LENINGRAD COWBOYS
„Aua! Aua! Aua!“
Finnen sind desolate Fußballer mit Hang zu Sauna, Alkohol, schlechten Witzen, Depressionen und komischen Frisuren. Die Leningrad Cowboys sind seit über 15 Jahren der Beweis dafür. Die „schlechteste Rockband der Welt“ über eine der schlechtesten Fußballnationen Europas. Interview Jochen Schliemann

Leningrad Cowboys
"Eine Kiste Wodka, zwei Kisten Bier und warten,
bis es losgeht": die Leningrad Cowboys Foto Benne Ochs


RUND: Ihre Band ist im Rahmen der „Jägermeister Rockliga“ durch Deutschland getourt. Bands treten dabei gegeneinander an, der Geschmack des Publikums entscheidet – fast ein sportlicher Wettbewerb also. Müssen Sie sich nach all den Jahren noch etwas beweisen?
Sakke Järvenpää: Nein. Wir haben ja bisher nicht einmal gewonnen. Wir fahren auf dieser Tour wegen des Alkohols mit. In Finnland kennen wir jede Form von Alkohol. Auch Jägermeister. Und den konnten wir uns nicht entgehen lassen.

RUND: Saufen als Motiv – ist diese Vorliebe auch der Grund, warum Finnland im Fußball hinterherhinkt? Oder ist es die finnische Traurigkeit?
Timo Tolonen: Na, hören Sie mal! Finnland ist momentan immerhin Erster in der Qualifikationsgruppe für die Europameisterschaft 2008! Nummer eins! Also fangen Sie gar nicht erst so an!

RUND: Was für Teams spielen noch in der Gruppe?
Tt: Äh … Polen, glaube ich …
Varre Vartiainen: Deutschland … Frankreich …
Richard „Tipe“ Johnson: Der Kongo!

RUND: Mit derartigem Fachwissen seiner Fans wird sich Finnland nicht für die EM 2008 qualifizieren.

Tt: Ganz im Gegenteil. Wir werden Europameister. Finnland hat ja auch den Eurovision Song Contest gewonnen. Und das mit Lordi, dieser verkleideten Heavy-Metal-Band. Also ist alles möglich. Das Problem ist natürlich, dass wir nur etwa elf gute Spieler in Finnland haben. Wenn wir einen von denen auswechseln müssen, wird es ganz schnell ganz schrecklich.

RUND: Wie ist denn die nationale Liga in Finnland einzuschätzen?
Tt: Es wird langsam besser.
SJ: Das Problem für den Fußball bei uns ist, dass Eishockey die größte finnische Sportart ist. Wir haben elf Monate Winter in diesem Land. Wie soll man da regelmäßig Fußball spielen? Eishockeyspieler sind die Stars in Finnland. Eishockeyspieler kriegen das Geld und die Frauen. Fußballer hingegen kriegen …
VV: … Fußbälle.
SJ: Etwa 100 Finnen spielen derzeit in den USA oder Kanada Eishockey. Es sind aber nur etwa zehn Fußballprofis im Ausland.
Wann muss man sich in Finnland zwischen Fußball und Eishockey entscheiden?
VV: Sehr früh. Man beginnt mit fünf Jahren zu spielen. Ein finnischer Jugendlicher muss sich also schon vor seiner Einschulung entscheiden, was er machen will. Oft wählen die Jungs Eishockey, weil das in Finnland viel attraktiver ist.

RUND: Liegt da das größte Manko im finnischen Fußball? Im Nachwuchs?

RJ: Nein. Das größte Problem ist ein anderes. Wie viele Menschen leben in Deutschland?
Etwa 82 Millionen Menschen.
RJ: In Finnland leben um die fünf Millionen. Das ist das Problem. Und die meisten von ihnen spielen eben Eishockey.
Sie können doch nicht alles nur auf eure niedrige Bevölkerungszahl schieben.
RJ: Nein! Es ist ja auch schon alles viel besser geworden. Vor fünf Jahren sind sämtliche elf Spieler der finnischen Nationalmannschaft einfach dem Ball hinterhergerannt. Heutzutage machen das nur noch fünf gleichzeitig.
SJ: Das haben wir unserem tollen Trainer aus England zu verdanken! Roy Hodgson! Der hat uns das erklärt.
Tt: Ich halte Hodgson für einen guten Mann. Dank ihm spielen die Finnen zurzeit fröhlichen, offensiven Fußball. Das ist gut für uns.

Leningrad Cowboys
"Wir hassen Interviews": die
Cowboys gehen Foto Benne Ochs



RUND: All dem bisher Gesagten ist zu entnehmen, dass Sie sich für Fußball und nicht für Eishockey interessieren?

SJ: Wir interessieren uns für beides, für Eishockey, aber eben auch für Fußball. Jari Litmanen ist mein Nachbar und Freund. Der war mehrmals Weltfußballer des Jahres oder so etwas. Er spielte bei Ajax Amsterdam, beim FC Barcelona, beim FC Liverpool.
VV: Und mein Sohn hat einen Fußball zu Hause. Immerhin.
SJ: Wir spielen auch manchmal auf Tour. Wir haben ja mal ein Eishockeymatch gegen die Toten Hosen in Düsseldorf gespielt. Vielleicht klappt etwas ähnliches ja mal mit dem Fußball.

RUND: Wie soll das funktionieren mit diesen Schuhen?

(Stille)
Ich meine, es bietet sich doch an: Ihr seid momentan zu zehnt auf Tour. Wer geht ins Tor?
RJ: Stimmt, wir bräuchten noch einen Torwart. Aber finde mal einen mit der richtigen Frisur!
Was denken Sie über Frauen im Fußball?
Tt: Frauen sind gut.
VV: Fußball auch.
RJ: Im Ernst: Das finnische Frauenfußballteam ist besser als unsere Männermannschaft. Die Frauen haben bei der letzten EM das Halbfinale erreicht. Finnische Frauen sind gebaut wie deutsche Männer.

RUND: Da Männer des Fachs unter uns sind: Gab oder gibt es Frisuren in der Fußballwelt, die Sie nachhaltig geprägt haben?

RJ: Paul Breitner! Diese Frisur! Wahnsinn!
SJ: Maradona!
Tt: Valderrama!
SJ: Oder Torsten Frings.
RJ: Das ist doch der, der bei der Weltmeisterschaft einen geschlagen hat, oder? Der könnte auch gut Eishockey spielen.

RUND: Spielen Sie Fußball im Verein?
RJ: Ja, ich! In zwei Mannschaften. Weil ich so gut bin.
Auf welcher Position spielen Sie?
RJ: Ich bin Stürmer. Ein sehr guter Stürmer.
Wie viele Tore schießen Sie pro Saison?
RJ: In der letzten habe ich 26 Tore geschossen. In 30 Spielen.
Tt: Das ist gut!
RJ: Hab ich ja gesagt.
VV: Hast du nicht immer Verteidiger gespielt?
RJ: Verteidiger? Was ist das?
Wie schaffen Sie es, in zwei Teams zu spielen, wenn Sie ständig auf Tournee sind?
RJ: Nun, wenn ich auf Tour bin, bin ich eben hier. So lange ich meine Tore schieße, wenn ich zurück in Finnland bin, ist meinen Mannschaftskollegen egal, ob ich eine Zeit lang weg war. Sie wissen und verstehen, dass ich ab und zu in Braunschweig sitzen und einem Fußballmagazin ein Interview geben muss.

RUND: Vielleicht können Sie als finnischer Fußballer uns ja erklären, wieso manche Spieler, zumindest auf Amateurebene, am Morgen nach einer Party manchmal besser spielen als sonst?

RJ: Das hab ich mich auch schon gefragt, weiß aber keine sichere Antwort. Bei Konzerten ist das ja nicht anders. Ich nenne dieses Phänomen immer das Maradona-Syndrom.
Warum spielen Sie Fußball und kein Eishockey?
RJ: Ich spiele beides. Fußball ist fast so interessant wie Eishockey. Die Stimmung in den Eishockeyhallen ist aber einfach besser.
Beim Eishockey sieht man als Zuschauer oft nicht einmal den Puck.
RJ: Ich glaube, Sie müssen mal zum Augenarzt! Eishockey ist schneller, aggressiver, spannender und besser als Fußball jemals sein wird.
VV: Was mich momentan am Fußball so ankotzt, ist, dass die Hälfte aller Spieler Schauspieler sind: Aua! Aua! Aua!
Tt: Das denke ich auch. Vor allem die Italiener! Alles Schauspieler!
VV: Die bekommen zu viel Geld, werden auch noch Weltmeister.
Sind Eishockey oder Handball härter als Fußball?
Tt: Fußball ist kein harter Sport. Fußball ist Rasenschach. Wie oft Fußballer angeblich so stark verletzt sind, dass sie nicht mehr spielen können, sagt schon alles. Ballack ist permanent verletzt!
VV: Dennoch ist der Fußball heutzutage schon wesentlich physischer als früher. 1974 war das noch völlig anders. Damals sind manche Spieler einfach mal losgelaufen mit dem Ball und haben geschaut was passiert. Heute würden da sofort zwei Leute draufspringen.
Wie schauen sich Finnen Fußballspiele an?
RJ: Meist im Fernsehen. Wir haben fast alle WM-Spiele geschaut. Wenn ein Spiel im Fernsehen übertragen wird, kaufen wir eine Kiste Wodka, zwei Kisten Bier, treffen uns schon ein paar Tage vor dem Spiel, besaufen uns und warten bis es losgeht.
Für wen haben Sie bei der WM geschrieen?
RJ: Finnland!
Finnland war nicht dabei.
RJ: Wie? Echt?
VV: Das erklärt einiges.

RUND: Gehen Sie auch ins Stadion?
ALLE Ja.
SJ: Wenn ich auf Tour bin, gehe ich, sooft ich kann, in die Stadien der Städte, in denen wir spielen. In Hamburg habe ich auch mal den FC St. Pauli spielen sehen. Danach war ich sogar noch in deren Clubheim. Das war toll! 1988 war das. Keine Ahnung gegen wen St. Pauli gespielt hat, aber das war auch nicht wichtig. Wir haben ohnehin die ganze Zeit gesoffen. Der FC St. Pauli ist ein Rock’n’Roll-Team. Wenn deren Mannschaft ins Stadion kommt, wird immer „Hells Bells“ von AC/DC gespielt. Mehr geht nicht!

RUND: Wie finden Sie die sonstige Musik, die in Fußballstadien gespielt wird?
Tt: Wir haben auf der letzten WM-Eröffnungsparty in München gespielt. Es klingt schon toll, wenn tausende Menschen wie aus einer Kehle etwas singen. Das kommt dem sehr nahe, was wir mit unserer Musik machen. Wir haben schon oft mit fast einhundertköpfigen Chören Konzerte gespielt. Das Rad wird dann nicht neu erfunden, aber die Kraft aus so vielen Kehlen ist schon beeindruckend.
SJ: Schön ist, dass man in jedem Land andere Musik im Stadion hört. In Brasilien zum Beispiel trommeln sie auf riesigen Baterias, in England singen sie ganze Popsongs.

RUND: Zu jedem großen Fußballturnier gehört inzwischen auch ein Song. Nelly Furtado sang bei der EM in Portugal, Herbert Grönemeyer für die WM in Deutschland. Nennen Sie Ihren Lieblingsfußballsong!

RJ: Da gibt es tatsächlich keinen.
Tt: Also, ich fand Anastacias „Boom“ immer großartig! Den Song zur WM in Japan und Südkorea. Der war toll!
RUND: Ernsthaft?
Tt: Nein.
SJ: Es gibt kaum gute Fußballsongs.
RJ: Bis jetzt! Unserer wird der erste großartige Fußballsong!
SJ: Ja, wir haben gerade einen Fußballsong geschrieben, den wir demnächst aufnehmen werden. Er klingt ein bisschen brasilianisch, und wir singen die ganze Zeit nur die Namen von alten Fußballstars.
RUND: Die Namen all der Fußballstars, die Sie in Finnland hatten?
(Stille)
RUND: Was halten Sie von Musikern, die sich selbst zu ernst nehmen?
(Stille)
RUND: Sie scheinen ja Menschen zu sein, die auch über sich lachen können.
ALLE Nein!
VV: Wir hassen Interviews, unseren Job und Fußballmagazine.
Tt: Und Musik. Wir wurden vom finnischen Arbeitsamt engagiert.
Noch mal zurück zu Finnlands Nationalmannschaft …
Tt: Sie werden sich wundern, wir Finnen essen momentan auf Staatsanordnung viel Pudding. Bald sind wir schneller als alle anderen!
RJ: Deutschland spielt doch auch scheiße! Ihr hattet Heimvorteil bei der WM und wurdet trotzdem nur Dritter!
SJ: Und euer Formel-1-Held ist doch auch schon abgetreten! Wir haben Kimi Räikkönen! Der fährt! Bis zum bitteren Ende.

RUND: Ganz mutige Zeitgenossen vergleichen Rock’n’Roll und Heavy Metal mit dem Fußball: treu, irgendwie immer noch bodenständig, immer da. Was sagen Sie als Berufsrocker und Amateur- beziehungsweise Passivsportler dazu?
RJ: Dagegen kann ich nichts sagen. Ist das Interview jetzt vorbei?
Tt: Ich stimme dem nicht zu! Fußball ist eine grundsätzlich traditionelle Angelegenheit. Diese Klubs, die wir lieben, sind zum Teil über 100 Jahre alt. Bands und Künstler hingegen kommen und gehen im Musikgeschäft immer schneller. Mal abgesehen von uns.
RJ: Stimmt. Das Musikbusiness ist viel schnelllebiger. Egal, was man macht, welche Platten man aufnimmt, wie lange man auf Tour geht, ob man Erfolg hat oder nicht: Der Verein, den man liebt, ist immer da, wenn man zurückkommt.

The Leningrad Cowboys
Der Durchbruch einer der größten Musikexporte Finnlands war ein Film. „Leningrad Cowboys Go America“ ist ein Roadmovie mit den Leningrad Cowboys in der Hauptrolle. 1989 ebnete er den Weg für die bis heute andauernde Karriere einer Band, deren Markenzeichen riesige, nach vorn gestylte Haarprachten sowie lange, spitz zulaufende Schuhe sind. Musikalisch pflegt die auf der Bühne meist zehnköpfige Gruppe einen Stil aus Polka, Punk und Rock. Zu den Karrierehöhepunkten der Leningrad Cowboys gehörte ein Auftritt beim dänischen Roskilde-Festival 1997, den die Finnen zusammen mit einem rund 80-köpfigen Chor der Roten Armee spielten. Momentan arbeitet die selbst ernannte „schlechteste Rockband der Welt“ an einem neuen Album sowie den Vorbereitungen zu einem Filmdreh in Kubas Hauptstadt Havanna.





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