DFB-POKAL
„Ich spiel’ dann jetzt mal“
Ein Lothar Matthäus war mehrmals der Sündenbock, ein späterer Manager köpfelte mit einem Turban und manchmal wechselte sich der Torschütze sogar selber ein. Die Liste der denkwürdigsten Endspiele im DFB-Pokal. Von Elmar Neveling.

Bastian Schweinsteiger mit DFB-Pokal 2005
Anfassen: Bastian Schweinsteiger mit DFB-Pokal 2005 nach dem 2:1-Finalsieg gegen Schalke Foto: Pixathlon


1973: Borussia Mönchengladbach – 1. FC Köln 2:1 n.V.

1:1 steht es nach 90 Finalminuten zwischen Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln. Verlängerung, das Spiel steht auf Messers Schneide. „Ich spiel’ dann jetzt“, sagt Günter Netzer lapidar zu Trainer Hennes Weisweiler und wechselt sich selbst für den entkräfteten Verteidiger Christian Kulik ein.

Weisweiler hatte seinen Strategen, dessen Wechsel zu Real Madrid feststeht, auf der Bank schmoren lassen. Schließlich müsse er auch zukünftig ohne ihn auskommen. Die Zuschauer fordern früh Netzers Einwechslung, die bereits zur zweiten Hälfte erfolgen soll. Doch die Diva lehnt ab. Ein Netzer entscheidet selbst, wann er spielt.

Netzer ist keine zwei Minuten auf dem Feld, als der Ball den Weg zu ihm findet. Beim Schuss rutscht ihm der Ball über den Spann und entwickelt soviel Effet, dass er unhaltbar im Netz einschlägt. Das entscheidende 2:1 in seinem letzten Spiel für die Fohlen-Elf. Mit dem zweiten Ballkontakt. Anschließend bittet Netzer die Mannschaft zur Siegesfeier in die Diskothek, seine eigene. Ohne Weisweiler.



1982: Bayern München – 1. FC Nürnberg 4:2

Es hätte sein Tag werden können. Mit einem strammen 40-Meter-Schuss bringt der Österreicher Reinhold Hintermaier den Club im fränkisch-bayerischen Finale von 1982 in Führung. Zur Halbzeit steht es bereits 2:0 für den Außenseiter.

Damit nicht genug: Bei einem Luftduell krachen Bayern-Angreifer Dieter Hoeneß und Club-Verteidiger Alois Reinhardt mit den Köpfen zusammen. Hoeneß zieht sich eine klaffende Platzwunde zu, sein notdürftiger Kopfverband ist bald blutdurchtränkt. Bruder Uli und Trainer Pal Csernai beschwören ihn in der Kabine, durchzuhalten: „Dieter, beiß’ die Zähne zusammen!“ Der denkt auch gar nicht daran, sich auswechseln zu lassen: Ohne Betäubung lässt er seine Wunde mit einigen Stichen nähen. Dass ihm während des Spiels immer wieder schwarz vor Augen wird, schert ihn nicht. Nach der Pause drehen die Bayern auf, Hoeneß bereitet nicht nur per Kopf zwei Tore vor, sondern erzielt noch den 4:2-Endstand höchstselbst. Mit dem Kopf.

Schade für Reinhold Hintermaier, doch der 1. Mai 1982 war allein der Tag von „Turban-Dieter“.



1984: Bayern München – Borussia Mönchengladbach 7:6 i.E.

Nein, er will nicht. Nicht heute, wo er sich nicht gut fühlt. Nach einem Spiel, in dem er auf völlig ungewohntem Terrain als Rechtsverteidiger ran muss und ein ums andere Mal ausgespielt wird. Ausgerechnet im Finale gegen seinen neuen Klub Bayern München. Doch Trainer Jupp Heynckes duldet keinen Widerspruch: „Du schießt.“ So tritt der Noch-Gladbacher Lothar Matthäus direkt zum ersten Elfmeter an und jagt die Kugel in den Frankfurter Nachthimmel.

Nach der Niederlage weint der 23-jährige dicke Tränen, bei jedem zukünftigen Auftritt im Bayern-Trikot auf dem Gladbacher Bökelberg werden ihn abwechselnd gellende Pfiffe und „Judas“-Rufe begleiten. Betrug werfen sie dem Franken vor, absichtlich habe er verschossen. Dabei ist es gar nicht Matthäus, sondern Norbert Ringels, der den entscheidenden Elfer vergibt. Klaus Augenthaler war zuvor an Borussias Keeper Uli Sude gescheitert.

So bekommt ein anderer den Abschied, den sich Matthäus so sehr gewünscht hatte: Karl-Heinz Rummenigge verlässt samt Pokal im Gepäck den FC Bayern Richtung Inter Mailand.



1989: Borussia Dortmund – Werder Bremen 4:1

Nur wenige Wochen vorher wurde er am Knie operiert, trainiert hat er seitdem kaum. Aber BVB-Trainer Horst Köppel legt sich fest: „Du spielst!“. Mittelstürmer Norbert Dickel ist nicht ganz wohl dabei, noch einen Tag vor dem Spiel plagen ihn Zweifel, ob er tatsächlich im Endspiel gegen Werder Bremen auflaufen soll.

Und er scheint recht zu behalten. Das Spiel läuft zunächst komplett an ihm vorbei, der spätere Dortmunder Kalle Riedle bringt Werder mit 1:0 in Front. Doch mit seiner ersten guten Szene trifft Dickel direkt zum Ausgleich – eine Initialzündung für den Außenseiter. Jeder Borusse spielt nun an der Leistungsgrenze und darüber hinaus, mit 4:1 wird Werder in Grund und Boden gerannt. Dickel steuert ein zweites Tor bei und sieht, wie im Berliner Olympiastadion nur noch schwarz-gelbe Fahnen geschwenkt werden.

Einige Monate später macht der Meniskus doch nicht mehr mit, Dickel wird Sportinvalide. Aber noch heute wird der Stadionsprecher des BVB vor jedem Heimspiel von der Südtribüne gefeiert: „Wir singen Norbert, Norbert Diiiiiiiiiickel, jeder kennt ihn, den Held’ von Berlin…“



1999: Werder Bremen – Bayern München 6:5 i.E.
Nicht weniger als das Titel-Triple wollten die großen Bayern 1999 gewinnen, dem ersten Jahr mit Ottmar Hitzfeld als leitendem Angestellten. Doch nach der Meisterschaft folgt im Champions League - Finale von Barcelona die denkwürdige 1:2-Pleite gegen Manchester United in der Nachspielzeit.

Gut zwei Wochen später wartet im nächsten Finale der SV Werder Bremen. Als Dreizehnter der Bundesliga eine vermeintlich leichte Aufgabe. Doch die Bayern stehen noch unter Schock, scheitern am überragenden Schlussmann Frank Rost, der Werder ins Elfmeterschießen rettet.

Stefan Effenberg hat bei den Penalties die Chance zur Entscheidung – und schießt den Ball in die Wolken. Als Rost im Torwartduell erst gegen Oliver Kahn selbst verwandelt und anschließend gegen Lothar Matthäus pariert, ist der Bremer nicht zu bremsen: „Es ist ein geiles Gefühl, die Bayern vom Sockel zu stoßen.“

Nach dem Desaster in Barcelona, bei dem sich Matthäus kurz vor Schluss ermattet auswechseln ließ, ist er erneut der Sündenbock. Wie auch 1984. Trotz zweier Siege 1986 und 1998 – das Pokalendspiel, das ist einfach nicht Matthäus’ Sache.






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