, eine sehr verhaltene und vorsichtig formulierte Bereitschaft erkennen ließ.“ Am nächsten Tag, dem 22. Juni, brüllte „Bild“ auf Seite eins: „Derwall vorbei – Franz: Bin bereit.“ So bereit war Beckenbauer gar nicht.

Also wurde Deutschland 1990 dank „Bild“ Weltmeister. Seitdem will die Zeitung nicht nur Bundestrainer aus dem, sondern auch ins Amt schreiben. Schon während Derwalls Amtszeit hatte „Bild“ einen Kandidaten des eigenen Hauses angepriesen. Zwar war Max Merkel als Trainer umstritten, doch er war dem Springer-Blatt verpflichtet. Und nur das zählt. „Bild“ ist treu, kämpft für seine Leute und gegen deren Gegner. „Bild“ hat ein gutes Gedächtnis für Freunde und Feinde.

Berti Vogts, Beckenbauers Nachfolger, war ein Feind. Er machte mit der unter Beckenbauer üblichen Vorzugsbehandlung von „Bild“ Schluss. „Bild“ verpasste Vogts dafür ein Image: fleißig, brav, bieder, grau, kämpferisch, langweilig. Mit der Wirklichkeit hat das so wenig zu tun wie Beckenbauers auch von „Bild“ stammendes Image als „Lichtgestalt“. So wird der eine hoch- und der andere heruntergeschrieben, je nachdem, wer „Bild“ passt und wer nicht.

Vogts Nachfolger Erich Ribbeck passte. Ein schwacher Bundestrainer ist gut fürs Blatt, weil er „Bild“ als Stütze braucht. Ribbeck hielt zum alternden Lothar Matthäus. Das garantierte „Bild“ exklusive Informationen und intime Details. Also hielt „Bild“ zu Ribbeck, bis es gar nicht mehr ging. Bei Vogts war der Trainer schuld, wenn mies gekickt wurde, bei Ribbeck waren es die Spieler, bis auf die Freunde des Blattes. Auch Ribbecks Nachfolger Rudi Völler war ein „Bild“-Mann. Er hielt an der jahrelang gepflegten Vorzugsbehandlung fest: „Bild“ bekommt die Mannschaftsaufstellung einen Tag früher als alle anderen und exklusive Informationen. Für „Bild“ war Völler immer zu sprechen. Jahre später griff „Bild“ Leverkusens durchaus erfolgreichen Trainer Klaus Augenthaler an, dem Bayer-Sportchef „Rudi Riese“ auf die Trainerbank folgte.

Völlers Nachfolger Klinsmann ist ein Feind. Schon als Jungprofi bei den Stuttgarter Kickers hielt er Distanz zu „Bild“. Stets war des Stürmers Privatleben tabu. Die Boulevardzeitung rächte sich und streute subtil das für einen Fußballer tödliche Gerücht, Klinsmann sei homosexuell. Harald Schmidt griff dies während der WM 1998 auf und verhöhnte Klinsmann als Schwabenschwuchtel. Der DFB erstritt vor Gericht eine Unterlassungserklärung.

Als Klinsmann bei Bayern München spielte, störte er die Mauscheleien zwischen Bayern-Führung und „Bild“, indem er auf die schädliche Wirkung von Beckenbauers „Bild“-Kolumnen für Mannschaft und Trainer Otto Rehhagel hinwies. Er kritisierte, dass Matthäus „Bild“ Interna steckte. Anfang 1996 brach der Konflikt zwischen Klinsmann und Matthäus offen aus. Auffällig war, dass „Bild“ und seine Schwesterblätter in diesem Streit gerne Partei gegen Klinsmann ergriffen. Als Beckenbauer nach Rehhagels Entlassung Bayern-Trainer wurde, stand Klinsmanns angebliches Gehalt, 10,5 Millionen Mark für drei Jahre, in der „Sport-Bild“, und als Klinsmann nicht mehr traf, verspottete ihn „Bild“. Sein interner Spitzname Flipper, weil ihm der Ball immer mal wieder versprang, wurde bekannt.

Vor der EM 1996 baten Klinsmann, Thomas Helmer und Matthias Sammer Bundestrainer Vogts, Matthäus, der Kabinengespräche an „Bild“ verraten hatte, aus der Nationalmannschaft zu werfen. Matthäus’ Indiskretionen hatten das Klima bei der Nationalelf vergiftet. Vogts warf Matthäus raus. Erst mal. Das verzieh „Bild“ weder Klinsmann noch Vogts. Michael Horeni beschreibt in seinem Buch „Klinsmann. Stürmer, Trainer, Weltmeister“ wie der Streit zwischen Klinsmann und dem Blatt während der EM 1996 eskalierte. „Bild“ brachte auf Seite eins ein Foto Klinsmanns mit nacktem Oberkörper und einen Text über einen „Saunaskandal“. Englische Boulevard-Zeitungen hatten in sensationeller Aufmachung berichtet, dass deutsche Spieler halb bekleidet zur Sauna im Mannschaftsquartier gegangen seien. „Bild“ griff dies auf, nur ausgerechnet der abgebildete Klinsmann war nicht in der Sauna. Der fand, dass dies zu weit ging, rief bei „Bild“ an und schlug vor: „Spendet etwas für einen wohltätigen Zweck und die Sache ist für mich erledigt.“ Darauf ließ sich „Bild“ nicht ein. Über den DFB verklagte Klinsmann das Blatt, bekam wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte 25 000 Euro, spendete das Geld und gewann einen Feind fürs Leben.

Die Feindschaft schlummerte bis Klinsmann Bundestrainer wurde. Für „Bild“ ist der Bundestrainer so wichtig wie der Bundeskanzler. Mit beiden ist Auflage zu machen. Der Sport ist für „Bild“ lebensnotwendig, vor allem die Nationalmannschaft, um die Kompetenz, die „Bild“ für sich beansprucht, nachzuweisen. Doch obwohl auf Druck von „Bild“ eine „Trainerfindungskommission“ installiert wurde, in der mit Beckenbauer auch ein „Bild“-Kolumnist saß, gelang es nicht, den eigenen Kandidaten, den notorischen „Bild“-Informanten Matthäus, durchzusetzen. DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, ein konservativer, schwerhöriger, unberechenbarer, alter Mann, wollte nicht irgendeinen, er wollte den richtigen Trainer. Einen, dem er zutraute, Nationalelf und Umfeld zu reformieren. Er traf sich im Sommer 2004, nach einem Tipp von Vogts, in einem New Yorker Hotel mit Klinsmann, während Beckenbauer in Deutschland unverdrossen für Matthäus warb. Eine Niederlage. Eine Blamage für „Bild“.

Unter den Spielern der aktuellen Nationalmannschaft hat „Bild“ keinen Informanten. Angeblich hat Kahn für die Zeit nach der WM einen Exklusivvertrag mit der Zeitung. Umso blindwütiger greift „Bild“ Klinsmann an. Dies geschieht vor allem durch WM-OK-Chef Beckenbauer, der, so hört man, eine Million Euro pro Jahr für seine Tätigkeit bei „Bild“ bekommen soll und den uns das ZDF trotzdem als unabhängigen Experten verkauft. Über „Bild“-Kolumnist Günter Netzer, den die ARD als unabhängigen Experten verkauft. Über einige Bundesligatrainer, die „Bild“ brauchen, um ihren Job zu sichern. Und über DFB-Funktionäre der zweiten, Politiker der dritten Reihe und enttäuschte Spieler wie Christian Wörns.

Klinsmann steht für alles, was „Bild“ ablehnt: Neue Formen der Trainingsarbeit, Wissenschaft, neue Taktik, Risiko, neue Führungscrew, internationaler Trainerstab – „Bild“ ist national. Klinsmann bedeutet einen Verlust von Macht und Einfluss. Deshalb muss Klinsmann weg. Sonst saust die sinkende Auflage weiter in den Keller.

„Bild“ hat den Nachfolger schon positioniert: Matthias Sammer. Dessen Medienberater heißt Ulrich Kühne-Hellmessen und war Chef-Reporter bei „Bild“. Sammer wurde, unter Einsatz aller Blätter des Springer-Verlages und der üblichen Trittbrettfahrer, als DFB-Sportdirektor gegen Klinsmanns Kandidaten, Hockey-Nationaltrainer Bernhard Peters, durchgeboxt. Ein Erfolg. Der Ausgang des Kampfes zwischen Klinsmann und „Bild“ ist offen. Es ist wie im Fußball. Nicht immer gewinnt der Bessere.
 
Der Text ist in RUND #10_06_2006 erschienen.

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