Thomas Hitzlsperger

Doku über homosexuelle Fussballer

 „Die Hoffnung ist, dass Fans weiter sind als die Verantwortlichen denken“

Manfred Oldenburg ist Regisseur der sehenswerten Doku „Das letzte Tabu“. Er lässt neben Thomas Hitzlsperger diejenigen Profifußballer ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die sich als homosexuell geoutet haben. Interview Matthias Greulich

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INTERVIEW
„Kahn redet von sich in Denkmälern“
Olli Dittrich ist Dittsche. Und sang zusammen mit Wigald Boning. Und ist Schlagzeuger bei Texas Lightning. Und ist Comedian und Komponist und Fußballfan. Im Interview erzählt er, wann er mit Fußballschuhen geschlafen hat, welchen Fußballer er gerne im Bademantel begrüßen würde und welcher weithin unbekannte Komiker sein großes Vorbild. Interview Oliver Lück und Rainer Schäfer, Fotos Benne Ochs

 

 Oliver DittrichComedian, Komponist und Fußballfan: Olli Dittrich. Foto: Benne Ochs

 

RUND: Herr Dittrich, wo waren Sie am 7. Juli 1974?
Okay, Endspiel, oder? Genau – da war ich in Madrid.

Im Urlaub?
Ich war noch nicht ganz 18 und mit meinen Freunden Lucian Segura, der damals Banjospieler und Gitarrist in meiner Skiffleband war, und Martin Vögel mit einem Rail-Europe-Union-Pass auf einer lustigen kleinen Teenager-Europarundreise. Lucian hatte damals Großeltern in Madrid, bei denen haben wir das Finale auf dem Balkon gesehen.

 25. Mai 1983?
HSV gegen Juventus Turin, oder? Da saß ich in Hamburg zusammen mit meinem Kumpel Micky Stickdorn beim Italiener. Wir waren die beiden einzigen Nicht-Italiener. So ein Spiel unter Italienern zu sehen war irgendwie super. Es war alles locker und fair. Supertor von Magath, Superzeit des HSV.

8. Juli 1990?
Ich habe das Endspiel alleine zuhause geguckt.

Warum das?
Weiß ich nicht mehr. Ich saß in meiner damaligen WG vor einem alten Fernseher, der nicht mehr auszumachen war, weil der Druckschalter kaputt war, daher musste man immer den Stecker ziehen. Den Fernseher hatte ich mir für die WM zurechtgemacht, ich hatte einen Fanschal oben drüber gelegt und einen Aschenbecher in Form eines Stadions draufgestellt. Den Aschenbecher habe ich heute noch.

Was war das für ein Schal?
Inter Mailand. Ich hatte mir damals nicht extra einen Deutschland-Schal kaufen wollen. Es reichte mir, irgendeinen Schal zu nehmen, der mit Fußball zu tun hatte, und den hatte ich noch.

7. April 2006?
7. April? Ach, das letzte Heimspiel des HSV. Oder doch nicht? War das das letzte Heimspiel? Was war den der 7. für ein Tag?

Ein Freitag.
Wie jetzt, der Tag an dem bekannt wurde, dass Olli Kahn nicht die Nummer eins wird, oder was?

Das hat jetzt aber lange gedauert.
Ja, und?

Ist doch auch ein historisches Datum.
Finde ich nicht.

Es wurde aber so darüber diskutiert.
Diese vermeintliche Wichtigkeit, die das Thema bekommen hat, ist völlig unangemessen – Olli Kahn, dieser schwer geschasste Mensch. Die „Bild“-Zeitung hat das mit einer großen Schlagzeile besonders deutlich gemacht: „So leidet Kahn“, und unmittelbar rechts daneben ein kleines Bild von den beiden deutschen Geiseln, die im Irak immer noch um ihr Leben flehen. Besser konnte man das nicht konterkarieren. Sowohl von der Wertigkeit, wie etwas gezeigt wird, als auch von dem, was Volksempfinden ist, wenn es um Leid und um Tragik geht, um menschliches Schicksal. Kahns Leid, nicht mehr die Nummer eins zu sein, hat diesen unglaublichen Stellenwert bekommen. Wie wichtig sich alle darüber ausgelassen haben, war absolut lächerlich.

Sie meinen die Vereinsführung des FC Bayern?
Auch, die haben das in einer Weise kommentiert, als wenn eine Staatskrise ausgebrochen wäre. Doch auch die Boulevardblätter haben das natürlich entsprechend weitergetragen. Ebenso Kahns persönliche Pressekonferenz – er wurde ja wie ein Held gefeiert, da er nun diese vermeintliche Größe besessen hatte, sich da hinzusetzen und zu sagen: „Hey Leute, es geht um Deutschland, persönliche Schicksale müssen in den Hintergrund treten.“ Lächerlicher kann es nicht mehr sein. Und dann noch in bester Lothar-Matthäus-Manier von sich in der dritten Person zu sprechen: „Ein Olli Kahn muss dies, ein Olli Kahn hat nicht das und hört nicht hier hin und macht nicht das.“ Diese Art von Distanz zu schaffen, sich gleichzeitig aber zu erhöhen – super! Da reden Leute von sich selbst in Denkmälern.

 Ähnlich wie Kahn befinden Sie sich auch im ständigen Dialog mit dem Boulevard.
Indirekt schon, durch „Dittsche“. Das ist herrlich, das ist das Großartigste, wenn Dittsche wieder etwas in der „Bild“-Zeitung gelesen hat. Meine Lieblingsartikel sind so was mit „Große Bedrohung: Asteroid knapp an der Erde vorbei“, dann sind das aber fünf Milliarden Kilometer gewesen. Oder wenn Wissenschaftler auftauchen und irgendetwas bewiesen haben wollen. Mein Platz eins ist ein Wissenschaftler, der aus Katzen Benzin gemacht hat. Dicht gefolgt von einem anderen, der sich sechs Jahre nur von Licht ernährt hat. Das war auch eine Meldung, die Dittsche aufgegriffen hat. Sein logischer Umkehrschluss war, wenn jemand von Licht leben kann, muss man im Dunkeln hungern. Daraufhin hat er versucht mit dieser Methode seinem Silberfischproblem im Bad beizukommen, indem er es eine Woche lang komplett abgedunkelt hat – damit die Silberfische verhungern. Dann hat er sich aber im Dunkeln beim Rasieren geschnitten und kam mit einem Pflaster in den Imbiss. Ganz am Ende dieses völligen Wahnsinns stand dann die Meldung in der „Bild“-Zeitung: „Dittsche – schwerer Rasierunfall im TV“. Leute haben mich sogar angesprochen, ob es mir wieder gut geht, weil sie eben nur diese Meldung gelesen haben, aber nicht wussten, was wirklich passiert war.

Dittsche würde sagen: „Hier schließt sich der Kreis.“
Ja, großartig, Dittsche als wahre Meldung – das fand ich ziemlich geil. Die „Bild“-Zeitung ist ja größtenteils ein Satireblatt, und ich glaube, die Leute, die sich diese ganzen Amöbenangriffe und Hausstaubmilben, die unser Leben zerstören, ausdenken, haben einen Riesenspaß dabei.

Wie viel Dittrich steckt in Dittsche?
Dittsches Milieu ist mir nicht unbekannt. Bevor ich zum Fernsehen kam, war ich ein hungernder Musiker. Dittsche ist sicher das größte Alter Ego, das ich entwickelt habe. Das geht ganz einfach, es dauert eine Sekunde und dann ist er da. Das ist meine Figur, mein Weg mich künstlerisch auszudrücken. Je älter ich werde, desto konsequenter tue ich das, was mich wirklich glücklich macht, und mache nur die Dinge, hinter denen ich auch hundertprozentig stehen kann. Ich werde immer klarer und dadurch auch selbstbewusster, was lange Zeit nicht der Fall war. Früher habe ich mir viel reinreden und mich auch verunsichern lassen. Gott sei Dank habe ich nun so ein Format wie Dittsche, vielleicht hätte ich sonst in der Therapie oder in einer geschlossenen Anstalt landen müssen. Eigentlich ist er ja eine arme Sau, die nichts hinkriegt, aber irgendwie versucht, damit klarzukommen, in dem er halt ein bisschen großspurig ist. Genau das ist aber etwas, was jeder kennt, auch die, die niemals zugeben würden, ein kleiner Dittsche zu sein.

Wer den 1997 verstorbenen Satiriker Heino Jaeger kennt, findet viele Parallelen zu Dittsche. Er ist ihr großes Vorbild.
Heino Jaeger ist der Meister von uns allen, ein Genie und bis heute unerreicht.

Aber niemand kennt ihn. Loriot hat gesagt: „Wie konnte es geschehen, dass Heino Jaeger 25 Jahre ein Geheimtipp blieb? Wir haben ihn wohl nicht verdient!“
Er wurde komplett übersehen, einfach übersehen. Er war seiner Zeit weit voraus und weit davon entfernt, dass sich ein breiteres Publikum ihm hätte nähern können. Bei seinen Auftritten hat er an manchen Abenden ein komplett verstörtes Publikum und verängstigte Menschen hinterlassen, denen das einfach zu nah und zu echt war. Heino hatte die herausragende Gabe das Hochkomische, das Skurrile, das Abseitige des alltäglichen Lebens, das Deutschtümelnde, das Witzige an Spießigkeit und Vereinsmeierei herauszufühlen und sofort eins zu eins wiederzugeben. Das hatte es vorher nicht gegeben, und das hat es seither nicht mehr gegeben, bis heute nicht. Heino war im wahrsten Sinne des Wortes ein Anarchist mit hundertprozentiger Selbstverständlichkeit und nicht mit irgendeinem ideologischen Auftrag, weil ihm bestimmte Zusammenhänge klar waren und er deshalb radikal vorgehen wollte. Er war einfach so, wie er war – gelebte Anarchie. Und für das alltägliche Leben nur sehr begrenzt kompatibel.

Hätte er heute eine größere Chance, verstanden zu werden?
Ich glaube schon. Die Facetten der Komödianterie sind vielfältiger geworden. Die Akzeptanz ist größer als noch in den 70ern oder 80ern. Es ist ähnlich wie jetzt mit Dittsche, wobei der ja auch den Weg der Nische geht, den Weg gegen den Mainstream. Und das nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Bildsprache und vom Sendeplatz.

Sind Sie Heino Jaeger mal begegnet?
Zufällig, irgendwann in den frühen 80ern. Ich stand in der Lebensmittelabteilung eines Hamburger Einkaufszentrums und hörte über das Regal ein Murmeln und ein introvertiertes Lachen. Das hört sich ja sonderbar an, dachte ich, und bin dann ums Regal herumgegangen. Und dann sah ich Heino Jaeger da stehen, wie er eine Dose Champignons in der Hand hielt, sich selbst die Inhaltsstoffe vorlas und dabei lachte. Das hielt eine Weile an. Dann stellte er die Dose weg und ging. Ich nahm mir dann auch eine der Dosen und las mir das zehn-, 20-mal durch und tatsächlich: Irgendwann musste ich auch lachen. Ich kann mir das bis heute nicht erklären, aber er hatte Recht. Es war komisch. Es gibt ja manchmal so Phänomene, dass Worte, je länger man sie spricht, eine andere Gestalt annehmen, dass sie eine Wirkung erzeugen, die man im schnellen Sprachgebrauch nicht fühlt.

Gelegentlich haben Prominente wie Thomas Gottschalk, Harald Schmidt oder Uwe Seeler einen Kurzauftritt bei Dittsche. Welchen Fußballer könnten Sie sich noch vorstellen? Ulli Hoeness?
Steht auf der Wunschliste

Franz Beckenbauer?
Franz kommt nicht.

Nein?
Ich weiß, dass er nicht kommt. Franz ist sehr speziell.

Günter Netzer?
Denkbar, aber mit Uwe Seeler hatte ich die richtigere Person schon da. Wenn wir schon Prominentenbesuch haben, dann geht es um so eine kleine surreale Färbung, die wir uns bei Dittsche einfach mal gönnen. Dass plötzlich Gottschalk mit Schürze für 20 Sekunden reinkommt und ein paar Gläser abstellt, wenn Dittsche gerade eine aberwitzige Wette mit einer Trompete nachmacht und die ganze Zeit nur über „Wetten dass..?“ geredet wird.

Und Olli Kahn?
Wenn er will, sofort. Dann aber mit seinem Waschbeutel. Er hat ihn ja immer dabei. Es gibt doch diese fantastischen Bilder, wie er aus dem Haus kommt und seinen Waschbeutel unterm Arm hat.

Kahn liefert häufig den Stoff für Dittsches Verschwörungstheorien.
Schon in der ersten Staffel hatte Dittsche den klaren Beweis geführt, dass Olli Kahn Vogelgrippe hat, und da war die Vogelgrippe noch gar nicht in Deutschland. Er ist ja nicht nur eine Person des öffentlichen Lebens, sondern ein Titan. Grundsätzlich sind Einzelsportler und auch siegreiche Mannschaften sehr gut dafür geeignet, dass Menschen zu Helden werden, dass sie stellvertretend für einen selbst einen Sieg erringen, dass man sich mit ihrer Stärke identifiziert. Leute wie Dittsche lenken immer von der eigenen Armseligkeit ab und lassen Michael Schumacher stellvertretend durchs Ziel fahren. Wenn der das aber irgendwann nicht mehr schafft, dann wissen sie auch immer ganz genau warum.

Ist Ihnen Kahns krankhafter Ehrgeiz sympathisch?
Welche Art von Ehrgeiz er hat, weiß ich nicht, aber auch ich komme nicht zur Ruhe, wenn ich etwas nicht gut genug mache.

Quält Sie das dann so richtig?
Ja, ich fand es schon immer furchtbar, wenn man versucht hat, etwas halbherzig mit der linken Arschbacke durchzukriegen. Ich finde es auch furchtbar, für die falschen Dinge unberechtigtes Lob zu bekommen, dafür schäme ich mich. Zu versuchen, so gut zu sein, wie man in einem bestimmten Moment sein kann – da fließt viel Disziplin und viel Fleiß ein. Das sind Prozesse, die ich auch erst mit den Jahren gelernt habe. Früher hatte ich nur viel Talent, aber nicht viel dahinter.

Träumen Sie manchmal davon, Fußballprofi zu sein?
Ich habe mal geträumt, dass ich in der Nationalelf stehe. Ich habe aber nur noch einzelne Bilder vor Augen. Irgendwo gibt es doch ein Stadion, wo die Mannschaften auf einer Rolltreppe zum Spielfeld fahren. Wo ist das noch gleich?

Damals in Gelsenkirchen, die Rolltreppe war das einzig Moderne am alten Parkstadion.
Genau, und ich habe geträumt, wie ich im Nationaltrikot mit den anderen auf der Rolltreppe stehe und zum Spiel fahre. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich mich dabei mit Rudi Völler unterhalten habe.

Was hat er gesagt?
Ich weiß es leider nicht mehr – ich bin aber Nationalspieler gewesen, das ist sicher.

Haben Sie im Traum auch schon für den HSV gespielt?
Sicher, oft, ich bin früher auch mit HSV-Stutzen und Fußballschuhen schlafen gegangen. Da bleiben solche Träume natürlich nicht aus.

 

Das Interview ist in RUND – #11_06_2006
erschienen.

 

Olli Dittrich wurde am 20. November 1956 in Offenbach am Main geboren, zog mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern aber schon bald nach Hamburg. Bekannt wurde der gelernte Theatermaler durch die Comedyshow „RTL Samstag Nacht“, weitere Fernsehformate unter anderem: „Olli, Tiere, Sensationen“, „Blind Date“ an der Seite von Anke Engelke sowie „Dittsche – das wirklich wahre Leben“, immer sonntags um 22.30 Uhr im WDR. Als Komponist schrieb er über 250 Songs, unter anderem für Annette Humpe, Die Prinzen und James Last. Gemeinsam mit Wigald Boning war er zudem als Popduo „Die Doofen“ erfolgreich. Als Schlagzeuger der Countryband Texas Lightning stürmte er jüngst die deutschen Charts und ging beim Eurovision Song Contest 2006 in Athen als deutsche Hoffnung ins Rennen

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