KULTSTADION
1,5 Millionen sahen Altona 93
Eine der ältesten Spielstätten Deutschlands wird 100: Ein neues Buch erzählt vom Mythos Adolf-Jäger-Kampfbahn, wo der Traditionsverein Altona 93 zwischen 1950 und 1968 seine großen Zeiten erlebte. Von Matthias Greulich

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Faszination Adolf-Jäger-Kampfbahn: Das Buchcover zeigt eine Szene
aus dem Jahr 1961. Altona 93 spielte gegen den HSV. In den anliegenden Wohnhäusern waren die VIP-Logen der Nachkriegszeit.


Wo einmal der Eingang war, liegt ein Komposthaufen. Wer nach oben schaut, sieht ein „N“ und ein „A“. Als hier noch keine Blumenbeete waren, haben die Anhänger von Altona 93 alle zwei Wochen an dem Kassenhäuschen Schlange gestanden. „Genau hier“, sagt Bernd Greulich, „bin ich als Zwölfjähriger zu den Heimspielen des AFC gegangen. In die Adolf-Jäger-Kampfbahn.“ Der Verein brauchte nicht nur zwei Kassenhäuschen wie heute: Zwischen 1950 und 1968 zählte Altona 93 mehr als 1,5 Millionen Zuschauer im Stadion an der Griegstraße.

Greulich zog 1953 nach Altona. Im Nachkriegsdeutschland war der Fußball einer der wenigen Freizeitbeschäftigungen. Bis zu 27.000 Anhänger gingen nach dem Sonntagsbraten zum Fußball nach Bahrenfeld – die meisten nutzen den Eingang an der Behringstraße, der geschlossen wurde und dann später immer mehr verfiel, als das Interesse an Altona 93 Ende der 1960er-Jahre nachließ.

Im norddeutschen Fußball war Altona 93 eine große Nummer. Bis zu Beginn der 60-er Jahre war der AFC mit Ausnahme von vier Spielzeiten – immer erstklassig. Erst 1968 stürzte der Verein die Drittklassigkeit ab, in Hamburg waren der HSV und der FC St. Pauli nun deutlich populärer. Zweimal erreichte Altona 93 das Halbfinale im DFB-Pokal, um beide Niederlagen ranken sich Legenden. 1955 verlor Altona mit 0:3 in Gelsenkirchen erst im Wiederholungsspiel gegen den späteren Pokalsieger Karlsruher SC. Es gab damals noch kein Elfmeterschießen, beide Vereine hatten zunächst auf neutralem Platz in Köln 3:3 nach Verlängerung gespielt.

Das andere Halbfinale fand neun Jahre später in der Adolf-Jäger-Kampfbahn statt. „Das beste Spiel, was ich dort gesehen habe“, erinnert sich Greulich an die Partie gegen 1860 München, die damals mit Stars wie Petar Radenkovic zu den besten Teams der Bundesliga gehörten. Altona führte bis zur 85. Minute mit 1:0, und wähnte sich schon im Finale. Über die Verkettung unglücklicher Umstände wurde in der „Meckerecke“ neben dem Klubhaus jahrzehntelang debattiert. Fest stand, dass der Münchner Berti Kraus zum Ausgleich traf und die Löwen in der Verlängerung mit 4:1 siegten. „Es war ein Ereignis Radenkovic mit seinen Ausflügen im Sechzehner zu sehen. Er hat außerdem auch glänzend gehalten. Gegen einen anderen Keeper hätte der AFC gewonnen."

Altona 93
Das letzte Mal: Nach dem 9:0 gegen Bergedorf 85 bedankensich die Spieler von Altona 93 bei der „Meckerecke“. Es war das letzte Punktspiel der ersten Mannschaft in der Adolf-Jäger-Kampfbahn Foto Bernd Greulich



Unter dem Pseudonym Norbert Carsten hat der Vereinshistoriker Jürgen Schrader in seinem Buch „Faszination Adolf-Jäger-Kampfbahn“ die spannende Geschichte einer der ältesten Sportstätten Deutschlands erzählt. Vor hundert Jahren pachtete der AFC eine Weide in der Nähe der Nähe der Bahrenfelder Brauerei. Feststehende Tore wurden gebaut und eine Holzbude mit Bodenbretter, die als Umkleidehäuschen diente. Adolf Jäger, der damals beste Fußballer Deutschlands, wirkte beim Eröffnungsspiel gegen den BC Lübeck (7:1) mit und gab im strömenden Regen die Vorlage zum ersten Tor. 1944 wurde das Stadion in seinem Beisein nach ihm benannt, einige Monate später starb das Idol durch die Explosion einer Zeitzünderbombe.

Schrader hat erstaunlich viele Dokumente und Fotos zusammengetragen, die das Kult-Stadion in besseren Zeiten zeigen. Über dem Projekt, das rund ein Jahr dauerte, lag aber auch eine gehörige Portion Wehmut, denn die erste Mannschaft, die Schrader dort 60 Jahre spielen sah, kickt jetzt beim SC Victoria an der Hoheluftchaussee. Die Adolf-Jäger-Kampfbahn genügt nicht mehr den Sicherheitsstandards für die neu gegründete Regionalliga. Vor einem Jahr haben die Vereinsmitglieder außerdem beschlossen, ihren Platz zu verkaufen, wenn ein Stadion im neuen Sportpark im Volkspark gebaut wird.

Die aktive Fanszene in Altona kommt im Buch leider viel zu kurz, obwohl sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit anhand der Standorte im Stadion gut verorten lässt. In der bereits erwähnten „Meckerecke“ stehen meist ältere Fans, von denen der ein oder andere auch Stammgast beim HSV ist. Hinter dem Tor an der Griegstraße erhebt sich der „Zeckenhügel“, wo es sich Punks aus der Bauwagenszene im Sommer beim Picknick gemütlich machten. Auf der langen Gegengeraden hat der „Black bloc“ seit mehr als 15 Jahren seine Heimat gefunden. Hier steht auch der ehemalige Hafenstraßenbewohner Doc Mabuse. Er ist wie einige andere vor der Vereinnahmung des FC St. Pauli durch den Mainstream hierher geflohen. Nach der populären Retteraktion für den Kiezklub war das Maß voll, sie skandierten „St. Pauli, McDonalds und die CDU“ , weil es die Rettershirts seinerzeit in der Fastfoodkette zu kaufen gab und Ole von Beust als Unterstützer ebenfalls Hemden verkaufte.
Matthias Greulich

Norbert Carsten: „Faszination Adolf-Jäger-Kampfbahn“, Werkstatt-Verlag, 128 Seiten, 19,80 Euro


Anzeigetafel
9:0 für Altona: Die von Fans selbst gebaute Anzeigetafel bei ihrem letzten Einsatz auf dem „Zeckenhügel“. Wie der AFC ist sie jetzt bei den Heimspielen im Stadion an der Hoheluftchaussee im Einsatz. Foto Bernd Greulich

Altona 93
Die letzte Welle: Am 25. Mai bedankten sich die Spieler von Altona 93 bei ihrem letzten Auftritt in der Adolf-Jäger-Kampfbahn bei ihren Fans. Links die Gegengerade mit dem „Black bloc“ Foto Bernd Greulich

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Eingangstor: Fast 100 Jahre gingen die Fans von Altona 93 in in ihr Stadion in Hamburg-Bahrenfeld

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AFC, Olé: Der Altonaer Fußball Club Borussia von 1893 ist einer der beliebtesten Klubs in Hamburg

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1958 eingeweiht, inzwischen verwaist: Die Haupttribüne der Adolf-Jäger-Kampfbahn

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