FUNDSTÜCK
Hans Meyer im Karton
Für Jena war es einer der größten Tage der jüngeren Vereinshistorie. Der FC Carl Zeiss erreichte sensationell das DFB-Pokalhalbfinale. In der DDR war der Klub eine große Nummer, der Schweriner Konrad Bodien erinnert sich dabei auch an einen Jungtrainer. Aufgezeichnet von Steffen Dobbert

Jena-Heft
Erinnerungen an Jena: Konrad Bodien hat alles
über seinen Lieblingsklub aufgeschrieben Foto Benne Ochs


„Ja“, sagte ich zu meiner alten Mutter, „klar bringe ich dir den Weihnachtsschmuck auf den Dachboden.“ Treppenleiter rauf, Luke auf, rein mit dem Krempel, fertig – dachte ich, dann sah ich den Karton. Fußball, Fußball, Fußball, meine Jugend in einem Pappkarton. Das muss hier bald 25 Jahre lang rumliegen. Ich habe damals alles aufgehoben. Eintrittskarten, Stadionhefte, Wimpel, ein Foto der DDR-Auswahlmannschaft von 74, sogar ein Bierglas von meiner Mannschaft, Carl Zeiss Jena. Und natürlich meine Fernsehmappe. Darin habe ich alle Fußballspiele festgehalten, die ich über volle Länge im Fernseher gesehen hatte.

Jena
Wo Hans Meyer attraktiven Fußball spielen ließ:
Der Uhrenturm im Ernst-Abbe-Sportfeld Foto Gianni Occhipinti


Es muss das Jahr 1973 gewesen sein, ich war 14, ungefähr ein Jahr vor der WM in Westdeutschland. Habe ich mich darauf gefreut, mein lieber Scholli. Wir in der DDR waren ja genauso fußballverrückt. Aber sehen konnten wir nicht so viel wie heute. Im Fernseher lief fast nur mittwochs ein Europapokalspiel oder ein Spiel der Nationalmannschaft. Manchmal auf DDR 1, meistens im Westfernsehen auf ZDF oder ARD. Wir in Mecklenburg hatten noch Glück. Unsere selbstgebaute Antenne auf dem Dachboden sorgte für gute Schwarz-Weiß-Bilder. ARD hieß damals auch „Außer Raum Dresden“, damit ärgerten meine Eltern immer unsere Verwanden aus Sachsen.

Mit meiner Mappe saß ich bei uns in der Wohnstube auf der braunen Couch. Ich durfte kein Spiel verpassen. Den Schnellhefter für meine Aufzeichnungen hatte ich von meinen Schulsachen genommen. Schon während des Spiels machte ich mir Notizen. Nur nichts Wichtiges vergessen. Danach habe ich alles noch einmal sauber und in Farbe abgeschrieben: Datum, Aufstellungen, Zuschauerzahlen, Einwechslungen, Torschützen, Sonstiges.

Zu den Spielen habe ich auch alles in der Zeitung verfolgt. Meine Eltern hatten die „Junge Welt“, die „Schweriner Sportzeitung“ und das „Bauernecho“ abonniert. Die tägliche Zeitung „Sportecho“ kaufte ich mir vom Taschengeld selbst. Ja, die erschien täglich – nur über Sport, super. Alle Zeitungsartikel zu den Spielen klebte ich neben mein Geschriebenes in die Fernsehmappe. Mann, ich war ganz schön genau. Deshalb ist es schon komisch, dass ich auf dem Umschlag einen Rechtschreibfehler gemacht habe. Eigentlich war ich ganz gut in der Schule. Aber die Aufstellungen und Statistiken stimmen. Die haben mich schon immer interessiert. Heute gibt es ja Videotext, da schaue ich schon am Donnerstag nach, welcher Sender welche Aufstellungen für den Spieltag vermutet.

Und hier, ach, mein Lieblingswimpel mit dem originalen Jena-Anstecker. Das war was. Nach der Schule musste ich zur Ausbildung nach Saalfeld. Das liegt bei Jena. Carl Zeiss war damals die Hammermannschaft. 5,60 Mark kostete eine Fahrkarte mit der Straßenbahn von Saalfeld nach Jena. Ich fuhr zu jedem Heimspiel. Den Wimpel kaufte ich, als Jena gegen Hansa Rostock 2:0 gewann. Vor dem Spiel stand ich am Bratwurststand und hab eine Thüringer gegessen, den neuen Wimpel an mein Handgelenk gehängt. Dann kam er, ein Riesenkerl mit breiten Schultern. Der hat mich vielleicht von hinten angerempelt! Die Wurst fiel mir fast aus der Hand. Hans Meyer, ich erkannte ihn sofort, er war der jüngste Trainer der Oberliga. Er trainierte damals Jena als Nachfolger von Georg Buschner, der Nationaltrainer der DDR war. Beim Vorbeigehen hat Meyer die Hand gehoben, als Entschuldigung. Zeigefinger nach oben, wie ein grüßender Autofahrer. Dann lief er schnell zum Spielfeld.

Jena-Heft
"Sauber und in Farbe abgeschrieben":
Aufstellung, Torschützen, Zuschauerzahl Foto Benne Ochs






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