SPANIEN
Ein Debütant tritt ab
Niemand war bei seinem ersten Spiel in der Primera División jemals älter als er. Alberto Cifuentes stand beim Spiel der Aufsteiger FC Cádiz gegen SD Huesca mit 41 Jahren im Tor. Nun wechselt der Torwart in den Trainerstab des andalusischen Klubs. Von Dirk Segbers, Barcelona

 

Alberto CifuentesErstligadebüt mit 41: Alberto Cifuentes vom FC Cádiz. Foto Imago

 

 

Auf den spanischen Klub FC Cádiz trifft die etwas inflationär verwendete Beschreibung „Fahrstuhlmannschaft“ recht gut zu: immer irgendwo zwischen dritter und erster Liga angesiedelt, mal kurz vorm Bankrott, mal obenauf. Auch wenn die Fans des Vereins von der andalusischen Atlantikküste in den vergangenen Jahrzehnten häufig wenig Grund zum Lachen hatten, finden sie sich stets in großer Zahl im Estadio Ramón de Carranza ein – sofern sie nicht von einer Pandemie ausgesperrt werden, das muss man dieser Tage ja leider hinzufügen. Cádiz hat es vergangene Saison (mal wieder) geschafft, in die erste Liga aufzusteigen, bereits zum sechsten Mal in der Vereinsgeschichte.

Das letzte Intermezzo in der obersten Spielklasse gab es für den FC Cádiz in der Saison 2005/06. Damals reichte es aber nur für ein mickriges Jährchen in der Primera División. Damit der Aufenthalt in der Fußball-Elite dieses Mal etwas länger andauert, setzt man bei Cádiz auf Erfahrung: Mit der Verpflichtung des ehemaligen Nationalstürmers Álvaro Negredo, trotz seiner 35 Lenze noch ein echter Killer vor dem gegnerischen Tor, gelang ein kleiner Transfercoup. Er beendete seinen Vorruhestand in Dubai für das Engagement beim Aufsteiger. Und dann gibt es noch Tormann und Kapitän Alberto Cifuentes, seit 2015 im Verein. Dessen Marktwert beziffert Transfermarkt.de auf 100.000 €. Dennoch spielte er, gemessen an der Anzahl der Gegentore, am zweiten Spieltag der Primera División genauso gut wie sein Kollege Thibaut Courtois von Real Madrid, dessen Marktwert 600 Mal höher ist: Beide hielten ihre Kästen sauber. Daran dürfte Cifuentes aber sicherlich keinen Gedanken verschwendet haben: Schließlich war es für ihn das erste Mal, im zarten Alter von 41 Jahren.

Nein, nicht das erste Mal, dass er keinen Gegentreffer kassierte. Genau genommen kassierte er sogar einen, denn bei einer seiner Paraden war der Ball hinter der Torlinie. Das fand auch der VAR heraus, der das Tor aber trotzdem nicht gab, da eine Abseitsstellung erkannt wurde. Diese verunglückte Parade mit glücklichem Ausgang war der Aufreger seines allerersten Spiels in der Primera División, dem Aufsteigerduell mit Huesca. Damit ist er der älteste Debütant in über 90 Jahren spanischer Erstligageschichte. Und das in einer Zeit, in der die Vereine vermehrt auf die Jugend setzen, in der das Spiel immer physischer und schneller wird. Selbst verdiente Nationalspieler hängen die Schuhe bereits in relativ frühen Jahren an den Haken, wie in Deutschland Benedikt Höwedes, Per Mertesacker oder Philipp Lahm in jüngster Vergangenheit. Viele Jahre schien der Torwart von diesem Trend ausgenommen, aber auch diese Position erfordert ja bekanntlich seit einiger Zeit spielerische Elemente, vom erwähnten belgischen Schlussmann bei Real Madrid oder Marc-André Ter Stegen bei Barca häufig zur Perfektion demonstriert. Cifuentes ist sich jedenfalls sicher, dass er es nicht wegen seines Talentes zu seinem Erstligadebüt gebracht hat, sondern weil er ein echter Arbeiter ist. Wäre es seines Talentes wegen gewesen, hätte er es sicher schon mit 20 geschafft, als er bei Real Mallorca einmal kurz davorstand. Daraus wurde nichts, und das Fußballerleben führte ihn über die zweite und dritte spanische Liga schließlich zu Piast Gliwice in die polnische Ekstraklasa. Eine Saison, die er in vollen Zügen genoss - die neuen Erfahrungen, der Reiz des Auslandes - wie er in einem Interview mit der Tageszeitung El Mundo zu Protokoll gab. 2015 kehrte er nach Spanien zurück und fand sich praktisch schon damit ab, dass mit bald 35 Jahren seine Zeit im höherklassigen Fußball zu Ende ging. Dann aber kam das Angebot aus Cádiz. Der Verein spielte damals in der Segunda B, der etwas überdimensionierten dritten Liga mit ihren 80 Teams in vier Gruppen. Da reist man schon mal zu Zweitvertretungen und tritt vor 200, 300 Leuten an. Zuhause jedoch ist bei Cádiz immer was los, teilweise fünfstellige Zuschauerzahlen auch in der dritten Liga. Das macht den Reiz für ihn aus, und er entschied, sich doch noch einmal in seinem Heimatland zwischen die Pfosten zu stellen. Fünf Jahre und zwei Aufstiege später sprach man nach seinem Debüt Ende September in ganz Spanien von ihm. Reifer fühle er sich jetzt, er verstehe das Spiel besser, verspüre aber trotzdem noch diese Lust, immer etwas Neues dazuzulernen und besser zu werden, sagte Cifuentes nach seinem Debüt in die Mikrofone.

Auch beim darauffolgenden andalusischen Derby gegen den FC Sevilla stand Cifuentes in der Startelf und bestritt seinen zweiten Einsatz im spanischen Oberhaus. Auch wenn das Spiel mit 1:3 zugunsten der Sevillaner endete, war in Cádiz die Euphorie nach dem Aufstieg ungebrochen. Der Spielplan sah mit den schwächelnden Basken von Athletic Bilbao und dem FC Granada zwei Gegner aus der Kategorie machbar vor. Danach folgte eines der Duelle, auf die sich Alberto Cifuentes zweifelsohne am meisten gefreut hatte, wenn auch Corona- und umbaubedingt nicht im Santiago Bernabéu, sondern nur im ungewohnten Estadio Alfredo di Stefano: Es ging gegen Real Madrid.

Bereits beim Duell mit Athletic Bilbao stand Cifuentes jedoch nicht einmal mehr im Kader. Das Ende der Transferperiode stand bevor und der alternde Schlussmann hatte sich im Laufe der vergangenen Wochen bereits mit der Vereinsspitze zu mehreren Gesprächen getroffen. Der Verein wollte noch Neuverpflichtungen tätigen, aber im Kader waren keine Plätze frei. Die Entscheidung von Cifuentes und insbesondere seine Reaktion im Anschluss waren bemerkenswert. Gegenüber Marca sagte er: „Wir müssen den Klub in der Primera División halten. Ich habe viel mit dem Präsidenten über die Möglichkeit gesprochen mich zurückzuziehen. Die Torwartposition bei uns ist gut besetzt.“ Obwohl er sich sehr auf die Herausforderung gefreut habe, sei die Entscheidung ganz allein seine. Er stellte aber auch klar, dass er es keinesfalls so sieht, dass er aufgegeben hätte. Es ist eine Entscheidung gegen seine persönlichen Ziele und für die Visionen des Klubs. Cifuentes bedankte sich noch bei seinen Kollegen dafür, dass „sie einen 40-jährigen Kerl in ihre Gruppe aufgenommen haben.“ In besonderer Erinnerung werde er behalten, „einen Schuss von Álvaro Negredo gehalten zu haben.“ Beim Duell gegen Real Madrid, das Cádiz Mitte Oktober sensationell mit 1:0 gewann, war er dann wieder mit dabei, und zwar in seiner neuen Rolle im Trainerstab des Klubs. Vom Debüt in die Rente in 14 Tagen.

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