DIETMAR BÄR
„Borussia ist Heimat“
Er spielt im „Tatort“ den Kommissar Freddy Schenk. Seit seiner Jugend geht der gebürtige Dortmunder zu Borussia Dortmund – und davon konnten ihn auch die größten Vereinskrisen nicht abbringen. Interview Malte Oberschelp und Eberhard Spohd.

Dietmar Bär
Selbstironischer Sitzplatzkanake: Dietmar Bär
steht längst nicht mehr in der Kurve Foto Cecil Arp

 

RUND: Herr Bär, das Spiel dauert 90 Minuten, der „Tatort“ dauert 90 Minuten und der nächste Gangster ist immer der schwerste.
Dietmar Bär: Nach dem Mord ist vor dem Mord.

RUND: Und der Kommissar Freddy Schenk geht dahin, wo es wehtut. Ins Manila der Kinderschänder oder mitten unter die Faschobrut.
Dietmar Bär: Oder im „Minenspiel“ zu den Waffenhändlern, die mit Anti-Personen-Minen handeln. Da haben wir eine gute Tradition im Format „Tatort“. Wir sind froh, dass wir noch ins Sozialkritische gehen können und bestimmte gesellschaftliche Themen aufgegriffen werden.

RUND: Ist Ihnen das wichtig?
Dietmar Bär: Ich finde das wichtig für diese Reihe. Es gehört dazu, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Wir haben ganz gute Schüsse gemacht, finde ich, mit „Manila“ und „Bildersturm“, einem „Tatort“ über Kriegsverbrechen, in den sich auch familiäre Strukturen verzahnen. Da stand mein Onkel am Ende ganz anders da als er das immer erzählt hatte. Das war ein Film, den ich sehr, sehr mochte.

RUND: Gibt es beim „Tatort“ auch eine Art von Ritualisierung wie beim Fußball? Man weiß ja ungefähr was einen erwartet, aber nicht, wie es ausgeht.
Dietmar Bär: Einige treffen sich regelmäßig, machen zusammen Bratkartoffeln und hocken sich vor den Fernseher. Das ist dann eben auch ein Ritual, wie man das von Samstagnachmittagen kennt.

RUND: Vom Fußball.
Dietmar Bär: Genau. Nach dem Spiel im Stadion schafft man es gerade, bis zur guten alten Sportschau. Anschließend kann man dann auf die Piste gehen.

RUND: Welchen Stellenwert hat denn Fußball im Fernsehen für Sie?
Dietmar Bär: Es gibt da einen großen Unterschied zwischen den Menschen, die Spiele im Stadion sehen, und denen, die sie nur im Fernsehen verfolgen. Leute, die ein Spiel zusammengefasst auf ein paar Minuten gesehen haben und die nicht 90 Minuten im Stadion waren, sind Sklaven der Kamera.

RUND: Oder des Redakteurs.
Dietmar Bär: Genau. Ich habe gesehen, wer 80 Minuten nur herumgestanden hat, aber am Ende als Held dasteht, weil er zwei Tore gemacht hat. Das habe ich früher öfter bei Andreas Möller beobachten dürfen. Es ist ja auch okay, wenn er dann steht, wo er stehen muss. In „ran“ sah es dann aber so aus, als sei er der große Held, gerannt sind aber wieder einmal nur die Anderen.

RUND: Und wie passen Fußball und Film zusammen?
Dietmar Bär: Es gibt da eine große Angst. Die denken immer, dass Frauen zur Fernbedienung greifen, wenn irgendwo Fußball im Film auftaucht. Dagegen sprechen alle Frauen, die ich im Westfalenstadion sitzen sehe. Letztlich kommt es auf das Thema des Films an.

RUND: Zwei davon sind ja in den letzten Jahren beim Zuschauer gut angekommen: „Das Wunder von Bern“ und „Kick it like Beckham“.
Dietmar Bär: Den einen habe ich nicht gesehen, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Aber „Das Wunder von Bern“ war natürlich irgendwann reif.

RUND: Hat es Ihnen gefallen, wie da die historischen Szenen nachgespielt wurden? Das sind ja Bilder, die jeder kennt.
Dietmar Bär: Die werden wir auch weiterhin zu jedem Jahrestag sehen. Angeblich hat da ja eine neue deutsche Identität begonnen, dieses muffig riechende „Wir sind wieder wer“, zu einer Zeit, als uns noch hätte die Hand abfallen sollen. Ein Jahr später hatten wir dann schon wieder eine Bundeswehr. Ich glaube, dass es für den Film wichtig war, dass Sönke Wortmann die Spielszenen auch schauspielerisch umgesetzt hat. Es war auch gut, dass er sich an die Reportage von Zimmermann herangetraut hat. Die ist für mich die letzte Sportpalastrede. Wenn ich die höre, höre ich auch: „Wollt ihr den totalen Krieg. Natürlich ist das auch die Stimm- und Sprechkultur der Zeit. Da haben noch alle geschnarrt. Aber man sieht trotzdem, wie tief das noch drinsaß.

RUND: 1954 konnte der Nationalismus nur auf wenigen Feldern so aufleben wie im Sport.
Dietmar Bär: Man kann den Leuten das gar nicht so richtig vorwerfen. 1954 war das Kriegsende neun Jahre her und der Nationalsozialismus noch Volkserbe. Der sitzt bis heute in jedem drin. So eine düstere Zeit kann man nicht aus einem Volk herausreißen und nicht abstreifen wie eine Hülle. Außerdem hatte der Fußball damals eine ganz andere Bedeutung, wenn da Spieler auf dem Platz standen, die tagsüber noch gearbeitet haben oder unter Tage gefahren sind.

RUND: Linke sind damals auch nicht ins Stadion gegangen.
Dietmar Bär: Ich kann das ein wenig nachvollziehen, weil ich auch schon Länderspiele erlebt habe. Diese Deutschland-Rufe müssen dazugehören, klar. Und die Fans haben alle unter ihren Bundestrikots ihre Vereinstrikots, schließlich sind es alles Fußballfans. Aber dann wird es kribbelig. Das hat auch etwas mit der Generation zu tun. Leute, die zehn, 20 Jahre jünger sind, haben kein so schlechtes Gewissen mehr wie die älteren.


RUND: Wie lange gehen Sie schon zum BVB?
Dietmar Bär: Ich kann mich erinnern an das Relegationsspiel, wo wir über die damals noch existierenden Zäune geklettert sind ...

... gegen Fortuna Köln 1986?
Dietmar Bär: Nee, beim Aufstieg gegen Nürnberg 1976. Ich erinnere mich auch noch an das Stadion Rote Erde. Da war ich zwölf.

RUND: Können Sie uns erklären, warum immer noch 80 000 Zuschauer Ihre Leidenschaft teilen? Am Fußball kann es nicht gelegen haben.
Dietmar Bär: Das ist das Ruhrgebiet. Das ist das Lebensgefühl der Leute: das Pfund, das die Vereinsführung immer im Auge behalten muss. Die Sitzplatzkanaken, das sind ja wir auf den anderen Seiten, wo dann die La Ola immer versandet.

RUND: Das Gros der Fans auf der Südtribüne ist bestimmt nicht so lang dabei wie Sie.
Dietmar Bär: Das wächst immer wieder nach, das ist verrückt. Wenn man auf die Südtribüne geht, da könnte man ein Museum draus machen: von 70er Jahre Adidas-Trikots, auf dem Burgsmüller steht, bis hin zu den 12-Jährigen. Da kommen natürlich auch die satten 90er Jahre dazu. Plötzlich rannten in Berlin Kinder im Borussen-Trikot herum. Man merkte, wir wurden immer mehr.

RUND: Und es gab es keinen Moment, an dem es Ihnen zu viel wurde?

Dietmar Bär: Die Leute, die sich dann einen anderen Verein suchen, habe ich noch nie verstanden. Bei mir war Borussia immer Borussia. Das ist Zuhause. Das hat etwas mit Heimat tanken zu tun.

RUND: Obwohl der Verein zwischenzeitlich zum bundesweiten Entertainment-Konzern mutierte?

Dietmar Bär: Natürlich waren wir Vorreiter der Bayern-Münchisierung der Ruhrgebietsvereine. Herne-Ost hat doch lange so getan, als wären sie noch die einzigen, die morgens unter Tage fahren und abends trainieren. Jetzt hat der Assauer seine Arena da stehen und genau die gleichen Probleme.

RUND: Wen hassen Sie denn mehr: Schalke oder Bayern?
Dietmar Bär: Für Hass habe ich da kein Gefühl. Wenn ich etwas hasse, dann sind es eher die Menschen, die die Vereine verkörpern. Der Druck der da ausgeübt wird, wenn Nationalspieler nicht abgestellt werden sollen, dieser Hokuspokus. Da denke ich: Mensch, den Hoeneß habe ich 1974 doch auch mal gut gefunden. Aber er macht doch nur Würstchen in Ulm.

RUND: So einen wie Uli Hoeneß hätte Dortmund nun wirklich brauchen können – dann wäre der Verein nicht pleite.
Dietmar Bär: Richtig. Vor der fachlichen Seite habe ich Respekt. Natürlich hat Hoeneß nicht so blind eingekauft wie bei uns. Einen Fall Amoroso hat es bei den Bayern nicht gegeben.

RUND: Aber die Transparente mit den Scheiß-Millionären hingen in Dortmund, nicht in München.
Dietmar Bär: Das ist natürlich etwas sehr populistisches. Wer das nicht vorher gewusst hat, was Fußballer verdienen ... Aber das wird uns in den nächsten Jahren sicher öfter passieren. Als das aufkam, gab es das Wort „Hartz IV“ noch nicht. Und plötzlich entdecken ja auch ein paar Sozialdemokraten, was Sozialdemokratie früher mal war.

RUND: Und schimpfen auf die Konzernchefs wie die Fans auf die Stars ...
Dietmar Bär: Genau. Dabei muss man auf Fußballspieler nicht neidisch sein. Die Jungs machen die Preise nicht. Ich wäre ja auch doof zu sagen, ich mache die Filme für weniger Geld, weil ich gerecht sein will.

RUND: Wenn man Sie so hört, glaubt man kaum, dass Sie früher in der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend waren ...
Dietmar Bär: Natürlich sieht die Welt mit 18 anders aus als mit 38. Ich weiß nicht, was die nächsten 20, 30 Jahre in der Welt passieren wird. Was Fußball bei zunehmendem Wohlstandsgefälle dann noch leisten kann, auch als soziales Gefüge. Ob er es schafft, die Kids von der Straße weg auf die Fußballplätze zu binden.

RUND: Wird der Fußball dann wieder zum Ersatz für das, was woanders fehlt? Geht man zum BVB, weil es die einzige Freude im Leben ist?
Dietmar Bär: Ich glaube nicht, dass 80.000 Zuschauer deshalb ins Stadion kommen. Aber dass man da am Samstag alles rauslassen kann, das ist ja so alt wie die Welt. Den Esel meinen und 90 Minuten den Fußballsack prügeln: Das ist ja auch etwas Reinigendes.

RUND: Das allein reicht aber nicht.

Dietmar Bär: Es gehört auch dazu, einen schönen Pass zu sehen oder ein Dribbling. Das ist eine Freude, die andere für einen machen.

RUND: Das schaffen auch Sie in Ihrem Beruf.
Dietmar Bär: Am ehesten noch im Theater. Aber im Fußball ist das was anderes, weil die da richtig spielen müssen. Ich tue ja nur so.

RUND: Also gibt es die magischen 90 Minuten doch, im Stadion, auf der Bühne im Fernsehen.

Dietmar Bär: Mit Unterschieden: Bei uns geht es immer gut aus, jeder weiß das. Wir arbeiten mit Verabredungen. Ein Fußballspiel arbeitet mit guten Vorsätzen. Da weiß man das Ergebnis vorher nicht – es sei denn, man heißt Robert Hoyzer.

Dietmar Bär
"Wir haben damals alles auf dem Rasen nachgespielt": Dietmar
Bär wollte als Kind Torhüter werden, später bewunderte er Jens Lehmann Foto Cecil Arp


Das Interview ist in RUND #1_08_2005 erschienen.

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