INTERVIEW
„Happel hat oft antizyklisch gehandelt und alle überrascht“
Der Hamburger SV ist zu Gast im Ernst-Happel-Stadion in Wien: Thomas von Heesen, einer der Lieblingsspieler des legendären HSV-Trainers, erinnert sich. Interview Matthias Greulich und Rainer Schäfer


Thomas von Heesen
"Ich war sein Ziehsohn: Thomas von Heesen schwärmt von Ernst Happel. Von Heesen. Foto Gianni Occhipinti



RUND: Herr von Heesen, wie sind die HSV-Trainer Branko Zebec und Ernst Happel mit Ihnen umgegangen?

Thomas von Heesen: Viel geredet hat Zebec mit mir nicht. Ich war noch keine 18 und habe mich an Horst Hrubesch, Felix Magath und Manfred Kaltz gehalten. Das waren die absoluten Stars. Ich habe mich völlig untergeordnet. Branko Zebec hatte den Anspruch, dass ich jeden Tag Augen und Ohren offen halte, um alles mitzukriegen, was passierte.

RUND: Mussten Sie bei Ernst Happel auch ohne direkte Kommunikation lernen?
Thomas von Heesen: Nein, er war mein Ziehvater. Ich kam von der Bundeswehr, Happel kannte mich überhaupt nicht und sagte: „Mach mal mit hier.“ Ich habe dann gleich 20 Einsätze in Folge gehabt. Er hat eine spezielle Beziehung zu mir aufgebaut. Wenn mir der Ball im Training vom Fuß sprang, hat er abgepfiffen und mich laut kritisiert.

RUND: Haben Sie ihn manchmal gehasst?
Thomas von Heesen: Nein, nie. Happel hat oft antizyklisch gehandelt und alle überrascht. Er hat mich mit 25 zum Kapitän gemacht, als noch Kaltz und Ditmar Jakobs in der Mannschaft waren. Er meinte, dass sei eine Persönlichkeitsentwicklung, die wichtig ist, um eine Mannschaft zu führen, die international ambitioniert ist.

RUND: Franz Beckenbauer hat sich vor seinem Amtsantritt als DFB-Teamchef Übungen von Ernst Happel zeigen lassen, die „alle gut gewesen“ seien. Haben Sie auch Übungen des Großmeisters in Ihr Repertoire übernommen?
Thomas von Heesen: Ernst Happel hat relativ hart trainieren lassen. Zebec sowieso. Bei ihm gab es keine Einheit, die kürzer als zweieinhalb Stunden war. Das war brutal. Im Sommer bei 30 Grad mit Regenjacke und im Trainingsanzug. Happel hatte mit Ristic einen super Cotrainer, der das Praktische gemacht hat. Er hat oft nur auf dem Ball gesessen und sich das Spiel angeschaut. Er hat nur beobachtet und letztendlich analysiert, wie er wohl die Mannschaft am besten zusammenstellt. Die Mannschaft von 1982/83 hat er dahin gebracht, dass sie fast von selbst spielen konnte. Happel konnte sich zurücklehnen und sagen: „Jungs, ihr wisst, was ihr spielen könnt, spielt’s.“

RUND: Sie schwärmen ja richtig von Ihrem Ziehvater.
Thomas von Heesen: Ich mag die holländische Fußballschule, Trainer wie Johan Cruyff, Gus Hiddink und natürlich Ernst Happel, der mich fasziniert hat. Er war auch Trainer der holländischen Nationalmannschaft. Er hat schon beim HSV mit Raute im Mittelfeld gespielt und zwei Stürmern, Bastrup und Hrubesch. Mit einem zentralen Stürmer und einem, der sich um den herum bewegt. Wir spielen es ähnlich, mit Isaac Boakye und Zuma. Mich wundert es, dass niemand bemerkt hat, dass Happel schon vor 20 Jahren so spielen ließ. Wenn ich heute Barcelona sehe, ist es genau das, was er geliebt hat. Auf Ballbesitz zu spielen, damit der Gegner keine Chance hat an den Ball zu kommen, und dann im richtigen Moment in die Spitze zu gehen, um zum Erfolg zu kommen. In Barcelona würde ich gerne hospitieren. Dafür würde ich auch meinen Urlaub opfern.

RUND: Menschen aus Ostwestfalen-Lippe wie Sie gelten als eigensinnig und konsequent.
Thomas von Heesen: Ich sehe mich eher als Hanseat. Ich bin mit 17 Jahren nach Hamburg gezogen und habe ein Drittel meines Lebens unter hanseatischem Einfluss gelebt. Hanseatisch heißt für mich mittelfristig und zielorientiert zu denken und nicht gleich am eingeschlagenen Weg zu zweifeln und die Nerven zu verlieren. Dass man hoch motiviert an seinen Zielen arbeitet und trotzdem nicht zu viel erzählt.

RUND: Ihnen wird nachgesagt, dass Sie es verstehen, Ihren Kopf durchzusetzen.
Thomas von Heesen: Darum geht es nicht. Ich habe eine klare Vorstellung davon, wie Erfolg machbar ist. Kompromisse sind meistens das, was zwei Seiten nicht wollen. Wenn man von einem Weg überzeugt ist, braucht man Glaubens- und Leidensgenossen, die derselben Ansicht sind. Ich bin kein Einzelgänger, sondern absolut für Teambuilding. Die Mannschaft kann nur über eine gemeinsame Idee Erfolg haben. Wer sich rechts und links davon bewegt, wer glaubt, er müsse es auf Kosten der Mannschaft anders versuchen, der ist von heute auf morgen raus. Gnadenlos. Da kommt dann der Ernst Happel in mir durch: Er hat immer gesagt, wenn ein fauler Apfel im Korb liegt, musst du ihn sofort rausschmeißen. Sonst steckt er alle anderen an. Er meinte das eigentlich nur im übertragenen Sinne. Wenn jemand dabei ist, der die Idee nicht lebt, wird er sich immer kritisch gegen diese Idee äußern. Er wird dem einen oder anderen Mitspieler sagen, dass er nicht glaubt, dass das funktioniert. Und er fängt vielleicht auch an zu grübeln. Das überträgt sich dann im negativen Sinne.

RUND: Ernst Happel ist seit 16 Jahren tot. Gelten diese Weisheiten denn noch immer?
Thomas von Heesen: Ich orientiere mich auch außerhalb des Fußballs, um einer gewissen Betriebsblindheit vorzubeugen. Ich möchte nicht diesen Tunnelblick bekommen. Ich lasse mich gerne von Menschen korrigieren, die mehr Erfahrung haben als ich und auch eine gewisse Weisheit, in allen Lebensbereichen. Ich gewinne dann Abstand, um den Weitblick zu behalten.


RUND: Womit beschäftigen Sie sich privat?
Thomas von Heesen: Mit Fußball. Dann schaue ich mir Videos aus dem Ausland an und beschäftige mich mit Trainingsmethodik: Wie kann man sich als Team weiterentwickeln, wie kann man Passwege noch verfeinern? Daran habe ich richtig Spaß, weil es strategisches Denken erfordert. Ich bin zwar kein Schachspieler, aber ich liebe Strategie im Fußball.

RUND: Haben Sie denn noch Zeit für Ihre 15.000 Schallplatten und CDs?
Thomas von Heesen: Ich war schon solange nicht mehr im Keller, ich habe keine Zeit dazu. Ich muss schmunzeln, wenn ich CDs finde, die noch komplett verpackt und doch schon drei, vier Jahre alt sind. Dann denke ich: Irgendwann werde ich auch die einmal hören.

RUND: Sind das Sachen aus den 70ern?
Thomas von Heesen: Früher habe ich sehr gerne Black Music gehört. R & B, auch Rockmusik wie Tom Petty.

RUND: Haben Sie auch Vinyl?
Thomas von Heesen: Das ist lange vorbei. Ist ja auch mächtig teuer geworden. Früher hat eine LP, die heute 17 Euro kostet, 11,95 Mark gekostet.

RUND: Eine Frage noch, die uns schon lange beschäftigt: Als Spieler hatten Sie so einen Wuschelkopf. War der echt oder ein Minipli?
Thomas von Heesen: Nein, bitte, ehrlich. Diese Frage kann nicht ernst gemeint sein. Es gab viele Spieler, die damals die Haare ähnlich trugen. Glauben Sie mir eines: Im Laufe der Jahre werden die Haare glatter.

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Das Interview ist in RUND #6_01_2006 erschienen.

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