Interview
Wer hat’s erfunden?
Richard McBrearty ist Leiter des Scottish Football Museum und steht auf dem Standpunkt, dass die Schotten den Sport erst populär gemacht haben. Interview Broder-Jürgen Trede

Richard McBrearty

"In Schottland von Anfang an ein Spiel der Arbeiterklasse": Richard McBrearty forscht über den Ursprung des Fußballs Foto Stefan Schmid


RUND: Mister McBrearty, kürzlich haben Sie für mächtig Aufsehen gesorgt: Sie haben Druck auf eine englische Kaufhauskette gemacht, die auf ihren T-Shirts England als Erfinder des Fußballs ausgibt. Die Hemden werden inzwischen auch mit einer schottischen Variante gedruckt. Sie müssen gute Argumente haben.

Richard McBrearty: Na klar. Die Engländer haben 1863 zwar die ersten Fußballregeln publiziert, wir Schotten aber haben das Spiel weltweit populär gemacht.

RUND: Wie das?
Richard McBrearty: Fußball spielten zunächst nur wenige privilegierte Jugendliche in den englischen Public Schools. Hier wurde die aristokratische Elite der Gesellschaft erzogen – Diplomaten, Generäle, Bischöfe, kurz Leader-Typen. Wer den Ball abspielte, gab Verantwortung ab. Ein Zeichen von Schwäche. Entsprechend individualistisch war der Stil. Mit dem Kopf durch die Wand nach vorne dribbeln und sich festrennen. Ein obskures, erbärmliches Spiel, nicht sehr schön anzusehen.

RUND: Die Schotten interpretierten den Fußball anders?
Richard McBrearty: Bei uns war er von Anfang an ein Spiel der Arbeiterklasse, wurde als Mannschaftssport begriffen. Statt nur zu dribbeln, gab man auch mal ab und spielte verwirrende Doppelpässe. Die Spieler waren technisch versiert, ließen Ball und Gegner laufen und wussten mit fast schon mathematischer Präzision den Raum zu nutzen. Englische Kommentatoren sprachen ehrfürchtig von den „Scottish Professors“.

RUND: Wie hat sich diese Spielphilosophie verbreitet?
Richard McBrearty: Plötzlich wurde auch das Zuschauen ein Vergnügen. Fußball als kunstvolle Aufführung, die die Massen begeisterte, mit der man Geld verdienen konnte. Die Manager der großen nordenglischen Klubs erkannten das schnell und schickten mit Beginn der Professionalisierung Ende des 19. Jahrhunderts ihre Scouts nach Schottland, um dort Spieler zu verpflichten. Die Aufstellung vom ersten Spiel des FC Liverpool 1892 dokumentiert das eindrucksvoll. Die Mannschaft bestand aus elf Schotten und wurde nur „the team of the Mac’s“ genannt.

RUND: Woher kommt die Ignoranz des schottischen Einflusses?

Richard McBrearty: In der Geschichtsschreibung gibt es das Stille-Post-Prinzip: Schotten werden zu Briten, und bei der nächsten Erzählung sind es dann schon Engländer. Eine Zeitung schrieb zum Beispiel in ihrem Nachruf auf Archie McLean, den Urvater des Fußballs in Brasilien: „Er kam aus Paisley nahe London.“ Meine Güte, Paisley liegt bei Glasgow, über 400 Meilen von London entfernt! So entstehen Legenden. Wie die vom ältesten Fußballklub der Welt ...

RUND: ... dem FC Sheffield von 1857.

Richard McBrearty: Eben nicht! Ich bin in Edinburgh auf den John Hope Football Club gestoßen. Der verfügt über ein glänzend geführtes Archiv, das bis ins Jahr 1824 zurückreicht.

RUND: Eine sporthistorische Sensation. Und eine weitere fiese Grätsche gegen den südlichen Nachbarn.
Richard McBrearty: Sensation ja, Grätsche nein. Eher ein sauberes Tackling. Hart aber fair, typisch schottisch eben.

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