REPORT
Mandy, Frank und Penny
Familie Islacker aus Essen ist einmalig. Opa Franz gewann mit Rot-Weiß Essen 1955 die Deutsche Meisterschaft und 1953 den DFB Pokal. Sein Sohn Frank spielte für den VfL Bochum in der Bundesliga und Enkelin Mandy ist Olympiasiegerin von Rio. Von Jürgen Bröker

 

Familie Islacker
Vater, Großvater, Enkelin: Frank, Penny und Mandy Islacker (v. l.)
Foto Mareike Foecking

Es dauert ein bisschen, aber dann hat Frank Islacker die alten Fotos gefunden. Mit Hilfe seiner Töchter Lisa und Mandy kramt er sie aus einer Ecke der kleinen Wohnung in Essen-Bredeney unter einigen Kartons hervor. Die meisten zeigen seinen Vater Franz Islacker, genannt „Penny“, den Stürmer aus glorreichen Rot-Weiß Essener Zeiten. In Schussposition, mit Helmut Rahn, beim Empfang in der Stadt nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1955. Es sind die Anfänge der Fußball-Familie Islacker. „Gucken Sie mal hier“, sagt Frank Islacker plötzlich. „Da habe ich meinen Geburtstag in der Gaststätte meiner Eltern gefeiert. Ich glaube meinen vierten.“
 
Er hält ein Foto in der Hand, auf dem einige Frauen um einen Tisch herum sitzen, ganz außen Franks Mutter Inge. In der Bildmitte auf dem Tisch steht ein kleiner Junge in Lederhosen. Die Hände sind in die Seite gestützt, ein Fuß ruht auf einem Ball. Es ist fast so, als gehörte das Spielgerät zur Familie. Dieses Bild passt gut zu den Islackers, in der Fußball das verbindende Element ist. Wie sein Vater schaffte es auch Frank in die höchste deutsche Spielklasse, auch wenn in seiner Statistik nur drei Einsätze für den VfL Bochum stehen. Und aktuell spielt seine Tochter Mandy, Pennys Enkelin, in der Frauen-Bundesliga bei Bayern München, nachdem sie zuvor bei der SG Essen-Schönebeck schon erstklassig war.
 
Drei Generationen, eine Leidenschaft. Noch unglaublicher wird die Geschichte dadurch, dass alle drei ihre Bestimmung auf der Stürmerposition gefunden haben. Mandy allerdings ist im Gegensatz zu ihrem Vater und Großvater Linksfüßler. „Ich weiß auch nicht, was da passiert ist“, sagt sie und lacht. „Fußballerisch sind wir uns aber wohl alle sehr ähnlich“, sagt Frank Islacker. Er kann es nur vermuten, denn alles, was er über seinen Vater weiß, hat er aus Erzählungen anderer. Penny soll einen guten Torinstinkt gehabt haben und recht abgebrüht gewesen sein.
 
Der Stürmer ist bis heute einer der ganz großen Essener Fußball-Helden. Im Finale um die Deutsche Meisterschaft 1955 schoss er beim 4:3-Sieg gegen Kaiserslautern drei Tore. „Ich habe kaum Erinnerungen an ihn. Ich habe ihn nie Fußballspielen sehen. Als er gestorben ist, war ich gerade sieben Jahre alt, aber da lebte meine Mutter auch schon getrennt von ihm“, sagt Islacker. Auch deshalb passt das Bild von seinem vierten Geburtstag so gut zur Familie. Sein Vater ist nicht darauf zu sehen, und doch scheint er anwesend. So wie im Leben von Frank und Mandy. Beide werden noch immer auf ihren berühmten Vater und Großvater angesprochen. Manchmal hören sie eine Geschichte zum wiederholten Mal, manchmal kommen neue Anekdoten hinzu. Manche haben sie von ehemaligen Spielerkollegen wie Otto Rehhagel oder Fritz Herkenrath, andere von den Menschen, die damals ins Stadion gingen, um die große Essener Mannschaft spielen zu sehen. So wird das Bild, das Mandy und Frank von ihrem Großvater und Vater im Kopf haben, immer wieder Stück für Stück erweitert.
 
Auch auf der Feier zum 100-jährigen Vereinsjubiläum von Rot-Weiß Essen Anfang Februar 2007 haben die Erinnerungen neue Nahrung erhalten. Dort haben Mandy und Frank Islacker an einem Tisch mit Herkenrath gesessen, der Essener Torwart-Legende aus den 1950er-Jahren. „Er hat uns erzählt, dass Opa nicht gerade der lauffreudigste Spieler war“, sagt Mandy. Eine Eigenschaft, die Vater Frank auch für sich gelten lässt und die ihn von seiner Tochter unterscheidet.Mandy hat ihre ganz eigenen Erfahrungen mit dem Namen Islacker gemacht. Sie hat nach der Schule ein Jahr im Krankenhaus gearbeitet. Dabei klebte ein Namensschild an ihrem Kittel. „Da haben gerade die älteren Leute gefragt, ob ich die Enkelin von Franz wäre“, sagt die 18-Jährige. Sie fand es schön, auf ihren berühmten Opa angesprochen zu werden. Einige Patienten haben ihr erzählt, dass sie Penny noch haben spielen sehen. Sie hat diese Geschichten aufgesogen und weiter nachgefragt, weil sie ihren Opa nie kennenlernen konnte. Druck, so erfolgreich zu werden wie er, habe sie nie gespürt, sagt Mandy. Im Gegenteil. Die Familiengeschichte hat sie zusätzlich motiviert.
 
Für ihren Vater Frank war der große Fußballer-Name dagegen nicht immer hilfreich. Er habe sich schon den einen oder anderen Spruch anhören müssen. „Der bekommt nur einen Vertrag, weil er einen berühmten Vater hat“, war so einer. „Aber ich habe wie alle anderen dafür meine Leistung bringen müssen“, sagt Islacker.
 
In der Spielzeit 1982/1983 feierte er sein Bundesligadebüt beim VfL Bochum. Doch schon am sechsten Spieltag war seine Karriere beendet. Es war sein dritter Einsatz bei den Profis. Ein Flutlichtspiel im September gegen Eintracht Braunschweig und eigentlich war die Partie schon vorbei, als es passierte. „In der 90. Minute kam eine Flanke herein. Ich bin mit Bernd Franke zusammengestoßen und als ich aufstehen wollte, bin ich mit den Stollen im Rasen hängen geblieben“, erinnert er sich. Die Folge war ein Totalschaden im rechten Knie. Kreuz- und Außenband waren gerissen, der Meniskus war ebenfalls beschädigt.
 
Heute stehen die Spieler gut sechs Monate nach einer solchen Verletzung wieder auf dem Platz. Für Frank Islacker bedeutete sie damals die Sportinvalidität. „Leider hat man die wirkliche Verletzung erst sehr viel später erkannt. Erst einige Monate nach dem Unfall wurde ich operiert“, sagt er. Sein Bein steckte wochenlang in einem Gipsverband. Der reichte vom Oberschenkel bis an den Knöchel. Als er abgenommen wurde, war von dem ehemals muskulösen Fußballerbein nichts mehr zu sehen. „Ich habe dann noch eine Zeit lang versucht, wieder Fuß zu fassen. Aber es hat nicht mehr geklappt“, sagt er. Einige Jahre später fing er wieder an zu spielen. Er schaffte es bis in die Landesliga. Heute kickt er ab und zu in der Traditionsmannschaft des VfL Bochum.Obwohl er schon mit 19 Jahren das aufgeben musste, was sein Leben bis dahin bestimmt hatte, spricht Frank Islacker ohne Verbitterung über diese Zeit. Ohnehin scheint er ein optimistischer Mensch zu sein.
 
„Irgendwie war es auch mein Glück, dass ich bei der Verletzung noch so jung war. So konnte ich eine Ausbildung machen“, sagt der 44-jährige. Er wurde Berufskraftfahrer. Seit fast 20 Jahren arbeitet er für die Entsorgungsbetriebe in Essen. Islacker ist damit zufrieden. Nur manchmal, in stillen Momenten, denkt er schon, wie alles hätte sein können, wie seine Karriere verlaufen wäre, wenn da nicht dieses Flutlichtspiel gegen Eintracht Braunschweig gewesen wäre. Vielleicht wäre er so erfolgreich geworden wie sein Vater, auch wenn das nicht sein vorrangiges Ziel war. „Ich bin mit dem Fußball aufgewachsen. Ich hatte Spaß daran, Profi zu sein. Ich wollte meinem Vater nicht unbedingt nacheifern“, sagt er. Aber wenn es so gekommen wäre, hätte er auch nichts dagegen gehabt. Im Gegensatz zu seinem Vater hätte Frank die Möglichkeit gehabt, einigermaßen Geld mit seinem Sport zu verdienen. Dabei hätte er gar nicht viel gebraucht. „Ein kleines Häuschen wäre gut gewesen“, sagt er, zieht an einer Zigarette und blickt sich in seiner Zweizimmer-Wohnung um.Nicht immer konnte Islacker so gelassen über die verpasste Chance reden. Er hat ein wenig gebraucht, um das Ganze zu verarbeiten. „Vielleicht habe ich deshalb am Anfang bei Mandy auch ein wenig überzogen“, sagt er. Bei jedem Training war er, hat am Rand ausufernd gestikuliert und sie angetrieben.
 

Heute ist er entspannter. Er kommt zu ihren Spielen und gibt ihr hinterher einige Tipps. Er ist einfach ein stolzer Papa, der von der Technik seiner Tochter schwärmt. Dabei war es ihm anfangs gar nicht so recht, dass Mandy die begonnene Familientradition fortsetzen und ausgerechnet Fußball spielen wollte. Wie er selbst fing auch sie mit vier Jahren an, gegen den Ball zu treten. Damals war sich Islacker noch sicher, dass der Spaß bei seiner Tochter bald ein Ende haben würde. „Zu meiner damaligen Frau habe ich noch gesagt: Wenn Mandy das erste Mal auf die Asche fällt, ist Schluss“, erzählt er. Doch es kam anders. Wenn Mandy fiel, stand sie einfach auf und lief dem Ball wieder hinterher.

 

Fotos Islacker
Erinnerungsstücke: Fotos, Anstecknadeln und die Dauerkarte der Mutter
Foto Mareike Foecking

 


Frank Islacker ließ sie weiter spielen, unter einer Bedingung: Sie durfte ihren Zopf nicht abschneiden. Auf den Bildern an der Wand trägt Mandy deshalb immer lange Haare. Neben den Fotos seiner Tochter hängt dort nur ein Bild von ihm selbst. Der junge Mann im VfL-Trikot hat lange blonde Haare. Die sind längst kurz geschoren. Auf dem Tisch liegen immer noch die alten Fotos. Daneben steht ein kariertes Schmuckkästchen, in dem einige alte Anstecknadeln von Clubs wie Ajax Amsterdam oder Atletico Bilbao und die Dauerkarte seiner Mutter für die Heimspiele von RWE ihre letzte Ruhe gefunden haben.

Sein Vater hat das Zeug gesammelt, die Mutter hat es aufbewahrt. „Das ist alles, was noch übrig geblieben ist“, sagt Frank Islacker. Manchmal bekommt er noch alte Fotos von Bekannten oder Zeitungsfotografen. Sein neuestes Erinnerungsstück liegt auf einem Regal. Es ist ein fast lebensgroßes Bild, das seinen Vater in perfekter Schusshaltung zeigt. Er hat es nach der 100-Jahr-Feier bei Rot-Weiß Essen mitgenommen.

„Seid vorsichtig mit Papa“, sagt er, als das Bild für das Fotoshooting ins Auto gelegt wird. Zwei Stunden später sind alle Fotos gemacht. „Opa ist jetzt müde“, sagt Frank Islacker und fährt mit dem Penny-Bild wieder nach Hause.

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