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„Sie zwingen die Spieler zu heiraten“
Wie über Homosexualität und Schwulenfeindlichkeit im italienischen Fußball gedacht wird, zeigt ein Gespräch mit Franco Grillini, Präsident der nationalen Schwulenvereinigung Arcigay. RUND-Korrespondent Vincenzo Delle Donne sprach mit Grillini über Fabio Cannavaro als Schwulenikone und wie es schwulen Spielern in Italien gelingt, ihre Homosexualität zu verbergen.

 





RUND: Die Milan-Legende Gianni Rivera bestritt neulich kategorisch die Existenz von Schwulen im italienischen Fußball mit der Begründung, dass dieser Sport nur etwas für „richtige Männer“ sei.
Franco Grillini: Riveras Aussage ist fehl am Platz. Fußball ist Ausdruck einer Macho-Kultur, der höchste Ausdruck von Macho-Gehabe und Männlichkeitskult. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade im Fußball eine Reihe von Schimpfwörtern gebräuchlich sind, die Schwule als „Arschficker", „Schwuchteln" und „warme Brüder" diskriminieren. Und wenn ein Schiedsrichter im Stadion als „frocio“, als „schwule Sau“ beschimpft wird, ist es klar, dass Spieler Schwierigkeiten haben, sich zu outen.

RUND: Was hat das Männerbild damit zu tun?
Franco Grillini: Fußball ist der Triumph des Männlichkeitswahns, Homosexualität aber gerade das Gegenteil. In diesem Männlichkeitswahn dürfen Männer nicht zärtlich zueinander sein, dürfen sich nicht küssen, geschweige denn Sex miteinander haben. Die Fifa hat ausdrücklich verboten, dass sich Spieler auf dem Platz küssen. Die Begründung des Weltfußballverbands ist absurd: Man wolle damit verhindern, dass Geschlechtskrankheiten übertragen werden. Der wahre Grund ist ein anderer: Nach den Toren fallen nämlich alle männlichen Tabugrenzen. Die Spieler umarmen, küssen sich und fassen sich sogar in den Genitalbereich. Wir können also von einem regelrechten Widerspruch im Fußball sprechen. Einerseits verbietet die Fifa den Kuss mit einer fadenscheinigen Begründung, denn jeder weiß, dass mit dem Küssen und Zungenküssen keine Geschlechtskrankheiten übertragen werden. Andererseits schrecken die Spieler auf dem Feld nicht vor homoerotischen Gesten zurück. Darauf wird mit einem Höchstmaß an Angst vor Schwulen reagiert.

RUND: In anderen Ländern wie England sind Signale der Öffnung erkennbar. In Italien allerdings scheinen die Spieler neben den Priestern die einzigen zu sein, die sich nicht zu ihrer Homosexualität bekennen dürfen. Gibt es Ihrer Meinung nach auch soziale Gründe dafür?


„Nach Toren fallen alle Tabugrenzen“: Franco Grillini
Foto privat



Franco Grillini: Wenn eine Sportart wie der Fußball ökonomisch so relevant wird, wenn sich Tradition, Fernsehen und Wirtschaft so vermengen, wird es für eine diskriminierte Randgruppe wie die Schwulen schwierig, alte Strukturen aufzureißen. Daniela Fini, die Frau des Generalsekretärs der rechten Partei Alleanza Nazionale, die mit Leib und Seele Fan von Lazio Rom ist, hat gefordert, dass ein Fußballprofi nicht schwul sein darf. Diese Forderung ist Selbstbetrug. Denn wir wissen, dass einige Stars des italienischen Fußballs schwul sind und gezwungen werden, dies zu verstecken.

RUND: Wollen Sie uns Namen nennen?
Franco Grillini: Ich werde mich hüten, hier Namen zu nennen. Aber es ist bekannt, dass viele Spieler schwul sind. Die Journalisten wissen es, die Klubs, die Manager, die Fernsehleute. Aber es darf nicht ausgesprochen werden. Denn die Spieler haben Angst, dass ihre Karriere damit ein jähes Ende nehmen könnte. Die Fußballklubs, die ein großartiges ökonomisches und soziales Phänomen verwalten dürfen, verteidigen sich dagegen, indem sie die Homosexualität von Stars gekonnt vertuschen. Sie zwingen die Spieler sogar, zu heiraten oder sich eine Scheinfreundin zuzulegen.

RUND: In Italien wurde noch vor der WM Fabio Cannavaro zur Ikone der Schwulen gekürt.
Franco Grillini: Anzeichen dafür, dass sich in Italien etwas ändern könnte, hat es gegeben. Einige Spieler wie Nationalspieler Alberto Gilardino haben beispielsweise zugegeben, dass sie sich geschmeichelt fühlten, von Schwulen bewundert zu werden. Gleichwohl schürt die Weltorganisation des Fußballs weiterhin die Angst vor Schwulen.

RUND: Und was müssen wir von Spielern wie dem ehemaligen Profi von Juventus Turin, Mark Iuliano, halten, der sich für eine Schwulenzeitschrift auszog?
Franco Grillini: Es ist natürlich positiv, dass man einen so durchtrainierten Körper hüllenlos bewundern kann. Ich als Schwuler bin darüber entzückt. Darüber hinaus bekämpft derjenige, der sich auszieht, indirekt die Phobie gegenüber den Schwulen.

RUND: Was muss noch passieren, damit das letzte Tabu im italienischen Fußball fällt?
Franco Grillini: In Italien bräuchte man eine drastische Reform der bestehenden Gesetze. Das ist allerdings nur schwer zu schaffen, auch wenn ich mit anderen Homosexuellen im Parlament sitze und sogar einem Transsexuellen. Wir sind eine zu kleine Gruppe, um Gesetze zu verabschieden, die mit der Diskriminierung der Schwulen endlich Schluss machen. Ein solches Gesetz, das die Diskriminierung der Schwulen unter Strafe stellen und Homoehen anerkennen würde, wäre ein wichtiger Schritt der Erneuerung auch im Sport.

RUND: Gerade die katholische Kirche sträubt sich dagegen mit Händen und Füßen.
Franco Grillini: Sie läuft dagegen Sturm. Allen voran der Papst, der eine Reform auf diesem Gebiet strikt ablehnt. Die katholische Kirche ist in Italien ein Staat im Staat. Sie hat eine unermessliche Macht über die italienischen Politiker, die nur sehr schwach Paroli bieten. Italien kann man noch heute als einen der Kirche hörigen Staat bezeichnen. Die Menschen selbst denken hier fortschrittlicher; die Politiker indes stehen weiterhin unter der Fuchtel des Vatikans.

Das Interview führte Vincenzo Delle Donne

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