FÜR IMMER FAN
Der letzte Pfiff
Viele Anhänger wünschen sich die eigene Trauerfeier in Fußballatmosphäre. Der Friedhof des Hamburger SV hat international einige Vorgänger. Von Andreas Schulte

Schuhsarg
Letzte Ruhe im Schuh: Sarg für Fußballfans
Foto Tim Kubach

Der Mann im weiß-roten Ajax-Trikot kauert auf der Ersatzbank. Seit Minuten blickt er starr auf die gleiche Stelle des Rasens. In diesem Spiel gibt es nichts mehr zu holen. Kein Trainer, der ihn einwechseln würde, kein Schlusspfiff, der ihn aus seinen Gedanken reißen könnte. Er scheint, nicht wahrzunehmen, was vor ihm auf dem kleinen Stück Rasen geschieht, das einst zur Spielfläche des Stadions von Ajax Amsterdam gehörte, dem niederländischen Eredivisie-Klub. Fußball spielt dort niemand. Eine Frau in einem lila Kleid richtet leise einige Worte an die wenigen Anwesenden. Behutsam schwenkt sie eine schmucklose Urne. Die Asche ihres verstorbenen Mannes rieselt dabei heraus. Weinend signiert sie etwas auf dem Gras, bis der Behälter leer ist. Wie Henk nehmen einige andächtig auf der einstigen Auswechselbank Platz, andere stehen etwas abseits und blicken hinüber zum Fahnenmast, hinauf zur gehissten Ajax-Flagge. Kurze Zeit später ist die schlichte Zeremonie beendet – ohne Liturgie, ohne Leichenschmaus.

Als Ajax Amsterdam sein altes Stadion „De Meer“ aufgab, um in die neu gebaute Amsterdam Arena umzuziehen, war die Gelegenheit günstig. Der Friedhof Westgaarde sicherte sich ein paar Quadratmeter des alten Rasens, die Trainerbänke sowie den dazugehörigen Wetterschutz und legte das Ajax-Verstrooiveld von der viertel Größe eines Strafraums an. Ascheverstreuungen sind in den Niederlanden nichts Ungewöhnliches. Etwa 25 finden jedes Jahr allein auf dem Ajax-Verstreufeld statt. Nicht selten hört man auch Fangesänge, „meist sind einige der Teilnehmer in Fankluft gekleidet“, sagt Peter Swart, Friedhofs- und Krematoriumsmanager in Westgaarde, dem größten Begraafplaats Hollands. Hier gelangt jeder ins Jenseits, wie es seinem Wunsch entspricht – Araber nach moslemischem Ritus, christlichen Surinamern erteilt eine fröhliche Marching Band mit prustendem Sousaphon das letzte Geleit, und wer zeit Lebens an Ajax geglaubt hat, erhofft sich auf dem Verstrooiveld, seinen Seelenfrieden. 1996 wurde es eingerichtet. Nicht auf Bestreben des Vereins oder als Initiative der Fans – die Friedhofsmanager kamen auf die Idee, da sie bemerkt hatten, dass immer mehr Anhänger sich in Trikot und Fankutte und mit Vereinsschal und Fußball bestatten ließen. „Wir wollten den Supportern einen besonderen Service bieten“, sagt Swart. Sicher dürften auch kommerzielle Ziele eine Rolle gespielt haben. Anders als in Deutschland sind niederländische Friedhöfe privatrechtlich organisiert. Eine schlechte Bewirtschaftung reißt sie schnell in die Pleite wie einen Kiosk.

In letzter Zeit haben immer mehr Fans das Ajax-Feld genutzt. „Die Leute haben weniger Geld als früher“, erklärt Peter Swart die pragmatische Seite einer Ascheverstreuung. Die ist weit günstiger als ein Urnen- oder Sargbegräbnis, weil keine Kosten für die Grabpflege anfallen. Dem ideellen Wert des Feldes schadet das nicht: „Er hatte das so gewollt und ich bin froh, dass er auch heute noch in einer Umgebung weilt, in der er sich immer am wohlsten gefühlt hatte“, erzählt Hanni aus Amsterdam, die hier vor sieben Jahren die Asche ihres Mannes ausstreute. Heute erinnert hier nichts an ihn. Meist bleiben Verstreuungen anonym. Oder es ziert eine bescheidene Kachel mit dem Namen des Verstorbenen die grüne Umrandung des Rasens. „Der Einzelne bringt sich auf diese Weise auch postmortal in seinen Fußballklub ein“, sagt Dr. Markwart Herzog, Autor des Essays „Trauer- und Bestattungsrituale der Fußballvereinskultur“, „aber nicht nur symbolisch, sondern auch physisch, vermittelt durch die Überreste, die nach der Kremation verbleiben.“ Kaum verwunderlich, dass Verstreuungen und Beisetzungen im Stadion, am unmittelbaren Ort des Klubgeschehens noch beliebter sind als ein separates Verstreufeld. „Es ist mein Traum, in der Amsterdam Arena verstreut zu werden“, sagt der junge Ajax-Fan Kevin. Dort ist das noch nicht erlaubt, wohl aber in Rotterdam und vor allem in Großbritannien. Verstreuungen in englischen Fußballstadien gibt es bereits seit Anfang der 60er Jahre. Der FC Arsenal bekommt im Jahr über hundert Anfragen, und in den beiden großen Liverpooler Arenen ist schon lange kein Platz mehr für Urnengräber. Rings um das Spielfeld hat sich ihr Kreis in 30 cm Tiefe geschlossen. Der FC Everton zum Beispiel hat eigens den Dienstag als Bestattungstag für Fans festgelegt. Und auch Verstreuungen haben in den manchen Stadien der Premier League Überhand genommen und können von einigen Klubs daher nicht mehr angeboten werden. Bei den protestantischen Glasgow Rangers lösen die Fans das Problem auf ihre Art. „Sie brauchen bloß einige Zeit auf der Straße das Stadiondenkmal zu beobachten“, weiß Ross Macaskill, Stadion-Manager im Ibrox Park, „da kommt immer irgendjemand vorbei, der dort Asche verstreut.“ Und George Head, ein Universitätsangestellter aus East Kilbride, war dabei, als die Überreste seines Freundes George im Torraum des Firhill Parks, der Heimstatt des schottischen Zweitligisten Partick Thistle, ausgestreut wurden. „Wenn sich im Fünfmeterraum turbulente Szenen abspielen, witzeln wir auf der Tribüne, dass George seine Finger im Spiel hat“, so Head.

Allmählich lockert sich auch in Deutschland der Umgang mit dem Tod, auch unter den Fußballanhängern. Immer mehr Fans möchten ihrem Verein bis über den Tod hinaus die Treue halten. Noch sind Verstreuungen im Stadion undenkbar, da hierzulande nach wie vor das herrscht, was im Fachjargon „Friedhofszwang“ genannt wird. Beim FC Schalke 04 – angeblich ja kein Fußballklub, sondern eine Religion – zählte man in den letzten neun Jahren daher lediglich zwei Anfragen nach Stadionbeisetzungen – nur mit einer Sondergenehmigung vom Ordnungsamt könnte der Verein den Bitten nachkommen. Auch den Wunsch nach einem Trauergottesdienst in der Kapelle der Veltins-Arena hat noch niemand geäußert. Aber dank einiger privater Initiativen ändern sich die Bestattungsriten. Ein Dortmunder Beerdigungsinstitut bietet nicht nur Särge im Schalker Königsblau und im Schwarz-Gelb von Borussia Dortmund an. Es dekoriert auch die Trauerhalle mit Blumenschmuck in den Vereinsfarben. Wandbehang mit Stadion-Porträt inklusive. Der Unternehmer Rainer Dallmann aus Berlin hat in einem Jahr immerhin sieben seiner Urnen im Design von Union Berlin zum Stückpreis von 395 Euro verkauft. Vier haben ihren Weg unter die Erde bereits gefunden, „mit Musik, Fahnenträgern und allem was so dazu gehört“, beschreibt er. Vor einem Jahr begann Dallmann, Union-Begräbnisse zu organisieren. Seit er in der Vereinszeitung inseriert, melden sich regelmäßig Interessenten. „Manche wollen ihre Asche vom Hubschrauber aus überm Stadion ausstreuen lassen. Andere stellen sich die Urne bis zum Tag X ins Regal und wollen darin unterm Anstoßkreis begraben werden. Aber die Genehmigung bekommen Sie nicht“, weiß er.

Doch die Bestimmungen lockern sich. Gemeinschaftsgräber, so genannte Friedwälder, wo Urnen am Fuße eines Baumes bestattet werden, und Themenbestattungen, die persönlich gestaltet werden, boomen. Urnen in Vereinsfarben oder ein Sarg als Fußballschuh empören mittlerweile nur noch wenige. „Wir stehen allen Formen der individuellen Bestattung offen gegenüber“, sagt Dr. Rolf Lichtner, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Bestatter. Für „ethisch bedenklich“ hält er allerdings eine Ascheverstreuung im Stadion: „Ich glaube nicht, dass man es jedem Fußballer zumuten kann, sein Spiel auf der Asche Verstorbener auszutragen.“ Wenngleich als Dünger hervorragend geeignet, hätten wohl nicht wenige Vereine – wie bereits in England – Angst um die Gesundheit ihrer Profis, da diese sich an Krematoriumsrückständen wie Knochenteilen oder Zahngold verletzen könnten. Ein Verstreufeld für Fans nach dem Vorbild Westgaarde dagegen ist nach einigen Landesbestattungsgesetzen bereits heute möglich. Auf absehbare Zeit wird es die hiesige Friedhofskultur bereichern. Denn gegenüber der Beisetzung im Stadion besitzt es einen entscheidenden Vorteil: Das wird häufig nach dreißig Jahren wieder abgerissen. Statt Tribünen in Vereinsfarben erwächst dem Grund von Asche und Urne dann womöglich das Blau-Weiß eines Aldi-Markts.


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Der Text ist in RUND #3_10_2005 erschienen.

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