ARRIGO SACCHI
„Die Zeit hat mich rehabilitiert“
Mit dem AC Mailand ließ er einen phantastischen Offensivfußball spielen. Dennoch musste Arrigo Sacchi den Klub verlassen, als Marco van Basten gegen den Trainer rebellierte. Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, was Sacchi heute über van Basten sagt. Interview Vincenzo Delle Donne



Arrigo Sacchi mit dem Europacup
Der Torjäger, der später Trainer wurde: Marco van Basten (links) rebellierte gegen Arrigo Sacchi
Foto Pixathlon



RUND: Herr Sacchi, in der Saison nach dem Weltmeistertitel 2006 schauten sich im Schnitt weniger als 19.000 Zuschauer ein Spiel der Serie A an. Das ist ein Rekordtief. Wie erklären Sie das?
Arrigo Sacchi: Obwohl Italien die Fußball-WM gewonnen hatte, scheint das Interesse für den Fußball abgeebbt zu sein. Der Skandal überstrahlt noch immer den Titelgewinn. Er hat den Italienern den letzten Traum genommen: Sie glaubten, dass der Fußball zu den wenigen Dingen gehörte, die in diesem Land noch sauber waren. Das zweite ist, dass auch die Tifosi gemerkt haben, dass wir nicht den besten Fußball gespielt haben.

 
RUND: Wegen solcher Äußerungen sind Sie in Italien stark kritisiert worden.
Arrigo Sacchi: Ja, aber das ändert nichts an der Tatsache. Die italienischen Trainer gehören sicherlich zu den besten der Welt, aber sie können derzeit kaum arbeiten, weil ihre Klubs in Schulden versinken. Langfristige Planung ist angesichts dessen fast aussichtslos.
 
RUND: Unter Massimo Moratti hat Inter Mailand in den neunziger Jahren annähernd eine Milliarde Euro investiert, ohne sonderlichen Erfolg. Was sind die Gründe dafür?
Arrigo Sacchi: Es fehlte bei den Trainern die Ruhe und die Sicherheit. Ohne diese Attribute kann man nicht erfolgreich arbeiten, zumal wenn die Klubführung nicht hundertprozentig hinter dem Trainer steht.

RUND: Die Inter-Führung hatte den Fehler gemacht, nur große Namen einzukaufen. Arrigo Sacchi: Viele wurden dann schnell wieder abgeschoben. Silvio Berlusconi agierte beim AC Mailand auch nach dieser Devise, bevor ich zu dem Verein kam. Das erste, was der Vizepräsident Adriano Galliani damals zu mir sagte, war: „Denk dran, wir können jetzt mehr Geld für neue Spieler ausgeben!“ Ich sträubte mich dagegen und erwiderte: „Nein! Je mehr Geld wir für Spieler ausgeben, desto weniger Geduld werden wir haben!“ Der Spieler ist in meiner Spielphilosophie eher zweitrangig. Das Wichtigste ist eine solide Finanzführung. Man kann kein Geld ausgeben, das man nicht hat.
 
RUND: Sie selbst sind als Erneuerer in die Annalen eingegangen. Doch viele Ihrer Spieler empfanden Ihre Methoden als Albtraum. Das kostete Sie 1990 den Trainerposten bei Milan, weil Marco van Basten Berlusconi ein Ultimatum gesetzt hatte. Er forderte: „Entweder geht er oder ich gehe!“
Arrigo Sacchi: Haben Sie schon mal gesehen, dass Neuerungen ohne Widerstand aufgenommen worden sind? Ich habe es geschafft, italienische Spieler nach vorne rennen zu lassen, die sich schon immer mit Vorliebe nach hinten orientierten. Ich bin der Auffassung, dass der Lenker des Spiels der Trainer sein muss. Natürlich kam ich in Verruf, weil ich gesagt habe, dass in meinem Spiel der jeweilige Spieler nicht so wichtig ist.
 
RUND: In einem südeuropäischen Land, in dem die Individualität groß geschrieben wird, zu behaupten, der einzelne Spieler sei nicht so wichtig, erscheint widersinnig.
Arrigo Sacchi: Das ist es keineswegs. Das hat man auch in Südamerika begriffen und entsprechend umgesetzt. Deren Erfolge der letzten Jahre sind nur so erklärbar. Die Spieler, die ich trainiert habe, haben von meinem Spielsystem profitiert. Harte Arbeit im Training war die Grundlage dieses Erfolgs. Viele von ihnen sind heute selber erfolgreiche Trainer.
 
RUND: Aber Marco van Basten war kein Freund Ihrer Trainingsmethoden.
Arrigo Sacchi: Das war vielleicht damals so. Später hat er zu mir gesagt: „Jetzt, wo ich als Trainer arbeite, verstehe ich erst Ihre Arbeit richtig!“ Die Zeit hat mich sozusagen rehabilitiert.
 
RUND: Wie Sie sich ereifern, spricht aus Ihnen der leidenschaftliche Trainer. Wann können wir mit Ihrem Comeback als Trainer rechnen?Arrigo Sacchi: Ich glaube nicht, dass das geschehen wird. Für mich war der Fußball eine Berufung. Derzeit fehlt mir das Wichtigste, das mich einst beflügelte: die Motivation, 100 Prozent zu geben. Deshalb lasse ich es lieber. Sollte ich jene Begeisterung wieder finden, dann schließlich ich eine Rückkehr nicht aus.
 
Klicken Sie hier, um Teil eins des Interviews mit Arrigo Sacchi zu lesen: „Der Skandal hat Italien den Traum genommen“


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