INTERVIEW
„Die paar Prozent an Leistungssteigerung aus den Spielern herauskitzeln“
Lange war Hansi Flick Assistent von Bundestrainer Jogi Löw. Nun wird er nach der EM sein Nachfolger. Ein RUND-Interview von Tobias Schächter.


Hansi Flick
Triplesieger mit dem FC Bayern: Hansi Flick
Foto Pixathlon



RUND: Herr Flick, Sie haben mit 19 Jahren ihren ersten Profivertrag beim FC Bayern unterschrieben. Wissen Sie noch, wer ihr Nachfolger im offensiven Mittelfeld des baden-württembergischen Oberligisten SV Sandhausen war?
Hansi Flick: Oh, natürlich. Das war Markus Löw.

RUND: Der Bruder des heutigen Bundestrainers Joachim Löw. Wie eng war denn da der Kontakt bis zu Ihrer Installierung als Assistent von Joachim Löw im August 2006?
Hansi Flick: Markus und ich, wir haben uns ein paarmal nach Spielen im Sandhäuser Sportheim getroffen. Der Jogi war da, glaube ich, auch einmal dabei. Aber dann gab es jahrelang keinen Kontakt mehr. Erst 2004, ich war noch Trainer der TSG Hoffenheim, traf ich Jogi Löw wieder. Er war mit Jürgen Klinsmann auf Einladung von Dietmar Hopp in Hoffenheim. Da haben wir uns das letzte Mal getroffen, bevor ich schließlich zwei Jahre später beim DFB landete.

RUND: Auf besagter Veranstaltung in Hoffenheim sagte Dietmar Hopp: „Dort steht der aktuelle Bundestrainer, hier der neue.“ Er meinte Sie und behielt damit Recht. Rausgeschmissen hat Herr Hopp Sie trotzdem.
Hansi Flick: Das stimmt.

RUND: Tut die Entlassung noch weh? Immerhin haben Sie bei der ehrgeizigen TSG Hoffenheim fünfeinhalb Jahre Aufbauarbeit geleistet.
Hansi Flick: Die Entlassung traf mich sehr hart damals, Ende November 2005 war das. Ich hatte bestimmt bis April, Mai 2006 daran zu knabbern und lehnte Angebote aus der Zweiten Liga und der Regionalliga ab. Ich musste abschalten, als Trainer und Mensch hatte ich sehr viel zu verkraften

RUND: Dietmar Hopp hat das Budget der TSG nochmals erhöht, im Kraichgau entsteht ein 30.000 Zuschauer fassendes Stadion. Sind Sie ein bisschen neidisch auf Ihren Nachfolger Ralf Rangnick?
Hansi Flick: Nein, überhaupt nicht. In dem Job ist es doch so: Der König ist tot, es lebe der König. Vielleicht hat alles ja so kommen müssen.

RUND: Sie stehen für eine offensive Spielphilosophie. Seltsamerweise gingen Sie vom Badischen nach Salzburg. Was haben Sie dort denn vom alten Maurermeister Giovanni Trapattoni gelernt?
Hansi Flick: Es stimmt schon: Trapattoni legt sehr viel Wert auf Defensivarbeit. Aber er ist einer der erfolgreichsten Trainer im Weltfußball.

RUND: Sie würden aber nie so spielen lassen wie er.
Hansi Flick: Nein, das nicht. Aber man kann ja von jedem Trainer bestimmte Dinge übernehmen. An Trapattoni ist faszinierend, wie detailbesessen er mit den Spielern arbeitet.

RUND: Trapattoni wird von seinen Spielern Mister genannt. Wie spricht der Trainer Hansi Flick seine Spieler an: Jungs oder Männer?
Hansi Flick: Jungs.

RUND: Udo Lattek hat bestimmt Männer gesagt, oder?
Hansi Flick: Das stimmt.

RUND: Was denken Sie heutzutage, wenn Sie Lattek sonntagmorgens im Fernsehen über Fußball sprechen hören?
Hansi Flick: Trainer zu vergleichen ergibt keinen Sinn. Jeder hat seine Vorzüge. Udo Lattek war mein erster Profitrainer, mein Förderer bei den Bayern. Er hat seinen Spielern immer das Gefühl gegeben, ein Stück größer zu sein, als sie tatsächlich waren.

RUND: Muss ein Trainer lügen, um Spielern das Gefühl von Stärke zu geben?

Hansi Flick: Wenn du als Trainer nicht von dem überzeugt bist, was du sagst, kannst du es den Spielern auch nicht vermitteln. Du darfst als Trainer dabei nicht übertreiben. Aber die Grenze immer weiter nach oben zu schieben, das kannst du schaffen. Du versuchst die Spieler deiner Idealvorstellung anzugleichen. Dafür setzt du Vorgaben und Ziele. Wenn, wie heutzutage, noch Mentaltrainer, Psychologen und Physiotherapeuten dazu kommen, heißt das: Man versucht eben alles, die paar Prozent an Leistungssteigerung, aus den Spielern herauszukitzeln.

RUND: Das Akademische hat das Okkulte im Fußball abgelöst?
Hansi Flick: Die Wissenschaft ist sicher stärker in den Vordergrund gerückt, gerade was das Medizinische angeht. Und auf dem Feld der Psychologie würde ich das, was Sie als okkult bezeichnen, in die Motivationspsychologie einstufen.

RUND: Lattek war ein Verfechter klarer Hierarchien. Die neue Trainergeneration scheint von außen betrachtet, flache zu bevorzugen. Stimmt das oder täuscht der Eindruck?
Hansi Flick: Wir in der Nationalmannschaft haben auch drei, vier Spieler, die das Team führen. Torsten Frings zum Beispiel, der sich bei der WM hervorgetan hat und jetzt weiter vorangeht. Auch Bernd Schneider, Jens Lehmann oder Michael Ballack sind mit ihrer Erfahrung sehr wichtig für eine Mannschaft. Das nutzen wir. Bei Lattek damals waren das Klaus Augenthaler, S√∏ren Lerby, Lothar Matthäus oder Norbert Eder, von denen die Jungen sehr viel lernen konnten.

RUND: Trapattoni oder Lattek gelten aber nicht gerade als Vorbilder ihrer Trainergeneration.
Hansi Flick: Noch einmal: Man kann sich bei jedem Trainer etwas heraussuchen für die Arbeit. Als ich noch Spieler war, kam bei den Bayern Jupp Heynckes der heutigen Zeit am nächsten.

RUND: Inwiefern?
Hansi Flick: Er hat schon sehr viel taktisch trainieren lassen und ist trotzdem auch individuell sehr stark auf jeden Spieler eingegangen. Er konnte einen Spieler lesen, das ist sehr wichtig für einen Trainer. Heynckes hat das perfekt beherrscht. Aber für mich war auch Ajax Amsterdam unter Louis van Gaal prägend. Von Ajax habe ich vieles aus Videos und Büchern aufgesaugt und verinnerlicht.

RUND: Was denn?
Hansi Flick: Als ich damals nach Hoffenheim gegangen bin, habe ich wie van Gaal bei Ajax die Viererkette eingeführt und den Spielern ein Handbuch gegeben, in dem zum Beispiel stand, wie man sich in der Kette und als Mannschaft zu verschieben hat.

RUND: Sie arbeiten sehr konzeptionell.
Hansi Flick: Ein Trainer hat sein Konzept und seine Philosophie als Grundpfeiler. Die Inhalte lassen sich aber immer wieder erneuern und erweitern. Ich bin jemand, der immer einen Schritt auf den anderen gemacht hat. Erst habe ich den B-Schein gemacht, dann trainiert; dann den A-Schein gemacht und dann wieder trainiert, bevor ich den Fußballlehrer gemacht habe.

RUND: Sie sind eben ein bodenständiger Mensch. Als 18-Jähriger haben Sie ein Angebot vom VfB Stuttgart ausgeschlagen. Warum? Weil ein Badener nicht zu den Schwaben geht?
Hansi Flick: Nein, ich wollte meine Banklehre beenden. Beim VfB hat man aber gesagt: Dann musst du bei den Amateuren spielen. Das wollte ich nicht. Ich wollte einfach eine Absicherung, ich habe ja nicht wissen können, wie lange ich Fußball spielen kann. Aber ehrlich gesagt: Es war immer mein Wunsch bei den Bayern zu spielen. Wären die damals gekommen, dann wäre ich wahrscheinlich gegangen und hätte meine Ausbildung nicht beendet, sondern wäre einfach meinem Herzen gefolgt.

RUND: Heute wohnen Sie wieder in Bammental bei Heidelberg.
Hansi Flick: Nach der harten Zeit mit der Sportinvalidität in Köln wollten wir einfach nach Hause. Es gab nie die Idee nach München oder woanders hin zu gehen. Hier wohnen auch die Großeltern unserer zwei Töchter.

RUND: War Ihnen damals schon klar, dass Sie Trainer werden wollten? Sie eröffneten ein Sportgeschäft und spielten Fußball beim SV Bammental.
Hansi Flick: Ja, eigentlich schon. Am Ende meiner Zeit in Köln war Morten Olsen Trainer. Schon damals habe ich alle Trainingseinheiten dokumentiert. Ich habe mir immer viele Gedanken gemacht und vieles hinterfragt.

RUND: Als Nationaltrainer stehen Sie ja nicht ständig auf dem Trainingsplatz. Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?
Hansi Flick: Im Moment beschäftigen wir uns sehr viel damit zu definieren, was für die Philosophie des deutschen Fußballs wichtig ist. Wir arbeiten an Datenbanken. Das ist eine umfassende Arbeit. Wir beobachten Champions-League- und Bundesligaspiele. Wir sind dabei, ein neues Konzept zu entwickeln. Das ist eine umfassende und sehr spannende Aufgabe.

RUND: Was verbirgt sich hinter den Begriffen Konzept und Philosophie genau?
Hansi Flick: Wir erarbeiten unsere Spielphilosophie, die ein 4-4-2-System trägt. Uns beschäftigen Fragen wie diese: Wie eröffnen wir unser Spiel? Wie reagieren wir taktisch auf Rückstände? Was sind unsere Positionsprofile? Darüber hinaus zurrt man bestimmte Trainingsinhalte fest, erstellt Testreihen, die Aufschluss über die Leistungsstärke der Spieler geben. Nicht nur im physischen Bereich. Der Heidelberger Psychologe Hans-Dieter Hermann hilft uns da sehr.

RUND: Was heißt, Sie erstellen Datenbanken?
Hansi Flick: Wir wollen einen bestimmten Fußball spielen, dafür brauchen wir bestimmte Spielertypen. Genauso ziehen wir das dann durch. Es ist wichtig, auch Daten von Spielern zu haben, die auf ihrer Position nur die Nummer drei oder vier sind. Ebenso sammeln wir die Daten der ganzen Nachwuchsspieler. Dieter Eilts hilft uns da sehr und auch alle anderen Nachwuchstrainer.

Das Interview ist in RUND #19_02_2007 erschienen.

Klicken Sie hier, um ein Interview mit Hansi Flick als Sportdirektor des DFB zu lesen

Hans-Dieter Flick begann seine Profikarriere als 19-Jähriger beim FC Bayern München. Sechs Jahre spielte Flick im defensiven Mittelfeld der Bayern und wurde viermal deutscher Meister. Danach spielte Flick noch drei Jahre beim 1.FC Köln, bevor er 1993 seine Karriere verletzungsbedingt beenden musste. Nach zuletzt fünfeinhalb Jahren als Trainer bei der TSG Hoffenheim wurde er im August 2006 Assistenztrainer der deutschen Fußballnationalmannschaft.

Zurück  |