SEXSYMBOL
Super-Dirk Pornostar
Die unglaublichsten Geschichten ereignen sich im britischen Fußball: Der deutsche Profi Dirk Lehmann wurde in London und Edinburgh unfreiwillig zum Pornodarsteller und von den Fans frenetisch gefeiert. Obwohl er heute in der Verbandsliga Mittelrhein kickt, wird er sein Image als Erotikstar nicht mehr los.


„Meine Frau war nicht so begeistert“: Dirk Lehmann
Foto Mareike Foecking


„Hey, Mister, diese Story müssen Sie sich unbedingt anhören.“ Der Taxifahrer in London fängt an, die beste Geschichte zu erzählen, die er auf Lager hat. Von dem deutschen Fußballer, der zu Hause in Germany nicht vermittelbar ist, weil er nebenbei zum Pornodarsteller aufgestiegen ist. Und der jetzt beim FC Fulham in London angeheuert hat. „Stellen Sie sich vor, ein Pornostar, der Fußball spielen kann.“ Der Taxifahrer gibt sich keine Mühe, seine Belustigung zu verbergen.

Dirk Lehmann zieht es vor zu schweigen, denn er ist der Pornostar, der gerade aus der Lausitz nach London transferiert wurde und gleich bei seinem Einstand zwei Tore für Fulham erzielte. Der zum „Man of the Match“ gewählt wurde und dem sein Mannschaftskollege Peter Beardsley eine Riesenflasche Champagner in die Arme gedrückt hatte. Beardsley, der 59 Länderspiele für England absolvierte, ihm, dem Nobody, den auch im deutschen Fußball die wenigsten kannten. „Das kam mir alles total komisch vor“, sagt Lehmann, „das war wie ein Sechser im Lotto, der dich aus deinem normalen Leben reißt.“

Lehmann ist mit 50.000 Euro Ablöse der billigste Einkauf, den der Drittligist Fulham 1998 in seinem Kaufrausch tätigt. Geld spielt keine Rolle, nachdem Multimillionär Mohamed al-Fayed, Besitzer des Nobelkaufhauses Harrods, den Klub gekauft hatte. Trainer Kevin Keegan sollte Fulham in die Premier League führen. Nach den Heimspielen kommt Klubeigentümer al-Fayed regelmäßig in die Kabine, um seinen Spielern edelste Schokolade in Form von Goldbarren zu überreichen – das süße Symbol dafür, dass Geld hier alles kaufen kann.

Lehmann versteht nicht alles, was um ihn herum passiert, in diesem Sommer 1998. Vor kurzem saß er bei Energie Cottbus noch auf der Tribüne, weil er es gewagt hatte, Trainer Ede Geyer unbequeme Fragen zu stellen. Davor hatte sich der Stürmer zwei Jahre beim 1. FC Köln und drei Jahre in Belgien versucht – ohne groß aufzufallen. In England feiern ihn nach wenigen Spielen 40.000 Fans mit angeklebten Schnauzbärten. Lehmann ist neben David Seaman der einzige im englischen Fußball, der es wagt, einen Schnauzer zu tragen. Am vergangenen Wochenende hatten sie ein Riesenbettlaken über die Fankurve gespannt, 40 Meter breit. „Super Dirk Pornostar“ war auf riesigen Lettern darauf zu lesen. Lehmann muss immer wieder hinschauen, um sich zu vergewissern, dass tatsächlich er damit gemeint ist.

Mit der Pornoindustrie hat Lehmann so viel zu schaffen wie ein Priesterseminar mit einem Swingerklub. Aber sein Aussehen, der dunkle Schnauzer, die blondierten und zum Pony gekämmten Haare und seine vielen goldenen Ohrringe, die er sich vor dem Spiel abklebt, erinnerte die Engländer an einen Pornostar, der als Dirk Diggler in dem Film „Boogie Nights“ berühmt wurde. „Der hatte Locken und ich nicht. Da kann man schon Unterschiede erkennen“, findet Lehmann, der sich aus Neugier einen Ausschnitt des Films angesehen hatte.

„Aber das hat sich schnell verselbstständigt“, erzählt Lehmann. „Die Leute haben wirklich geglaubt, dass ich ein Pornostar bin. Wenn jemand auf der Toilette neben mir stand, hat er geguckt, ob ich wirklich so einen großen, na ja, Sie wissen schon.“ Überall wird Lehmann nur noch Porno oder Diggler gerufen. „Meine Frau war nicht so begeistert. Vor allem, wenn unsere drei Kinder in der Nähe waren.“

Sein eigenwilliges Aussehen hatte Lehmann schon kultiviert, als er in seiner Heimatstadt Aachen für die Alemannia stürmte. Seine vielen Ohrringe hält er für „eine fast religiöse Sache, die haben mir immer Glück gebracht“, der Schnauzbart ist über viele Jahre ein unverzichtbarer Bestandteil seines Körpers. „Meine Kumpels haben immer gesagt, dass es nur drei Männer gibt, denen ein Schnauz steht: Schimanski, Wolfgang Petry und mir. Aber wenn ich heute die Fotos sehe, denke ich: Muss man ganz schnell vergessen, diese Zeit.“

Fulham schafft mit Lehmann auf Anhieb den Aufstieg in die zweite Liga, nach Ablauf seines Einjahresvertrags liegen ihm 28 Angebote aus England und Schottland vor. Lehmann entscheidet sich für Schottland und Hibernian Edinburgh. Bei den Fans kommt der unkomplizierte Stürmer gut an, „weil er sich voll reinhängt“.

Während dem unfreiwilligen Pornostar in London vor allem im Stadion gehuldigt wurde, kann Lehmann in Edinburgh kaum auf die Straße gehen. Die Kinder kleben sich die Ohrläppchen mit weißem Tapeband ab, bevor sie zur Schule gehen, das Trikot mit der Nummer 9 und der Aufschrift Porno ist der Verkaufsschlager. „Irgendwann habe ich mich damit abgefunden und erzählt, dass ich drei Pornofilme gedreht habe und noch zwei nach meiner Profikarriere drehen müsse.“ Auch eindeutige Angebote bleiben nicht aus. „Aber welche Frau“, rätselt Lehmann noch heute, „geht mit einem Pornodarsteller nach Hause?“

Lehmann zieht 2001 weiter zum FC Motherwell, von da aus nach Japan und 2004 nach Regensburg, der letzten Station seiner Karriere als kickender Erotikstar. Heute lebt er im belgischen Eupen, 15 Autominuten entfernt von Aachen. Lehmann kleidet sich gerne auffällig, Pullover in Pink, das Hemd im Rosaton. Um den Hals glitzert Schmuck. Er hat sich so hergerichtet, als ob Mohamed al-Fayed gleich um die Ecke biegen könnte, um seine süßen Goldbarren zu verteilen. Nach den verrückten Inseljahren ist es „manchmal schwierig, die Ansprüche herunterzuschrauben und ein normales Leben zu führen“.

Vor zweieinhalb Jahren hat Lehmann eine Lehre zum Industriekaufmann begonnen, die er im Januar 2007 abschließen will. Er ist 35, in der Berufsschule sitzt er zwischen 18-Jährigen. „Meine erste Note war eine vier, da habe ich mich ein bisschen geschämt.“ Inzwischen schreibt er gute Klausuren und wurde zum Klassensprecher gewählt.

Lehmann, der von Keegan, Eric Gerets, Terry Butcher und Morten Olsen trainiert wurde, stürmt jetzt in der Verbandsliga Mittelrhein bei Borussia Freialdenhoven. Manchmal zeigt er den Mitspielern Videos aus der Welt, in der ihm die Rolle des Pornostars zugefallen war.

Lehmanns Schnauzbart ist schon lange abrasiert, nach einer verlorenen Wette mit Chris Coleman, dem jetzigen Trainer des in der Premier League angekommenen FC Fulham. Aber eines wird er nicht mehr los, sein Image. „Einmal Pornostar, immer Pornostar.“ Zu Weihnachten werden wieder die alten Mitspieler anrufen und ins Telefon brüllen: „Hey Diggler, alles klar bei Dir?“

Rainer Schäfer

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