PORTRÄT
Shrek mag Norddeutsche
Maarten Cornelius Jol, in England und Deutschland „Martin“ genannt, hat als Trainer beim Hamburger SV in seinem ersten halben Jahr viel bewirkt. Wie ist der Jol so? Ein Porträt von Roger Repplinger

Martin Jol
Kann mit Menschen gut umgehen: Martin Jol Foto Hoch Zwei



Endlich sind bei der Weihnachtsfeier des „Hamburger Weg“ in der Bushalle der HSH-Nordbank-Arena die Reden gehalten. Die Kinder, diejenigen, die beschenkt werden, und diejenigen, die schenken, haben die Chance, Autogramm zu holen. Alle Spieler sind da. Martin Jol hat schon ein paar dutzend Karten auf Vorrat unterschrieben. Er weiß, wie das läuft.

Es wuselt dann ziemlich um ihn herum. Kleine Kinder, denen vor Bewunderung der Mund offen steht, etwas ältere, die sich aber auch nicht trauen, den grimmig und wuschelig zugleich drein schauenden. Jol anzusprechen. Es ist laut und es riecht nach mancherlei. Und es ist nicht gemütlich. Jedenfalls nicht für Erwachsene, aber auf die kommt es auch nicht an.

Jol richtet sich in solchen Situationen ein wenig auf. Nimmt den Kopf in den Nacken, und streckt das Kinn vor. Ein, zwei Zentimeter.

Willy Brandt machte das auch, wenn ihm was nicht passte. Kinn nach vorne.

Maarten Cornelius Jol, in England und Deutschland „Martin“ genannt, wurde am 16. Januar 1956 in Den Haag geboren. Er ist nicht lange in Den Haag geblieben. Damals hieß der Club, der heute ADO heißt, noch FC Den Haag. Jol gewann 1975 den niederländischen Pokal und ging 1978 zum FC Bayern München, der unter Trainer Gyula Lorant gerade eine schwächere Phase erlebte. Mittelfeldspieler Jol machte ein Pokal- und neun Bundesliga-Spiele, davon drei komplett, darunter eine 1:7-Niederlage gegen Fortuna Düsseldorf: je zwei Tore von Klaus Allofs, Wolfgang Seel und Emanuel Günther, eines von Gerd Zimmermann; für die Bayern traf Klaus Augenthaler. „Bei den Bayern konnte ich mich gegen Jupp Kapellmann und Kurt Niedermayer nicht durchsetzen“, sagt Jol heute.

Er ging zu Twente Enschede, 1982 zu West Bromwich Albion, Coventry City und zurück nach Den Haag.

Jol wurde Trainer und fing 1991 wieder bei ADO an. 1995 ging er, nach einem Jahr bei den Amateuren von Scheveningen, zu Roda JC Kerkrade, in die höchste niederländische Liga. Größter Erfolg mit Kerkrade war der Gewinn des niederländischen Pokals im Jahre 1997, der erste Titelgewinn für Roda nach 30 Jahren. Von 1998 bis 2004 war Jol Trainer des RKC Waalwijk. Er führte den Verein von den Abstiegszone nach oben und trainierte Khalid Boulahrouz, der 2004 von Waalwijk zum HSV wechselte, während Jol von Frank Arnesen, damals Sportdirektor der Tottenham Hotspurs, als Co-Trainer unter Vertrag genommen wurde. Die Spurs waren ein Club mit enormer Vergangenheit und kleiner Gegenwart. Der letzte Titelgewinn lag zehn Jahre zurück.

Als Cheftrainer Jacques Santini die Spurs nach 17 Spielen verließ, rückte Jol als Interimstrainer auf, später wurde er Chef. Mit Tottenham ging’s aufwärts: 2004 wurden die Spurs 14, 2005 Neunter, 2006 Fünfter. Als der Start der Saison 07/08 mit einem Sieg aus zehn Spielen misslang, obwohl Geld ins Team investiert worden war, trat Jol im Oktober 2007 zurück. Sein Nachfolger wurde Clive Allen, Spross alten tottenhamschen Fußballadels, der sich nicht lange hielt.

Jol mag den englischen Fußball und den Rest der Insel. Ihn stört, dass es in der Bundesliga eine Haltung gibt, als habe seine Karriere mit der Bundesliga begonnen, und außerhalb derselben spiele man Stoffbällen. Historisch gesehen war es umgekehrt.

Jol spricht ein englisch gefärbtes Deutsch mit niederländischem Akzent. Ans Ende seiner Sätze hängt er oft ein Schwänzchen: „Ist das nicht so?“, „sagt man so?“ Oder auch nur ein „vielleicht?“.

Mit diesem „vielleicht?“ hat es eventuell eine besondere Bewandtnis. Es nimmt die Härte aus dem Fußballgeschäft, auch weil Jol sich und seine Zuhörer an diese Härte nicht in jedem Satz erinnert wissen will. Wenn er „vielleicht“ oder „das kann auch möglich sein“ sagt, dann handelt es sich stets um etwas, von dem er felsenfest überzeugt ist. Als er der Öffentlichkeit klar machen wollte, dass der Fußballspieler Jonathan Pitroipa, großes Talent, geringes Körpergewicht, wenig Tordrang, das Verhältnis zwischen diesen drei Komponenten ändern muss, um sich beim HSV durchzusetzen, sagte Jol: „Vielleicht muss Jonathan manchmal etwas konkreter werden.“ Er, Jol, wird da in der Öffentlichkeit nie konkreter.
Und wenn er über den neuen brasilianischen Mittelfeldspieler Thiago Neves sagt, dass der „vielleicht noch etwas Zeit braucht“, dann klingt das nach einem zeitlosen Problem.

Jol fasst andere Menschen gerne an. Er hat keine Angst vor Ihnen. Nur wenn sie in Massen auftreten und ihn bedrängen, schiebt er den Unterkiefer nach vorne. Solange die Zahl überschaubar ist, legt er einem Gesprächspartner gerne die Hand auf die Schulter, oder er tippt ihn mit dem Finger an. Seinen Spielern legt er, bevor er sie auf den Platz schickt, den Arm um die Schulter. Auch wenn er ihnen auf dem Trainingsplatz etwas erklärt.

Jol ist witzig und schlagfertig, er kann gut Grenzen markieren. Er tut das erst mal mit Humor, wenn das nicht reicht, dann noch mal mit Humor. Dann schiebt er den Unterkiefer nach vorne. Wenn es ihm schlecht geht, bekommt er dicke Tränensäcke unter den Augen.

Er hatte das in der Halbserie ein Mal. Aber er hat eine fünfjährige Tochter. Kann sein, dass auch die ihn mal stresst.

Tochter Marit, fünf Jahre alt, wollte ein weißes Haus. Nun wohnt sie einem Rotklinkerbau in Othmarschen. Jol hat auch ein Haus in London, eins in den Niederlanden und eines in Spanien. Er sagt, auf dieses Thema angesprochen, man habe ihm Seitens der Familie geraten „mein Geld in Steinen anzulegen“. Bei Martin wohnt Bruder Cornelis (55) unterm Dach. Nach dem Spiel gegen Leverkusen war die ganze Familie da: Vier Brüder, zwei Schwestern.

Jol weiß, wie er die Menschen nehmen muss. Er kennt die Norddeutschen. Die eine Schwester hat nach Brake bei Bremerhaven geheiratet. Der HSV hat Jol dann auch gleich zum HSV-Fanclub in die „Brasserie“ nach Brake geschickt. Jol, der als Kind oft dort war, hat vieles wieder erkannt.
Sollte der HSV nach Rafael van der Vaart auch Ivica Olic und Thimothée Atouba verlieren, wird Jol das Kinn vorschieben. Hätte er gewusst, dass van der Vaart nicht bleibt, wäre er vielleicht gar nicht gekommen. Der HSV beginnt, sich auf schlechtere ökonomische Bedingungen einzustellen. Jol kann das nicht gefallen, er wird wissen, wenn seine Ansprüche nicht mehr zu denen des Clubs passen. In der Premier League fällt sein Name immer dann, wenn ein Trainer, aktuell Mark Hughes von Manchester City, wackelt.

Die Kinder bei der Weihnachtsfeier des Hamburger Wegs haben auch deshalb ein wenig gezögert, mit Jol in Kontakt zu treten, weil da diese verblüffende Ähnlichkeit ist. Mit Shrek, dem Oger.

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