interview
„Dann verkaufe ich meine Seele“
TV-Moderatorin Charlotte Roche nerven Menschen, die sich nur oberflächlich mit Fußball beschäftigen. Sie versäumt selten mal ein Heimspiel des FC Schalke 04, hat die „Bild“-Zeitung noch nie ernst genommen und verrät in RUND wie Stierhoden schmecken Interview Matthias Greulich und Stefan Hossenfelder


Charlotte Roche
„Ich fand die Bockigkeit von Klinsmann extrem gut“:
Charlotte Roche und der Schwabe haben ähnliche Gegner
Foto Daniel Josefsohn

 

RUND: Frau Roche, wie geht es Ihrem Zahnfleisch?
Charlotte Roche: Alles wieder gut. Ich kann den Zahn leider nicht mehr rausnehmen. Seit dem Auftritt bei Harald Schmidt musste ich monatelang ein Provisorium tragen, das allerdings nicht danach aussieht. Ich habe gemerkt, dass Zahnfleisch etwas sehr Heiliges ist. Da ist man sehr fragil.

RUND: Über Ihren Auftritt in der „Harald Schmidt Show“, als Sie Ihren Zahn aus dem Mund nahmen und zielgenau in Ihren Mund zurück warfen, wurde sehr viel geredet.

Charlotte Roche: Ich habe noch nie so viel Feedback bekommen. Das Bild von mir ohne Zahn scheint auf jeden Fall hängen geblieben zu sein. Ich fand es nur so lustig, weil Schmidt selber davon nichts wusste. Ich hatte zwar vorgeschlagen, dass ich über meine Zähne reden könnte, aber da hat ja niemand mit so etwas gerechnet. Daher weiß ich, dass seine Reaktion real war.

RUND: Sie trugen auf Ihrem Hemd „BILDblog.de“ die aufgestickte Adresse des Weblogs, das sich kritisch mit der „Bild“-Zeitung beschäftigt.

Charlotte Roche: Ich habe Kontakt zu den Machern des Blogs, aber die wussten nichts davon. Ich wollte den Leuten, die so etwas Cooles machen, eine Freude machen. Dadurch wurde noch mal so richtig was losgetreten. Die kriegen viele Klicks mehr. Und sie sind aus den Puschen gekommen und machen jetzt ihre eigenen T-Shirts.

RUND: Als Kritikerin von „Bild“ dürfte Sie der Konflikt des Blattes mit Jürgen Klinsmann interessiert haben.

Charlotte Roche: Ich fand die Bockigkeit von Klinsmann extrem gut. „Bild“ und auch Beckenbauer haben Klinsmann vor der WM als absoluten Vollidioten dargestellt. Die haben alle immer in die gleiche Kerbe gehauen. Es waren immer nur die Rechten: die Bayern, die alten Säcke und die „Bild“-Zeitung. Beckenbauer wurde dann ein bisschen ruhiger, als es so gut lief. Ich kann die dann nicht mehr ernst nehmen. Und die „Bild“-Zeitung habe ich noch nie ernst genommen. Es war schön zu sehen, dass jemand wie Klinsmann sich zur Wehr setzt. Die müssten eigentlich alle zu Kreuze kriechen und sich entschuldigen.

RUND: Interessieren Sie sich für Fußball?

Charlotte Roche: Ich sehe jedes Spiel von Schalke 04 – wenn’s geht, auch im Stadion.
RUND: Haben Sie einen Lieblingsspieler?
Charlotte Roche: Levan Kobiashvili. Es gibt da zwar jede Menge gute Spieler, aber mir gefallen die ruhigen, strammen Arbeiter besser als die Superstars.

RUND: Bewerten Sie Spieler auch nach dem Aussehen?

Charlotte Roche: Eine sexistische Frage. Natürlich nicht. Ich will auf keinen Fall so Sex-and-the-City-mäßig darüber diskutieren, wie die aussehen, dieses „ach, den find ich gut, der ist so süß oder hat so’n geilen Arsch“. Die Spieler rennen ja nun nicht da rum, um Frauen geil zu machen. Die wollen endlich mal Meister werden.

RUND: Beschäftigen sie sich mit der Taktik des Spiels?

Charlotte Roche: Ich lerne das gerade und höre die ganze Zeit nur zu, was die Oberchecker und Chefanalysten so erzählen. Wenn man bei den Fußballspielen aufpasst und nicht währenddessen etwas anderes macht, lernt man rasend schnell dazu.

 

Charlotte RocheFoto Daniel Josefsohn

 

RUND: Seit Jürgen Klopp während der WM mit seiner Tafel alle taktischen Varianten aufgezeigt hat, spricht ja jeder Stammtisch vom Verschieben.
Charlotte Roche: Ich konnte diese ZDF-Arena mit Kerner nicht ertragen, weil der Lärmpegel einfach zu hoch war. Ich fand Klopp bis dahin auch gut, aber dabei war er mir zu sehr Sunnyboy. Der war selber so in dieser Euphorie. Absolut distanzlos, uncool, im WM-Geilheitsfieber. Ich mochte das nicht mit angucken. Das war definitiv nichts für Leute, die was lernen wollten. Das war nur dafür da, um Stimmung rüberzubringen. Wir hatten während der ganzen WM immer offene Tür, also das ganze Haus voll. Immer Bier, immer Grillfleisch da und alle Freunde konnten kommen und gehen, wann sie wollten. Und diese komische ZDF-Arena flog sofort raus, weil keiner richtig zuhören konnte und niemand verstanden hat, worum es ging.

RUND: Und Kommentatoren wie Reinhold Beckmann?

Charlotte Roche: Beckmann ist absolut verboten in unserem Haus. Da sind sich auch alle Freunde einig. Wenn Beckmann ein Spiel kommentiert, wird das nicht geguckt. Als es noch auf Premiere lief, haben wir immer Bundesligaspiele ohne Kommentar geguckt, also nur mit der Stadionatmosphäre. Dann haben wir selbst mitkommentiert.

Kommentieren Sie auch?

Charlotte Roche: Ab und zu sage ich auch mal was. Es gibt ein Spiel bei uns, bei dem man Sachen fachmännisch beurteilt. Dabei trifft man voll ins Schwarze, wenn man über die Szene schon ein paar Sekunden bevor der Kommentator sie analysiert, dasselbe gesagt hat. Da muss man das Spiel fühlen und merken, oh, da schlafft die Stimmung ab, man merkt, dass das Stadion leiser wird, die Spieler lahm werden, da gibt es ja viele Sprüche. Wenn man das dann treffend formuliert, etwa „Jetzt lullen die sich gegenseitig ein“ oder so, und es schafft, dies vor dem Kommentator zu sagen, ist bei uns immer Riesenparty.

RUND: Können Sie mit der Kuttenkultur auf Schalke etwas anfangen?

Charlotte Roche: Schalke hat ganz treue Gagafans, alle ein bisschen irre im Gegensatz zu Bayern-München-Fans zum Beispiel. Das merkt man auch im Stadion. Viele alte Typen, die keine Zähne mehr im Maul haben und dann Kutten und Schals tragen. Sehr sympathisch finde ich. Das macht ja so einen Stadionbesuch aus.

RUND: Es gab während der WM einen Auftritt von Jan Delay auf einem Festival, das vorher als fußballfreie Zone deklariert wurde. Das war ihm zu blöd, sodass er dort mit Deutschlandtrikot aufgetreten ist. Daraufhin wurde er angepöbelt. Was halten Sie von fußballfreien Zonen?

Charlotte Roche: Ich höre das von Jan Delay jetzt zum ersten Mal. Ich habe in den vergangenen Jahren die Bundesliga verfolgt und während der WM hat es mich wirklich genervt, die ganzen Mädels mit den schwarz-rot-goldenen Blumen im Haar zu sehen. Die Freude fand ich immer extrem verdächtig, wenn in Zeitungen dann geschrieben wird, wie toll das ist, dass junge Mädchen rausgeputzt, schick über die Straße gehen und in Deutschlandflaggen eingewickelt sind.

RUND: Wegen der Flaggen oder wegen der Inszenierung?

Charlotte Roche: Ich fand die Inszenierung sehr übertrieben und weit weg vom Fußball. Da ging es um Lebensgefühl, alle wollten lustig sein. Für mich war das ganz plumper Karneval. Für uns war von vornherein klar, dass wir das Spiel um Platz drei in unserem Zuhause nicht zeigen. Das zählt nicht, das ist totaler Schwachsinn. Und dann trifft man im Supermarkt Leute, die das Spiel um Platz drei gucken wollen und fragen: „Was interessiert mich denn Frankreich gegen Italien?“ Das ist ja totaler Wahnsinn, das fand ich ganz schlimm.

RUND: Ist die Stimmung nach dem Halbfinal-Aus der Deutschen so rapide gesunken?

Charlotte Roche: Ja, die WM wurde immer als das Fußballfest dargestellt, das war aber nicht so. Die Leute haben nicht Fußball gefeiert, die haben sich selbst gefeiert. Das war ein ganz komisches Event. Das war Eventgier – die Leute wollen in Gruppen sitzen, schreien und johlen. Und dann feiern die den dritten Platz einfach so, als ob sie Weltmeister sind und nicht Italien! Seit wann gibt es denn Weltmeister der Herzen?

RUND: Sie sind gegen die Eventisierung?

Charlotte Roche: Absolut, und auch dagegen, dass man sich nur solange dafür interessiert, bis Deutschland nicht mehr dabei ist. Das ist doch total verdächtig – die interessieren sich doch nicht für Fußball, sondern nur für sich selbst und für ihr Land.

RUND: Damit stehen Sie wieder gegen den Mainstream wie bei Ihrer Sendung „Fast Forward“. Als die bei Viva abgesetzt werden sollte, traten Sie in den Streik.

Charlotte Roche: Da bin ich sehr kämpferisch. Das muss man auch ernst meinen. Bei diesen großen Machtkämpfen kann man nicht hingehen, große Klappe haben und dann aber denken: „Oh, jetzt zwingen die mich, dann bleibe ich trotzdem.“ Man muss dann auch wirklich gehen und wissen, womit man da droht. Man muss auch damit rechnen, dass man dann erstmal keinen Job hat.

RUND: Waren Sie in den Augen der Entscheider bei Viva eine schwierige Zicke?

Charlotte Roche: Hinter verschlossenen Türen haben die mich bestimmt als Zicke oder etwas Schlimmeres bezeichnet. Es ging bei Viva immer um irgendeinen großen Werbedeal. Die Marketingabteilung hat da sehr viel zu bestimmen gehabt. Die sagen dann: „Irgendeine Firma möchte was mit Charlotte machen, und dann wird das in Fast Forward platziert.“ Die sagen das zu, ohne mich zu fragen. Und ich am anderen Ende sage dann: „Nein, das mache ich nicht.“ Dann sagen die: „Doch, du musst das machen, der Deal steht.“ Darauf kann ich dann nur antworten: „Da müsst ihr mich vorher fragen.“ So etwas gab es oft. Ich habe dann gedacht: „Oh Gott, wenn ich das mache, verkaufe ich meine Seele.“

Charlotte Roche
„Eine sexistsche Frage“: Charlotte Roche
beurteilt die Kicker nicht nach ihrem Aussehen Foto Daniel Josefsohn



RUND: Jetzt moderieren Sie die Sendung „Tracks“ auf dem deutsch-französischen Kultursender Arte.
Charlotte Roche: Was alle noch nicht wissen: Ich bin gar nicht mehr bei Arte. Ich habe da vier Sendungen gemacht und dann hingeschmissen. Arte ist ja sehr kompliziert in der Struktur. Die Sendung wurde im Auftrag des ZDF produziert. Das ZDF hat mich also eingestellt. Beim Arbeiten habe ich dann gemerkt, dass ich immer Kritik aus Frankreich bekommen habe – von den französischen Chefs. Ich habe mich dann immer auf das ZDF berufen, allerdings hat sich herausgestellt, dass die Sendung „Tracks“, die sowieso bereits ein sehr enges Korsett hatte, in Frankreich viel mehr geguckt wird als in Deutschland. Die Franzosen haben in der Exekutive mehr Stimmgewalt. Es gab immer wieder Kritik, auch inhaltlich. Die hatten Probleme damit, mein Deutsch ins Französische zu übersetzen. Ich wollte die französische Redaktion auch immer kennen lernen, um einige Probleme aus der Welt zu schaffen, aber die wollte mich nicht treffen und fanden von Anfang an ganz schlimm, dass ich von den Deutschen eingestellt worden war.

RUND: Sie sind in gewisser Weise herausgewählt worden?

Charlotte Roche: Nein, ich bin wie immer von alleine gegangen, wenn es richtig doof wurde. Das Lustige ist nur, dass es niemand merkt, dass ich nicht mehr da bin, weil es keiner guckt. Ich hatte immer das Gefühl, als würden Frankreich und Deutschland da den Zweiten Weltkrieg fortführen.

RUND: Und Sie als Engländerin mittendrin.

Charlotte Roche: Genau, da hätte man eigentlich ahnen sollen, dass das nichts werden kann.

RUND: Sie waren auch als Schauspielerin aktiv. War Ihre Hauptrolle in dem Spielfilm „Eden“ die logische Konsequenz aus Ihren vorherigen kleineren Rollen?

Charlotte Roche: Das war nicht von mir geplant. Während der Viva-Zeit habe ich fast alle Rollen abgelehnt, die ich angeboten bekommen habe, weil die einfach schlecht waren. Das waren dann so schrottige Teenagerkomödien, in denen ich dann eine Musikfernsehen-Moderatorin spielen sollte. Dann kam dieses Drehbuch für „Eden“. Ich dachte nur: „Das ist so ein großartiges Buch“ – da hätte ich auch eine kleinere Rolle übernommen. Darüber wäre ich schon froh gewesen.

RUND: War die Rolle der total passiven Eden eine große Umstellung für Sie?
Charlotte Roche: Ja. Bei den Proben war dem Regisseur Michael Hofmann immer wichtig, dass ich bloß nicht aussehe wie die Charlotte, die man kennt. Ich war dann sehr ungeschminkt und auch sehr bieder gekleidet, trug spießige Frisuren. Ihm lag aber auch viel daran, dass ich nicht so spreche, wie ich das normalerweise tue. Die Stimme ist natürlich gleich, aber ich sollte niemals selbstbewusst sein. Eher runtergefahren, ruhig, naiv, passiv, das war schon schwierig. Er musste auch häufiger unterbrechen und hat dann immer gesagt „Hör auf, du sprichst ja wie Charlotte, du sprichst mit deinem Mann nicht so.“

RUND: Glauben Sie an einen Geschmacksorgasmus, wie er im Film dargestellt wird?

Charlotte Roche: Wirklich sexuelle Auswirkungen habe ich in dieser Form noch nicht erlebt. Ich habe durch den Film und besonders durch meinen Filmpartner Josef Ostendorf jetzt die etwas gehobenere Küche kennen gelernt. Ich glaube nicht daran, dass man alleine durch das Essen zum Orgasmus kommen kann und dass es Lebensmittel gibt, die einen geil machen. Ich glaube aber dass es Gerichte oder Speisen gibt, bei denen man vor Freude total abgehen kann, weil die so gut sind.

RUND: Wenn man bei dem Film die eine oder andere Handlung herausnehmen würde, könnte man aus dem Material auch einen Softporno drehen.

Charlotte Roche: Das ist mir zwar noch nicht in den Sinn gekommen, aber ich kann damit sofort etwas anfangen. Absolut. Sehr gute Idee. „Eden XXX-Version“ oder so.

RUND: Sie mussten Stierhoden essen, wie schmecken die?

Charlotte Roche: Das was ich im Film esse, sind keine Stierhoden. Das war rund geschnittenes Ochsenfleisch. Ich hätte nicht so viele Stierhoden essen können, wie es im Film dargestellt ist – dann wäre ich an Testosteron gestorben. Stierhoden sind auch zu teuer und in Deutschland illegal. An einem Drehtag hatte unser Koch allerdings zwei dabei, so dass ich nach dem Drehen auch mal echte Stierhoden gegessen habe. Um genau zu sein, habe ich einen halben Stierhoden gegessen. Schmeckt ähnlich wie Kalbsbries oder Hirn. Das ist eher eine Art Mutprobe.

RUND: So wie das Video mit Bela B., das in einem Swingerklub spielt, und in dem Sie beide fast nackt sind.

Charlotte Roche: Genau. Ich bin ein absoluter Mutprobentyp. Wenn mir jemand sagt, dass ich mich etwas nicht traue, dann mache ich das. Die Idee mit dem Video und den Fotos war allerdings von mir. Ich dachte aber, dass Bela nein sagt. Und ich dachte mir: „Gut, dann müssen wir das also machen, denn es war meine Idee.“ Es ist wie eine Selbstverarsche. Und es ist nicht so, dass man den ganzen Weg über denkt, dass es eine sehr gute Idee ist, was wir da machen. Aber das haben wir dann eben eisenhart durchgezogen.

Charlotte Roche wurde am 18. März 1978 im Londoner Stadtteil Wimbledon geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Mönchengladbach. Bekannt wurde die Engländerin als Moderatorin von „Fast Forward“ beim Musiksender Viva. Als sie erfuhr, dass ihre Sendung Ende 2004 nach sechs Jahren abgesetzt werden sollte, trat sie in den Streik. Bei Pro Sieben bekam sie anschließend die Sendung „Charlotte Roche trifft ...“, beim Kultursender Arte moderierte sie „Tracks“. Seit fünf Jahren wirkt sie als Schauspielerin in TV-Produktionen mit. Ihre erste Hauptrolle spielt sie in „Eden“, der im Herbst 2006 in die Kinos kam.


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