BUCH
Joe mit dem Rücken zur Wand
Ein Vereinsbuch nicht nur für Hardcore-Fans: Die Vereinsgeschichte „Grün-weißes Wunderland“ erzählt, wie sich Werder in den vergangenen Jahren durch Offensivfußball zu einem der beliebtesten Klubs in Deutschland entwickelte.

Johan Micoud
Der Chef an der Weser: Johan Micoud spielte von 2002 bis 2006 beim SV Werder
Foto Axl Jansen und Nicole Hardt


Es war ein schwerer Gesetzesverstoß. Wer mit Johan Micoud reden wollte, musste das an seinem Lieblingstisch tun. „So ist das nun mal“, sagte der Wirt des Restaurants, wo der eigenwillige Star von Werder Bremen so gerne Nudeln aß. Mit dem Rücken zur Wand, die anderen Gäste ständig im Blick.

Die Chefrolle füllte der Franzose nicht nur bei seinem Lieblingsitaliener offensiv aus, er wurde auch rasch auf dem Rasen zur Spiel bestimmenden Figur. Mit der Ankunft von Micoud im Jahre 2002 fand Werder endgültig zurück in die Erfolgsspur, die zum Gewinn des Doubles 2004 und zur andauernden Qualifikation für die Champions League führte.

Die Autoren Sven Bremer und Olaf Dorow haben den Klub in dieser Phase des Erfolgs bis heute intensiv begleitet. In „Grün-weißes Wunderland“ haben sie die jüngere Historie so gut lesbar aufgeschrieben, dass ihr Buch nicht nur für Hardcore-Fans der Bremer interessant ist. Auch wenn es momentan nicht so gut läuft: Kein Klub in Deutschland hat sich mit seinem Offensivfußball in den vergangenen sechs Jahren so viele Sympathien erspielt wie Werder. Bremer/Dorow beschreiben, wie es zu dieser so spektakulären Erfolgsgeschichte im ruhigen Bremen („Dorf mit Straßenbahn“) kommen konnte.

Es geht im Buch aber nicht nur um die jüngere Werder-Geschichte unter Trainer Thomas Schaaf. Rudi Völler, Willi Lemke, Klaus Allofs oder Marco Bode erzählen, wie Otto Rehhagel zwischen 1981 und 1995 wirkte. Der aus Frankfurt an die Weser gewechselte Rigobert Gruber erinnert sich an das Foul von Norbert Siegmann an Ewald Lienen. „Zuerst war die Wunde gar nicht so groß“. Sieben Jahre später versuchte Thomas Wolter beim Auswärtsspiel in Ost-Berlin den Spionen der Stasi zu entwischen. „Es war wie im schlechten Krimi“, schreibt Wolter. Werder unterlag 0:3 beim BFC Dynamo, im Rückspiel siegten sie 5:0, auch weil Willi Lemke die Staatsamateure mit West-Jeans und Elektrogeräten vor dem Hotel nervös gemacht hatte. Anekdoten, wie sie sich in den Lokalen am Weserlauf gerne erzählt werden, und die jüngere Fans in diesem Buch fortan bequem nachlesen können. Ebenfalls lesenswert – und weitgehend unbekannter - ist die Geschichte der Gründerzeit der Grün-Weißen. Sie wird vom Werder-Historiker Harald Klingebiel fundiert und mit Liebe zum Detail erzählt.

Ein bewährter Service der Vereinsbücher aus dem Werkstatt-Verlag ist das Spielerlexikon, das die Fragen nach dem „Was macht eigentlich?“ zuverlässig beantwortet. Rigobert Gruber der einst schnell wieder weg wollte ist übrigens in Bremen geblieben. Seine Herren-Boutique „Rigo’s Nouveau“ betreibt er inzwischen nicht mehr, heute handelt er mit Sport-Ausrüstung und organisiert Benefiz-Golfturniere. Die von Bremer und Dorow beschriebene „Werder-Familie“ sollte vor dem Weihnachtsfest ein Buch nach Frankreich schicken. Denn obwohl Johan Micoud nie öffentlich Deutsch sprach, konnte er die Sprache „gut verstehen und leidlich sprechen“, wissen die Autoren.

Sven Bremer und Olaf Dorow, Grün-weißes Wunderland. Die Geschichte von Werder Bremen, Verlag Die Werkstatt, 416 Seiten, 24,90 Euro

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