BORUSSIA DORTMUND
„Ich gehe wieder hin – wegen Kloppo“
Rückblick: Zum Rücktritt von Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund, so war es als der Trainer im Sommer 2008 begann. Von Elmar Neveling, Dortmund.

 

Jürgen Klopp
Schlimmre Angebote als Borussia Dortmund: Jürgen
Klopp traf zu Beginn seiner Amtszeit den richtigen Ton. Foto Stefan Schmid


Dienstag, 10 Uhr. Dortmund-Brackel. Kalle aus Bottrop tut das, was Trainingskiebitze am liebsten tun. Er sagt den eigenen Spielern was Sache ist: „Ker, Kuba, letztes Jahr haste auch schon sonne Grütze gespielt.“ Der polnische Nationalspieler Jakub Blaszczykowski, genannt Kuba, hat mal wieder einen Ball vertändelt. Ist es denn zuviel verlangt, wenn die Profis harte, ehrliche Arbeit abliefern? Halbherziges Schöngespiele wird im Ruhrgebiet nicht verziehen – da kann Kuba dem Rentner noch so sympathisch sein.

Doch abgesehen von Kalles Unmut herrscht am Trainingsgelände von Borussia Dortmund auffallend gute Laune, seitdem hier der neue Trainer Jürgen Klopp wirkt. „Es hätte weitaus schlimmere Angebote als das von Borussia Dortmund geben können“, nimmt er mit seinem typischen Grinsen allen neunmalklugen Bedenkenträgern den Wind aus den Segeln. Mit solchen Sprüchen hat der Medienprofi Spaß verbreitet, den sie beim BVB nach den mäandernden Monologen des zuletzt immer ratloseren Thomas Doll in den vergangenen Monaten schmerzlich vermisst hatten.

Als der BVB die Champion League gewann, gab es diesen herrlich ironischen Werbespot mit dem Zaungast beim Training. Der die Stars im Monolog mit den Kumpels fertigmacht, um ihnen nach dem Training auf die Schultern zu klopfen. Ins Dortmund des Jahres 2008 passt der Spot nicht mehr, denn die Stars sind fast alle weg. Der neue Werbeträger ist der Coach. Überlebensgroß mahnt der Neu-Dortmunder auf Plakaten an der Bundesstraße 1, die mitten durch die Stadt führt: „Lass’ Dir Deinen Stammplatz nicht wegnehmen!“ So sollen die Dauerkarteninhaber gehalten werden, die inzwischen entwöhnt sind von ansehnlichen Kombinationen, Tempodribblings und allem, was Fußball so schön macht. Die Jahre des Mittelmaßes und sportlicher Tristesse hinter sich haben. Und das Wochenende für Wochenende. Sie gehen noch immer hin, weil man das halt macht in Dortmund. Nicht den aktuellen Profis zuliebe, sondern wegen der bedingungslosen Liebe zum Verein.

Auf dem Trainingsplatz lebt der zupackende „Kloppo“ derweil ganz im Hier und Jetzt: Er müht sich, Chancentod Nelson Valdez das Toreschießen beizubringen und Transuse Giovanni Federico zum „Kampfschwein“ umzuschulen. In Brackel können es die Kiebitze tagein tagaus überprüfen: Klopp ist im Hauptberuf nicht Medienprofi, sondern ein Fußballlehrer, der seinen eigenen Kopf durchsetzen will. Im Training lässt er unermüdlich schnelles, direktes Kurzpassspiel üben, auf Neudeutsch: „One-touch-football.“ Er unterbricht die Abläufe immer wieder, lässt wiederholen, bis die Kombinationen seinen Vorstellungen entsprechen, bis sie automatisiert sind. Denn die „flache Vier“ im Mittelfeld, sie sitzt noch nicht. Den klassischen Spielmacher gibt es im BVB-System nicht, die beiden „Sechser“ Tinga und Sebastian Kehl sollen mit den Außen Kuba und Tamas Hajnal die Räume eng machen. „Einrücken, einrücken“, brüllt ein heiserer Trainer über den Trainingsplatz. Es bleibt noch viel zu tun. Klopp weiß das. Hoffentlich nicht nur er.

Seitdem der BVB im Supercupfinale den „Fehler“ beging, die Bayern zu schlagen, träumen sie in Dortmund wieder von höheren Zielen, die User „Ikpeba“ auf „transfermarkt.de“ wie folgt zusammenfasst: „Kloppo, bring’ uns die Freude am Fußball wieder!“ Drunter machen sie's nicht. Klopp weiß, dass schon alles passen muss, um auch "Ikpeba" zufriedenzustellen. In Dortmund hat er sich nur zur Miete niedergelassen. Sicher ist sicher. Er ist bemüht, die Ansprüche zu senken und lobte nach dem mühsamen Pokalsieg bei Drittligist Rot-Weiß-Essen: „Die Mannschaft hat das neue Gesicht angedeutet, von dem wir alle seit Wochen reden.“

Dortmund lockt in der Bundesliga immer noch die meisten Zuschauer an, 72.510 waren es in der abgelaufenen Saison im Schnitt. Noch immer hält sich die Mär von der grandiosen Stimmung im Signal Iduna Park. Dem Spektakel, das dort herrschte als der Park noch Westfalenstadion hieß. Doch mit den teuer erkauften Titeln der Ära Gerd Niebaum und Michael Meier stieg auch die Erwartungshaltung der Fans. Das Stadion wuchs zwar auf fast doppelte Größe an, die Anzahl echter Fans konnte nicht schritthalten. Der Heimvorteil kehrte sich um, inzwischen fürchten die eigenen Spieler den Unmut der gigantischen Südtribüne. Es kann verdammt laut sein, wenn 25.000 Anhänger plötzlich gemeinsam schweigen. Ganz anders bei Auswärtsspielen: Die Fans, die schon in den 80er Jahren zu ihrem Verein hielten, können selbst bei einem 0:5-Rückstand in München noch feiern.

Ähnliche Ziele wie der enthusiastische Neue haben in Dortmund schon viele Trainer formuliert, um dann von der Realität widerlegt zu werden. Vor-Vorgänger Jürgen Röber hielt bei seiner Präsentation eine flammende Rede über die Themenkopmplexe Leidenschaft und Einatzwillen. Nach nicht einmal drei Monaten wurde er nicht weniger leidenschaftlich wieder vom Hof gejagt. Vor einem Jahr war die Euphorie nach dem 4:0-Testspielsieg gegen den AS Rom riesengroß. Vergessen wurde, dass die Stars der Roma gerade erst aus dem Urlaub zurückkehrten und gedanklich noch am Strand lagen. Die folgende Auftaktpleite gegen den MSV Duisburg war der Beginn einer trostlosen Bundesliga-Saison, an deren Ende Thomas Doll den BVB verlassen musste.

Aber wie will Klopp dem BVB wieder Leben einhauchen, wenn das wochenlang eingeübte Kurzpassspiel doch noch nicht funktioniert? Mit „anderem Fußball.“ Dafür muss er seinen Schülern die Schläfrigkeit austreiben: „Rasenschach hat noch keine meiner Mannschaften gespielt“ betonte er gleich bei seiner Vorstellung im Mai. Klopp will seinem Team eine Philosophie vermitteln, „Wiedererkennungswert“ müssten die Spiele des BVB haben, fordert er. Man könnte jetzt witzeln, dass die Mannschaft mit ihrem mutlosen Gekicke doch leicht wieder zu erkennen war. Aber der Trainer hatte den Mut, die von Christian Wörns und Robert Kovac verkörperte alte Manndeckerschule in Rente zu schicken. Mit ihrer holprigen Spieleröffnung hatten sie jedes schnelle Spiel verhindert. Jetzt können es Mats Hummels und der Ex-Mainzer Neven Subotic besser machen. Beide sind 19 Jahre alt.

In Brackel registrieren sie diesen und jeden anderen noch so kleinen Hinweis, dass es mit der Borussia wieder aufwärts gehen könnte, mit Dankbarkeit. Kalle aus Bottrop jedenfalls sieht wieder optimischer in die Zukunft. „Eigentlich wollte ich meinen Enkel ins Stadion schicken, der hat vielleicht noch die Geduld für so ein Gegurke wie die letzten Jahre.“ Nun will er selber hingehen und den Stammplatz behalten. „Wegen Kloppo“, wie er sagt.

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