FUSSBALL-HISTORIE
Schwieriger Start: Fußball bei Olympia
Vor genau 108 Jahren fand in London das erste ernstzunehmende olympische Fußballturnier statt. Aber schon vor den Spielen 1908 wurde bei Olympia gegen den Ball getreten. Von Justus Meyer



Großbrittanien 1908
Olympiasieger 1908: Die Mannschaft
Großbritanniens gewann das Turnier in London



Anspringen verboten, Spielabbruch aus obskuren Gründen, Freistoß bei nervösem Verhalten – die Regeln des Association genannten Spiels muten heute seltsam an. Die Taktik nicht minder: Man pflegte mit fünf Stürmern, drei Mittelfeldmännern und zwei Verteidigern zu spielen. Association kam aus England und wurde immer beliebter. Lange bevor es 1930, bzw. 1960 die ersten Welt- und Europameisterschaften gab, tauchte der Vorläufer des Fußballs, wie wir ihn heute kennen, bereits im olympischen Programm auf.

Tauziehen, Hoch- und Weitsprung aus dem Stand, Matrosenschwimmen – lauter merkwürdige Sportarten wurden bei den ersten Olympischen Spielen ausgeführt und Fußball gehörte damals auch in diese Kategorie. Bei den ersten Spielen der Neuzeit 1896 in Athen war Association, zwar ursprünglich vorgesehen, wurde jedoch später in den Programmankündigungen nicht mehr erwähnt: Die eingeladenen Länder hatten kein Interesse an der Entsendung von Mannschaften signalisiert.

Im Deutschen Reich hatte sich Walter Bensemann, der Urvater der deutschen Nationalmannschaft, darum bemüht, ein Team für die Spiele aufzustellen. Bei einem Treffen mit den Kapitänen der Bundesklubs, Vertretern des Komitees zur Beteiligung an den Olympischen Spielen auf Einladung des Deutschen Fußball- und Cricket-Bundes wurde sogar eine Auswahl von Spielern getroffen, doch es kam zum Streit. Einer der berufenen Spieler selbst bemängelte mangelnde Sprachkenntnisse und das Fehlen repräsentativer Zivilkleidung. Es wurde allgemein in Frage gestellt, ob eine deutsche Mannschaft überhaupt ein würdiger Vertreter sein könnte. Schließlich scheiterte das Projekt einer deutschen Fußballmannschaft bei Olympia bereits ehe das Turnier abgesagt wurde.

Walter Bensemann
Fußballpionier: Der Karlsruher Walter Bensemann
auf einer wahrscheinlich 1896 gemachten Aufnahme


Vier Jahre später hielt sich das Interesse zwar wieder stark in Grenzen, aber immerhin fand in Paris so etwas wie ein olympisches Fußballturnier statt – mit gerade einmal drei Mannschaften. Eine deutsche Elf war nicht dabei, obwohl sich Bensemann erneut energisch für die Entsendung einer Mannschaft eingesetzt hatte. Der im Januar 1900 gegründete Deutsche Fußball-Bund (DFB) beschloss aufgrund fehlender Geldmittel und der zweifelhaften Spielstärke einer deutschen Mannschaft auf eine Teilnahme zu verzichten. Die drei Teams, die um die Medaillen spielten, waren eine belgische Studentenauswahl, der amtierende französische Meister Club Fran√ßais Paris und aus England der eher drittklassige Upton Park FC. Mit zwei Siegen – 4:0 gegen Belgien, 6:2 gegen Paris – unterstrich die englische Amateurmannschaft die Überlegenheit des britischen Fußballs.

Waren die Fußballspiele in Paris nur mit einigem Wohlwollen als internationales Turnier zu bezeichnen, geriet der Fußball 1904 in St. Louis noch mehr zur Farce. Wieder nahmen nur drei Teams teil, doch waren zwei davon Studentenmannschaften aus der Olympiastadt selbst und die dritte der kanadische Meister Galt FC. Die europäischen Fußballverbände hatten abgesagt – meist aus Geldmangel. Auch in Deutschland fehlte es an der finanziellen Unterstützung für die lange und teure Überseereise.

Das Turnier konnte der FC Galt für sich entscheiden. Die Kanadier gewannen 7:0 gegen das Christian Brothers’ College St. Louis und 4:0 gegen St. Rose of St. Louis. Im ersten Spiel um den zweiten Platz trennten sich die beiden Lokalteams 0:0, ein zweites Spiel endete ebenfalls torlos. Bis sich im dadurch nötig gewordenen Wiederholungsspiel das Christian Brothers’ College gegen St. Rose durchsetzte. Es ist allerdings heute nicht mehr zweifelsfrei festzustellen, ob das zweite 0:0 nicht doch ein Ligaspiel der Christian League gewesen ist, wie vom IOC behauptet wird.

1906 wurden erneut in Athen Olympische Spiele veranstaltet, doch das IOC betitelte diese Wettbewerbe im Nachhinein als Zwischenspiele. Auch hier trat mit den Dänen nur eine ausländische Mannschaft gegen drei griechische Teams an. Smyrna wurde 5:1 geschlagen (nach anderen Quellen endete das Spiel 5:2), Athen kassierte eine 0:9-Niederlage, und die Dänen hatten damit gewonnen, da Athen zuvor Saloniki besiegt hatte. Es kam in der Folge zu einem Streit, wie die weiteren Platzierungen ausgespielt werden sollten, dessen Resultat der Rückzug der Athener Mannschaft war. Smyrna erkämpfte sich im Anschluss mit einem 12:0 gegen Saloniki den zweiten Platz – nach anderen Quellen lautete das Ergebnis 3:0.

Zwei Jahre später jedoch, ziemlich genau vor 104 Jahren, fand zum ersten Mal ein echtes internationales Turnier mit mehreren Nationalmannschaften statt. Es wurde im K.-o.-System mit Trostrunde ausgetragen. Die Teilnahme einer deutsche Mannschaft in London scheiterte allerdings mal wieder am klammen Finanzbeutel des Reichsausschusses für die Beteiligung an den Olympischen Spielen. 2500 Reichsmark konnten nicht aufgebracht werden. Es nahmen schließlich Nationalmannschaften aus Ungarn, den Niederlanden, Dänemark, Böhmen, England, Schweden und zwei französische Auswahlteams teil.

Sieger des Turniers wurden die Engländer mit einem 2:0 Erfolg über Dänemark im Finale. Der große Stürmer Vivian Woodward von den Tottenham Hotspurs erzielte den entscheidenden Treffer. In der dänischen Mannschaft spielten unter anderem der Bruder des Physiknobelpreisträgers Niels Bohr und die berühmten drei Brüder Middelboe.


Olympia 1908
Olympia 1908 in London: Das Spiel um Platz drei gewann die Niederlande
mit 2:0 gegen Schweden. Tore: Gerard „Jops“ Reeman und Evardus „Edu“ Snetlage



Die Dänen hatten viel Lob für ihr Spiel erhalten, und langsam zeichnete sich ab, dass die uneingeschränkte Vorherrschaft des britischen Fußballs zu bröckeln begann. In jedem Fall ebnete der Erfolg dieses Turniers den Weg zu weiteren internationalen Meisterschaften des Fußballs – ganz ohne Matrosenschwimmen.

Literaturhinweis: Karl Lennartz: Die olympischen Fußballturniere, Band 1.

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