PORTRÄT
Des Kaisers großer Bruder
Walter Beckenbauer ist der vier Jahre ältere Bruder von Franz Beckenbauer. Kennen tun ihn nur wenige, auch weil er kein Interesse daran hat, mit der Presse zu reden. Für RUND hat er er nach 20 Jahren eine Ausnahme gemacht. Von Rainer Schäfer

 

Walter BeckenbauerVier Jahre älter als Franz, der kleine Bruder: Walter Beckenbauer Foto Florian Seidel

 

Beckenbauer. Mit dem Namen ist man im Alltag doch nicht mehr zu gebrauchen. Beckenbauer ist kein Gebrauchsname mit elf Buchstaben mehr, er ist zum strapazierten Synonym geworden für Lichtgestalt und öffentliche Überrepräsentanz, die manchmal in Wichtigkeitsgestammel endet.

Von wegen. Walter Beckenbauer geht drahtig an der Isar entlang zwischen zweien der vielen Termine des Tages, ein freundlicher, ein sympathischer Mann, ganz von dieser Welt. Wenn er sich in Stimmung plaudert, kann man sich nur schwer von der Vorstellung lösen, dass da einer perfekt den Beckenbauer parodiert. Die Ähnlichkeit mit seinem Bruder ist unverkennbar, vor allem wenn man den 64-Jährigen von der Seite betrachtet. So sehen sie aus die Beckenbauers, das hagere Gesicht, die hohe Stirn, die schlanke Gestalt, genetisch fixiert.

Walter Beckenbauer ist der ältere Bruder von Franz, sie sind sich ähnlich und doch grundverschieden. Neben charmanter Plauderei versteht sich der Erstgeborene in der politischen Diskussion, die soziale Schieflage im Land oder die Folgen der Globalisierung beschäftigen ihn nachhaltig. Presserummel braucht er keinen, Medienanfragen lehnt er regelmäßig ab. „Ich möchte nicht herumgereicht werden. Und über den Franz wird schon genug geschrieben.“ Die öffentliche Seite seines Bruders interessiert ihn nicht, in die mediale Sippenhaft als Beckenbauer lässt er sich nicht nehmen, schon aus Gründen des Selbstschutzes.

„Privat haben wir das beste Verhältnis“, sagt Walter, „wenn der Franz mich sieht, freut er sich. Das ist nicht gespielt.“ Ein Zusatz, der helfen könnte, den berühmten Bruder zu verstehen: Der muss sich in so vielen Rollen zurechtfinden, die wahre Empfindungen kaum noch zulassen.

Die Beckenbauer-Brüder sind viel unterwegs, den Terminkalender von Franz kennt die ganze Republik, den von Walter höchstens seine Frau und die beiden Kinder. Beckenbauer betreibt als Ein-Mann-Unternehmen eine Agentur, die sich um die Herstellung von Magazinen und Broschüren kümmert, 100.000 Kilometer fährt er jährlich mit dem Auto, zudem steigt er täglich in die Joggingschuhe – da lässt die knapp bemessene Zeit selten eine Familienzusammenführung zu.

Aber so war es häufig: in Gedanken eng miteinander verbunden, aber selten zusammen. Superstar Franz wurde zeitweise rund um die Uhr bewacht, Walter kam höchstens als Gast mit dieser Welt in Berührung, die vom Fußball auf den Kopf gestellt wurde. Dabei war es Walter, der den Weg zum FC Bayern vorgegeben hatte. Der spielte dort in der ersten Schülermannschaft, durchaus talentiert, im offensiven Mittelfeld. Mit 14 wechselte Walter vom FC Bayern zum SC München 1906, wo seine Freunde spielten. Franz ging den umgekehrten Weg. Ein Rollentausch mit unabsehbaren Folgen. Dass manche ihn für talentierter hielten als den kleinen Bruder, davon will Walter Beckenbauer nichts wissen. „Ein Schmarrn“, bügelt er die albernen Vergleiche ab. Eines steht fest: Ehrgeizig waren sie beide auf dem Spielfeld, und jähzornig wie Beckenbauer konnten beide sein.

Der Fußball jedenfalls war verantwortlich für die Berufsorientierung Walter Beckenbauers. Vater Franz, Obersekretär bei der Post, hätte das ältere der beiden Kinder gerne 1954 zur Eignungsprüfung bei der Post angemeldet. Ausgerechnet an diesem Sonntag spielte aber der FC Bayern gegen 1860 um die Münchner Schülermeisterschaft. Keine Frage, Walter zog den Leistungstest auf dem Fußballplatz vor: „Wir haben 1:0 gewonnen, es hat sich gelohnt.“ Die Berufswahl wurde spontan entschieden. „Ich saß mit einem Freund auf einer Eisenbahnbrücke in Obergiesing. Er sagte: Lass uns doch Drucker werden. Er ging nach rechts, ich nach links, die Sache war abgemacht.“

Walter begann eine Druckerlehre, bei Franz wurde Fußball zur bevorzugten Ausdrucksweise, die ihn zum Weltstar beförderte. Zu rechnen war damit nicht gewesen. Erklären kann das keiner in der Familie Beckenbauer, die dahin noch keinen Star hervorgebracht hatte. „Wir haben alle überlegt: Woher hat er das? Wir haben doch die selben Gene.“ Während Franz aus der Art schlug, Nationalspieler wurde und mehrere Sprossen auf der sozialen Leiter übersprang, stand Walter an der Druckmaschine. Hat er jemals Neid empfunden? Beckenbauer ist entsetzt. „Im Gegenteil, ich habe mich für Franz gefreut wie ein Kind.“

Dass sein Familienname zur Belastung werden kann, hat Walter Beckenbauer oft genug erfahren. „Beim Fußball setzte es öfter Häme. Im Beruf kriegst du nichts geschenkt, als Beckenbauer wird besonders viel von dir verlangt.“ Dass er von Beruf Bruder sei, ist ein Verdachtsmoment, das der Name mit sich bringt, das Walter aber energisch entkräftet. „Blödsinn, ich bin meinen eigenen Weg gegangen.“ In Abendkursen hat er mühsam die Mittlere Reife nachgeholt und sich beruflich weitergebildet. Angebote, die ihn beruflich in die Nähe und mögliche Abhängigkeit des kleinen Bruders gebracht hätten, hat er immer abgelehnt. Von Kaisers Gnaden leben? Unmöglich, undenkbar. „Da arbeite ich lieber zwei Stunden länger am Tag.“

Was geblieben ist, über die ganzen Jahre, sind die seltenen Treffen der Brüder bei der 92-jährigen Mutter Antonie in Schwabing. Hier kann man sich unterhalten, ohne dass Satzfragmente eine enorme Bedeutung erhalten, nur weil ein Beckenbauer sie dahersagt. „Für mich ist Franz immer der Gleiche geblieben, absolut menschlich“, sagt Walter Beckenbauer.

Hier ist alles wieder wie in Giesing, wo die beiden aufgewachsen sind, in einer ärmlichen, aber als perfekt empfundenen Welt, dem Ursprung der Beckenbauer-Magie. „Wir hatten die schönste Kindheit, die man sich vorstellen kann, obwohl wir nichts hatten“, versichert Walter Beckenbauer. Barfuß, mit einem Ball aus Papier, Gummi und Stoff, trug die Bowazu-Mannschaft, die Talente aus der Bonifazius-, Watzmann- und Zugspitzstraße, ihre Schlachten aus. Walter war in der Straßengang schon unangefochten, Franz einer der Balljungen, bis er „eines Tages einen Ball so zurückgeschossen hat, dass er von da an mitspielen durfte“. Sein erster Stammplatz in einem Fußballteam, die Ausgangssituation für eine Entwicklung, die Franz Beckenbauer zu einem der bekanntesten Deutschen machen sollte. Ein Lebensentwurf, der zum Franz passt, für Bruder Walter aber keine Alternative zum eigenen wäre. „Ich bin rundum zufrieden mit meinem Leben. Für mich ist Beckenbauer immer ein ganz normaler Name geblieben.“ 

Walter BeckenbauerDas Bild täuscht: Walter Walter Beckenbauer ist ein temperamentvoller Mann. Foto Florian Seidel

 

Der Text ist in RUND #1_08_2005 erschienen.

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