ARSeNE WENGER
„Der Typ wird niemals Geld verdienen“
Nach 22 Jahren hört er zum Saisonende bei Arsenal London auf: Arsène Wenger über die Entwicklung des englischen Fußballs und eine Wahrsagerin. Interview Rico Rizzitelli



Arsène Wenger
Perfektionist bei den Gunners: Arsène Wenger Foto Sebastien Dolidon


RUND: Monsieur Wenger, wie sehen Sie die Entwicklung des englischen Fußballs?
Arsène Wenger: Die Menschen hier lieben den Fußball und ihren Verein, beides ist miteinander verzahnt; heute jedoch befindet sich der britische Fußball in einem tiefgreifenden Wandel. Bisher wuchsen die Menschen mit der Nuckelflasche des Klubs auf, und waren sie später in ihrem beruflichen und gesellschaftlichen Leben erfolgreich, dann kauften sie den Verein, ihren Verein. Die Anhänger wurden die Besitzer. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Heute sind es Investoren. In Chelsea, Manchester, Aston Villa, Portsmouth. Es handelt sich um einen grundsätzlichen Bruch mit der Tradition des britischen Fußballs.


RUND: Sind diese Verfahren wiederholter öffentlicher Übernahmeangebote nicht unvermeidlich im Rahmen einer Marktwirtschaft, die so gut wie keiner Regelung mehr unterworfen ist?
Arsène Wenger: Ja, es ist wahr, in dem Maße, in dem die Premier League und Fußballvereine ganz generell sich zu außerordentlich liberalen Unternehmen gewandelt haben, und es in England möglich ist, Gewinne zu machen, sich zu kapitalisieren, ist dies wohl unvermeidlich.
 
RUND: Sie scheinen zu bedauern, dass ausländische Milliardäre englische Klubs aufkaufen und so die Tradition des britischen Fußballs unterbrechen. Steht dies nicht im Widerspruch zu der Tatsache, dass Sie regelmäßig die Mannschaften umbauen, ohne dabei auf britische Spieler zurückzugreifen?
Arsène Wenger: Würde ich absichtlich eine Mannschaft ohne englische Spieler aufstellen, könnte dies auf meiner Seite tatsächlich widersprüchlich wirken. Dies ist schon mal versehentlich geschehen. Ich schau nicht in die Pässe der Spieler, wenn ich sie auswähle. Ich stehe unter hohem Wettbewerbsdruck und irgendwie wäre es ungerecht, wenn jemand seine Position nur aufgrund seines Passes erhielte. Wenn es der Hochleistungsfußball schafft, dass sich die besten Elemente in den besten Mannschaften herausbilden, dann hat er seine Funktion als Spitzenfußball erfüllt. Es wird eine neue Generation junger Engländer auftauchen. Sind sie besser als die Ausländer, werden sie deren Positionen einnehmen. Es kann hier keinen Protektionismus mehr geben. Das Problem ist international. Man kann nicht mehr sagen "Ich will ein Vermögen machen" und gleichzeitig geschützt werden dadurch, dass wenn ein Besserer an die Tür klopft, dieser mit der Begründung draußen gehalten wird, er besitze die falsche Nationalität. Ich weiß nicht, ob das in der globalen Gesellschaft funktioniert, aber im Spitzensport ist es jedenfalls so.
 
RUND: Wie erklären Sie es sich, dass die Engländer nicht so gut sind wie die Ausländer, jedenfalls bei Arsenal?
Arsène Wenger: Das ist so nicht korrekt. Die Tatsache, dass weniger Engländer in der Mannschaft sind, hat auch mit dem Abgang von Cole und Campbell zu tun. Die jungen Engländer haben nicht weniger drauf. Aber über einen langen Zeitraum hatte der angelsächsische Fußball seine Wurzeln in der schulischen Erziehung, die sich aber inzwischen vollständig vom Hochleistungsfußball getrennt hat. In allen Ländern, in denen die Verbände ihren Sport selber organisieren, ihre Mannschaften mit den hohen Anforderungen der Elite formen, klappt dies gut. Dort, wo der Sport auf der schulischen Ausbildung beruht, funktioniert es nicht. Mit dem Schulsport ist Schluss, auch wenn er lange Zeit die treibende Kraft des englischen Sports war.

RUND: Wie haben Sie bei Ihrer Ankunft das Fehlen des Trainings vor dem Spiel empfunden und die Musik in den Umkleideräumen? Es heißt, Sie seien nicht gerade begeistert gewesen.
Arsène Wenger: Es ist wirklich nicht mein Ding, das stimmt schon. Es gibt Umstände, mit denen man sich arrangieren muss … Selbst wenn inzwischen in England zunehmend Training vor dem Spiel absolviert wird. Ich muss kollektive Besonderheiten einer Mannschaft berücksichtigen. Als ich ankam, war die Mehrheit der Gunner verheiratet, hatte zwei, drei Kinder und war es zufrieden, bei sich zu Hause zu sein. Du lässt sie und weißt also, wo sie sind. Bei den Jungen muss man mehr Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.
 
RUND: Sprechen Sie mit ihnen über Sex?
Arsène Wenger: Nein, denn ich glaube, dass es mit dem Sex kein Problem war, noch bevor ich mich um die Spieler kümmerte... Ich verlange von ihnen Besonnenheit, sich ihrer Verantwortung gegenüber dem Klub bewusst zu sein. Abgesehen davon, räume ich ihnen viel Freiheit ein.
RUND: Sie werden wahrscheinlich der einzige Trainer des Kontinents sein, der die drei Finalspiele der Europa-Meisterschaften verloren hat. Welches Quäntchen Glück fehlt Ihnen eigentlich?
Arsène Wenger: Ich bin nicht besonders hochfliegend, aber ich versinke auch nicht leicht in Depressionen. Eine gute Sache in unserer Saison 2005/2006 war zum Beispiel, dass sich noch im September niemand vorstellen konnte, dass wir bis ins Finale vordringen würden und dies, ohne ein einziges Spiel zu verlieren. Beständigkeit in den Ergebnissen, das ist das Schwierigste. Es gibt Leute, die haben vor zehn Jahren den Europa-Pokal geholt und heute hört man nichts mehr von ihnen.
 
RUND: An welches Finale denken Sie mit größtem Bedauern?
Arsène Wenger: Wir waren im Finale im Uefa-Cup, quasi aus Frust, weil wir aus der Champions League rausgeflogen waren. Das Ziel der Saison war nicht der Uefa-Cup, wir haben gespielt und wir haben sie durch Elfmeterschießen verloren ... aber das hat uns nicht wirklich deprimiert. In der Champions League, ja, weil wir nur noch 13 Minuten vom Sieg entfernt waren, die Chance zu einem zweiten Tor hatten, wir nach 20 Minuten noch zu zehnt spielten. Da war einiges zusammengekommen. Wenn einem so kurz vor dem Sieg der Pokal entgeht!
 
RUND: Spielt Religion ein wichtige Rolle in Ihrem Leben?
Arsène Wenger: Religion ist wichtig, wenn auch nicht für mich. Ich wuchs in einem sehr katholischen Umfeld auf, in dem der Priester entschied, ob du am Sonntag spielen durftest oder nicht. Man musste von der Vesper entbunden werden, um auf den Platz gehen zu können. Ich wuchs in einem Dorf auf, wo, wenn du auf deinem Fahrrad an einem Kreuz vorbeikamst, du dich bekreuzigen musstest auf die Gefahr hin, auf die Schnauze zu fallen, solltest du dich zu ungeschickt anstellen. Ich entwickelte mich in dieser Atmosphäre und wenn du sieben Jahre alt bist, erscheint dir das normal. Für mich verkörperte das Gebet eher meine Absicht und die Intensität meines Willens, für mein Dorf zu gewinnen, als meinen religiösen Glauben. Ich liebe die Spiritualität der Religion, aber ich bin nicht empfänglich für Mystizismus.

RUND: Sie sind im Elsass aufgewachsen. Welche Werte hat man Ihnen dort vermittelt?
Arsène Wenger: Nicht nur im Elsass wird gearbeitet, aber es ist wahr, dort habe ich gelernt „Mein Freund, halt dich ran, halt die Klappe und schufte.“ Letztlich ist es ebenso schwierig, aus seinem Dorf rauszukommen, wie aus den Vorstädten von Paris. Man spricht in Frankreich gegenwärtig fast nur noch über die Probleme in den Vorstädten, während ich mich in die Lage eines Burschen aus dem hintersten Winkel der Ardennen versetze. Er hat nicht mehr Chancen, in Paris ein Held zu werden, als einer aus der Vorstadt, aber darüber wird nie gesprochen. Warum?
 
RUND: Sie haben einen Aufruf zugunsten der regionalen Sprachen und Kulturen unterzeichnet.
Arsène Wenger: Ja, ich finde es schade, dass meine Nichten und Neffen nicht mehr elsässisch sprechen, denn das wäre eine Öffnung zum Deutschen hin, zur Mehrsprachigkeit und zum Multikulturalismus. Eine der glücklichen Zufälle meines Lebens war der zweisprachige Einfluss. Das half mir später, als ich im Ausland lebte, mich anzupassen.
 
RUND: Zum Abschluss müssen wir noch wissen: Stimmt die Anekdote, dass eine Ihrer ehemaligen Freundinnen eine Astrologin bezüglich Ihrer Zukunft konsultierte?
Arsène Wenger: Ja, ja, ich war wohl 22, die Astrologin hat ihr gesagt: „Der Typ ist kein guter Fang, der wird niemals in seinem Leben Geld verdienen.“ Tatsächlich wollte sie ihr wohl zu verstehen geben, dass ich von Geld nicht angezogen werde.
Übersetzung: Matthias Greulich
 

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