RUND-TIPP
Zwei Sportstars im KZ
Im Konzentrationslager Neuengamme sehen sich ein ehemaliger Profiboxer und Fußballnationalspieler aus der Ferne – als Gefangener und SS-Mann. Roger Repplinger hat die Doppelbiographie „Leg dich, Zigeuner" über Tull Harder und Johann Trollmann geschrieben. Von Justus Meyer.

 

Leg dich, Zigeuner
Drei von drei Bällen: Leg dich, Zigeuner“ von Roger Repplinger





Der SS-Mann, der den Boxer ins Häftlingslager bringt, zeigt auf einen Mann, der an einer Wand steht und raucht. „Das war auch mal ein großer Sportler. Tull Harder, Stürmer beim HSV. Schon mal von ihm gehört?“ Johann Trollmann, den sie Rukeli nennen, schüttelt den Kopf. Im Jahre 1942 sind zwei Sportstars der Weimarer Republik gleichzeitig im Konzentrationslager Neuengamme – auf verschiedenen Seiten des hoch gesicherten Zaunes. Harder, der sich freiwillig zur SS gemeldet hatte, seinen ‚ÄöKriegsdienst’ im KZ verrichtet, und später zum Lagerkommandanten aufrückt. Trollmann wird als Sinto zum Arbeitsdienst eingezogen und 1944 im KZ ermordet.


Eigentlich hat Roger Repplinger zwei Bücher geschrieben. Die Biographien des Boxers Trollmann, eines Sinto, der zu den besten Boxern Deutschlands gehörte und des Fußballstars Otto ‚Tull’ Harder. Doch das Schicksal eines Trollmann wäre nicht möglich gewesen ohne Männer wie Harder.

Repplinger ist ein großartiges Buch gelungen. Akribisch hat er die Biographien der beiden Sportler recherchiert, und mit großer Sachkenntnis schildert er die Anfänge des Boxsports und des Fußballs in Deutschland. Es gelingt Repplinger, den Charakter von Tull Harder besonders eindringlich zu beschreiben, der als vaterlandstreuer ‚ÄöSoldat’ Befehle nicht in Frage stellt und die Augen vor den unbeschreiblichen Zuständen im KZ verschließt. Bis zuletzt beteuert er, nichts Unrechtes getan zu haben. Damit steht er in seiner Generation nicht allein: Er wird 1947 als Kriegsverbrecher verurteilt, jedoch schon 1951 wieder begnadigt und von den Fans des HSV, mit dem er große Erfolge feierte, jubelnd im Stadion begrüßt. Bei seiner Beisetzung geben ihm Hunderte das letzte Geleit. Johann Trollmann wurde in einem Massengrab verscharrt, das man 1970 eingeebnet hat.

Der Autor ist ein profunder Kenner der Geschichte des Fußballs und des Boxens. Doch dieses Buch verlangte eine gehörige Portion Mut, das über das Expertentum hinausgeht. Und diese schwierige Aufgabe hat Repplinger bravourös gelöst. Mit Hingabe hat er Archive durchstöbert, Akten gewälzt, mit Sinti und Roma geredet und sich mit den Alltagswelten Harders und Trollmanns vertraut gemacht. Einzig Harders zwiespältiges Verhältnis zu dem Mutterland des Fußballs und den englischen Spielern und Trainern kommt bei den Schilderungen der Fußballkarriere des gebürtigen Braunschweigers etwas zu kurz.

Roger Repplinger hat nicht den Versuch unternommen, das Unfassbare fassbar zu machen. Er erzählt die Geschichten eines „Zigeuner-Boxers“, der sich die Haare blond färbte und mit Mehl beschmiert in den Ring stieg, und eines „arischen“ Fußballstars ohne Pathos, ohne Belehrung. Auf diese Weise gelingt ihm eine eindrucksvolle Darstellung Johann Trollmanns, der so elegant boxte, Tull Harders, der so hart schießen konnte, und der Zeit, in der sie lebten.

Roger Repplinger: Leg dich, Zigeuner, Piper, 376 Seiten, 22,90 Euro

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