legendäres TADION
Zwei Uhrentürme und viele Erinnerungen
Fußball-Pilgerstätte und architektonisches Juwel: Der Berner Wankdorf (1952-2001) ist ein schweizerischer und internationaler Erinnerungsort. Von Fabian Brändle

 

Wankdorf-Stadion 1954Als der Regen schon vor dem Anpfiff prasselte: Der Berner Wankdorf beim Finale der Weltmeisterschaft am 4. Juli 1954. Foto Imago

 

Gewisse Sportstadien wurden bereits konzipiert als nationale Arenen: Denken wir bloß an das „Stade de France“ in Paris St. Denis, erbaut für die Fussballweltmeisterschaften 1998 in Frankeich und Stätte des Finals Frankreich gegen Brasilien (3:0) oder an das alte „Wembley Stadium“ in London, einst bekannt unter dem vielsagenden Namen „Empire Stadium“. Solche Stadien repräsentieren ingewissem Sinne die gesamte Nation, sie sind Sinn- und Abbild der „Grandeur“ des jeweiligen Landes oder des Imperiums.

Weit bescheidener nimmt sich hingegen zumindest auf den ersten Blick die Geschichte des Berner Wankdorfs, erbaut im Jahre 1954 als Finalstätte der Fussballweltmeisterschaften in der neutralen, kriegsverschonten Schweiz, aus. Der Wankdorf war nämlich nicht die alleinige Austragungsstätte wichtiger Länderspiele in der föderalistisch aufgebauten Schweiz, und die Schweizer Nationalmannschaft, die so genannte „Nati“, hat in diesem Stadion wie auch sonst niemals einen Titel geholt. Das Basler „Joggeli“ (St. Jakobsstadion) und die Lausaner „Pontaise“ waren ursprünglich ähnlich groß dimensioniert. Dennoch avancierte das meines Erachtens architektonische Juwel Wankdorf samt seinen charakteristischen beiden Uhrentürmen  nicht nur zum nationalen, sondern sogar zum „Nationalstadion“ und zum international bedeutsamen „Erinnerungsort“ gemäss den Überlegungen des französischen Historikers Pierre Nora. Dazu trug das legendäre Finale der WM 1954 BRD-Ungarn 3:2 mit Sicherheit ebenso bei wie internationale Clubendspiele oder die Schweizer Cupfinals, die traditionellerweise im Wankdorf ausgetragen wurden. Und ja, auch die „Nati“ feierte einige schöne Siege in Bern, so gegen Dänemark 1981 oder gegen den Nachbarn aus Italien 1993, um nur zwei von vielen zu nennen.

Der ursprüngliche Wankdorf bot einst rund 60.000 Zuschauerinnen und Zuschauern Platz, wurde im Laufe der Zeit mehrfach redimensioniert, verstümmelt, schliesslich unglaublicherweise sogar im Jahre 2004 abgebrochen und durch das architektonisch gesehen mehr als langweilige „Stade de Suisse“ ersetzt, das nun auf Druck der Fans hin wieder Wankdorf heisst. Stimmen wurden laut, das alte, herrliche Stadion unter Denkmalschutz zu stellen, Stmmen auch aus Deutschland, wo das legendäre „Wunder von Bern“ noch heutzutage Anlass zu euphorischen, auch filmischen Erinnerungen gibt: „Sepp“ Herberger, Fritz und Ottmar Walter vom 1. FC Kaiserslautern, der Nürnberger Max „Maxl“ Morlock, „Jupp“ Posipal, Anton „Toni“ Turek oder natürlich Mittelstürmer Helmut Rahn von Rot Weiss Essen, der aus dem Hintergrund geschossen, Torwart Groscics überwunden und matchentcheidend getroffen hatte. Die Deutschen, nach dem Zweiten Weltkrieg geächtet von der internationalen Gemeinschaft, waren wieder wer, zumindest im sportlichen Feld. Dann die Ungarn, die tragischen Verlierer des Finales von 1954, seit vier Jahren unbesiegt, die international so geachteten und hoch eingeschätzten Ungarn um ihre Stars Ferenc Puskas, den umsichtige Regisseur Nandor Hidegkuti, um Boszik, Czibor, Budzinski und den kopfballstarken und Goalgetter Sandor Kosics, die einen brillanten Offensivfussball zelebrierten und die Sympathien der Schweizer Fans besaßen. Für sie war der Wankdorf eine Stätte des Unglücks, der Schmach, der Niederlage, die zuhause in Budapest zu Ausschreitungen und Demonstrationen führte..

Schließlich ist der Wankdorf auch sicherlich ein Stadtberner Erinnerungsort, Heimstätte des „BSC Young Boys“ Bern (kurz „YB“), der die Meisterschaft in den späten 1950er-Jahren dominierte, Serienmeister wurde unter dem durchsetzungsstarken deutschen Trainer Albert Sing, „Sepp“ Herbergers Assistent im Jahre 1954 und dann lange, wechselhafte Jahre auf einen weiteren Titel warten musste. Der Weg führte einmal sogar beinahe in die dritte Liga, in den vom Vergessen bedrohten  Amateurfußball.

„YB“ erreichte damals, in den späten 1950ern, mit seinem bulligen Mittelstürmer Eugen „Geni“ Meier, Willi Steffen, Heinz Schneiter sowie mit „Terrier“ und Antreiber „Charly“ Casali gar das Europacuphalbfinale der Meister gegen Stade de Reims mit seinen Stürmerstars Juste Fontaine, Roger Piantoni  und Linksaussen Raymond Kopa. Der Wankdorf war natürlich mit einahe 60.000 Zuschauern erneut ausverkauft, und das Berner Publkum konnte einen allzu knappen Heimsieg bejubeln, der schliesslich nicht reichte, um das Finale gegen die damaligen Dominatoren des europäischen Clubfußballs, Real Madrid, zu erreichen.

Die Bernerinnen und Berner Sportfreunde liebten „ihr“ heimisches Stadion nichtsdestotrotz heiß, sie waren auch stolz darauf, auf die so gelungene Architektur mit den charakteristischen Ecktürmen ebenso wie auf die immense Bedeutung, die der Wankdorf im nationalen und internationalen Fussball aufweisen konnte.

Bau und WM 1954

Der Wankdorf trat an die Stelle eines älteren Stadions von 1925, das rund 25000 Zuschauern Platz geboten hatte. Die 1920er-Jahre hatten der Schweiz auch durch Erfolge der Nationalmannschaft (Olympiafinale 1924 gegen Uruguay) einen grossen Aufschwung der Fussballbewegung beschert. Bei der Konzeption des neuen Wankdorfs machte man hinsichtlich des Neubaus Überlegungen,  ob die Haupttribüne des alten Stadions beibelassen werden sollte oder nicht. Man entschied sich weder einen totalen Neu-, noch für einen totalen Umbau. Gewisse Elemente des alten Stadions wurden vom alten Wankdorf einfach übernommen. Der neue Wankdorf war also gewissermaßen architektonisch gesehen eine Bastelei.

Zur Baugeschichte will ich an dieser Stelle nicht mehr viel schreiben. Bemerkenswert waren sicher die moderne Rasenheizung, die Flutlichtmasten sowie die beiden charakteristischen Uhrentürme (Ecktürme) samt Totomat, die Wahrzeichen des neuen Wankdorfs von 1952. Vor dem gemütlichen Restaurant für die „dritte Halbzeit“ bei Bier, Wein, Brissago und Wurst  befand sich die ansehnliche Skulptur „Der Torhüter“ des ehemaligen Clubarztes und Künstlers Dr. Max Sägesser-Rüffenacht. Im Restaurant selbst fanden sich verloren gegangene Fresken eines unbekannten Künstlers, die Spielszenen aus Fussball und Feldhandball ansprechend darstellten. Im legendären, „heimeligen“ und kleinen Boccia-Häuschen feierten manchmal gewisse „YB“-Spieler wie Georges Bregy und Jakob Brechbühl sowie diie treusten der treuen Fans zusammen. Dabei soll jeweils reichlich Alkohol geflossen sein.

Architekt des Stadions Wankdorf war der frühere YB-Junior, Feldhandballer, Segler, Tennisspieler, Golfer und Emigrantensohn („secondo“) Virgilio Muzzulini (1910-2002), der zum Teil auf eigenes Risiko wirtschaftete, nachdem dem Baukonsortium das Geld ausgegangen war. Nach der Einweihung im Jahre 1954 („Young Boys“ gegen FC Bern) wurde der Sohn eines italienischen Einwanderers und Bauunternehmers Virgilio Muzzulini nach eigenen Angaben mit Aufträgen für Sportanlagen nur so überschüttet. Der vorher lediglich einigen wenigen Insidern bekannte Architekt baute unter anderem nach dem Schlüsseljahr 1954 Tribünen in Lausanne, Luzern, Lugano und Porrentruy (Pruntrut) sowie nicht weniger als sechs Schwimmbäder und auch moderne Tennisanlagen. 

Der Wankdorf kostete insgesamt rund 4,8 Millionen Franken, was sicherlich eine stolze Summe,bedeutete. aber auch inflationsbereinigt relativ wenig gegenüber den Baukosten heutiger massiv überteuerten Superarenen, die in der Regel mit mehreren hundert Millionen. Franken zu Buche schlagen.

Über kaum ein Fußballspiel ist derart viel nachgedacht und geschrieben worden wie über das Endspiel der Fussballweltmeisterschaften vom 4. Juli 1954 in Bern. Ich halte mich deshalb kurz. Die hoch favorisierten, lange Jahre ungeschlagenen Ungarn hatten in der Vorrunde die ersatzgeschwächte Bundesrepublik Deutschland noch souverän niedergekantert, allerdings hatte sich dabei Supestsar Ferenc Puskas nach einem rüden Foul des deutschen Verteidigers mittelschwer am Knie verletzt. Dennoch gingen die Magyaren schnell und scheinbar prolemlos mit 2-0 in Führung, alles schien seinen erwarteten Lauf zu nehmen. Doch steckte die kämpferische deutsche Elf um ihren umsichtigen Regisseur Fritz Walter nicht auf und kam wieder heran. Schliesslich schoss Helmut Rahn aus dem Hintergrund, und die BRD unter dem legendären Trainer „Sepp“ Herberger war nur neun Jahre nach Kriegsende sensationellerweiseWeltmeister geworden.

 In der Folge pilgerten jedes Jahr deutsche Fussballfans zum Wankdorf und erinnerten sich an das gloirose Finale, das „Wunder von Bern“.. So mancher deutsche Tourist hätte den Wankdorf gerne unter kantonalen Denkmalschutz gestellt, um das schützenswerte Stadion vor dem Abbruch zu retten. Vergebens.

 

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